Soheil Dastyari, Chef von Bastei Lübbe: Wachstum durch Tiktok. Foto: Bastei Lübbe
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„Das hat bislang kaum ein deutscher Verlag gewagt“

Bastei Lübbe wurde durch Groschenromane bekannt, nun profitiert der Verlag vom Bücherhype auf Social Media. Im Interview spricht der Chef über die US-Expansion und Aktionär Dirk Rossmann.

Düsseldorf. Der Kölner Verlag Bastei Lübbe gilt in Deutschland mit seiner Marke Lyx als Marktführer bei jungen Erwachsenen. Nun plant das Familienunternehmen die Expansion. „Wir wollen mit unserer Marke Lyx, die sich im Kern an 16- bis 26-Jährige richtet, ab Herbst direkt in den US-Markt – stationär wie online“, kündigt Verlagschef Soheil Dastyari im Interview mit dem Handelsblatt an.

Bastei Lübbe profitiert dabei wie die gesamte Branche von Tiktok. Während der Buchmarkt insgesamt stagniert, lesen junge Menschen wieder mehr. Nutzer der Social-Media-Plattform empfehlen unter dem Hashtag Booktok Bücher, die dann millionenfach im stationären Handel gekauft werden. Auch durch diesen Trend dürfte der Umsatz von Bastei Lübbe auf bis zu 119 Millionen Euro steigen – das sind 45 Prozent mehr als im Geschäftsjahr 2019/20.

„Wir sehen anhand der Kommentare und Reaktionen, welche Themen die Menschen gerade bewegen. So können wir die wirklichen Bedürfnisse der Menschen adressieren“, sagt Dastyari. Kritik, dass die Werke, die über Tiktok Erfolg haben, oft als anspruchslos bezeichnet werden, kontert der Manager. „Wir schämen uns keinen Deut dafür, dass es uns gelingt, über soziale Medien viele Menschen zu begeistern.“

Lesen Sie hier das gesamte Interview mit Soheil Dastyari:

Herr Dastyari, Sie gehen mit Ihrer Verlagsmarke Lyx nach Nordamerika. Sind Sie dem Ruf von US-Präsident Donald Trump gefolgt?
Die Idee ist natürlich unabhängig von ihm entstanden. In der Branche ist es üblich, dass Buchlizenzen im Ausland an andere Verlage vergeben werden. Wir wollen mit unserer Marke Lyx, die sich im Kern an 16- bis 26-Jährige richtet, ab Herbst direkt in den US-Markt – stationär wie online. Das hat bislang kaum ein deutscher Verlag gewagt.

Was erhoffen Sie sich vom US-Markt?
Ich kann keine konkrete Zahl nennen, aber wir sehen sehr viel Potenzial. Lyx ist hierzulande Marktführer bei jungen Erwachsenen. Das wollen wir in den USAwiederholen, auch wenn es aufgrund der Größe des US-Marktes ungleich komplexer wird. Doch wir glauben, dass wir mit unseren Erfahrungen aus Deutschland für die Zielgruppe ein gutes Gespür haben, um deren Lesegewohnheiten treffen zu können.

Booktok-Regal von Thalia: Eigene Verkaufsflächen für Tiktok-Bücher. Foto: IMAGO/HEN-FOTO

Lyx profitiert wie die ganze Buchbranche vom Kurzvideodienst Tiktok. Dort werden unter dem Hashtag Booktok Buchempfehlungen veröffentlicht. Dieser Bereich wächst sehr stark, während der Markt insgesamt stagniert.Schreibt Tiktok die Regeln des Buchkaufs neu?
Die Plattform ist nur das Vehikel. Es sind die Leserinnen, die die Regeln der Branche neu schreiben. Während Buchkritiken früher im Feuilleton standen, stellen sich nun junge Frauen vor die Kamera und wollen andere für ihre Bücher begeistern. Das hat sich auch auf den Handel ausgewirkt: Es gibt nun eigene Verkaufsflächen für Booktok-Bestseller.

Sie prognostizieren für das laufende Geschäftsjahr bis zu 119 Millionen Euro Umsatz. 2019/20 waren es knapp 82 Millionen. Das ist ein Plus von 45 Prozent. Wie groß ist der Booktok-Effekt?
Wir waren mit unseren Zielgruppen über Social Media schon im Austausch, bevor Booktok in der Zeit der Pandemie groß geworden ist. Dadurch hat unser Wachstum sicherlich eine neue Dynamik bekommen. Auf Tiktok folgen Lyx61.000 Menschen, auf Instagram 185.000. Die Follower sind nicht gekauft, sondern haben sich organisch entwickelt.

Ihr Umsatzanteil mit den, wie Sie es nennen, Community-getriebenen Geschäftsmodellen liegt mit 43 Prozent über dem Vorjahresniveau von 29 Prozent. Wie verändert Booktok Ihre Verlagsarbeit?
Wir wollen über Social Media Communitys aufbauen. Uns gelingt es darüber sehr gut, mit Autorinnen und Leserinnen in direkten Kontakt zu kommen und ihnen zuzuhören. Wir sehen anhand der Kommentare und Reaktionen, welche Themen die Menschen gerade bewegen. So können wir die wirklichen Bedürfnisse der Menschen adressieren. Wir haben daher den Fokus auf Community-getriebene Geschäftsmodelle zum Schwerpunkt unserer Strategie erklärt.

Was heißt das genau?
Früher war die Verlagsmarke nicht relevant, Lesern ging es allein um den Autor und sein Werk. Neu ist, dass wir die Menschen von und mit unseren Verlagsmarken begeistern wollen – um näher an den Menschen und ihren Wünschen zu sein. Im Ergebnis führt das dazu: Wenn Leserinnen etwa eine Autorin der Marke Lyx schätzen, lesen sie wahrscheinlicher auch andere Werke, die über Lyx verlegt werden.

Sind Sie damit weniger von einzelnen Bestsellerautoren wie Ken Follett („Die Waffen des Lichts“) oder Dan Brown („Sakrileg“) abhängig?
Wir sind sehr glücklich, dass wir diese großartigen Weltbestsellerautoren verlegen dürfen. Aber: Verlage streben immer danach, Abhängigkeiten von einzelnen Autoren zu relativieren. Durch Social Media können wir uns breiter aufstellen. Es erleichtert uns, neue, zunächst unbekannte Autorinnen zu etablieren.

Sie sprechen von Autorinnen und Leserinnen. Erreichen Sie über Tiktok keine männlichen Leser?
Hier sind deutlich mehr als 90 Prozent der Leser weiblich. Aber auch gedruckte Bücher werden zu mehr als 70 Prozent von Frauen gekauft. Wir würden wie andere Verlage auch gern mehr Männer für Bücher begeistern. Doch viele Männer finden ihre Themen offenbar eher im Internet als in Büchern. Aber wir geben sie keinesfalls verloren.

Ist Booktok nur ein Hype oder ein langfristiger neuer Absatzkanal?
Ob Tiktok auch künftig die Plattform sein wird, vermag ich nicht zu sagen. Was bleiben wird, sind die Communitys. Menschen wollen sich darüber austauschen und inspirieren lassen – was auch auf Dauer starke Absatzeffekte generieren wird.

Machen Sie Ihren Absatz nicht von den undurchsichtigen Algorithmen von Tiktok abhängig?
Die Wahl der Plattform ist die Entscheidung unserer Zielgruppe. Wir bedienen nur die Nachfrage. Aber es wäre vermessen zu sagen, dass wir den sich permanent wandelnden Algorithmus durchdrungen hätten.

Tiktok steht wegen der chinesischen Eigentümer in der Kritik, war in den USA sogar abgeschaltet. Gibt Ihnen das nicht ein schlechtes Gefühl?
Wir sind eher von der Community im Positiven abhängig als von einer einzelnen Plattform. Für uns ist wichtig, dass sich die Leser auch bei Festivals, Lesungen oder bei unseren Pop-up-Stores treffen. Fast immer gibt es da lange Schlangen. Die Begeisterung für Bücher zeigt sich auch in der echten Welt. Und das ist in jeder Hinsicht etwas Gutes.

Welche Literatur fragen junge Menschen über Tiktok nach?
Sie suchen nach ästhetisch und wiedererkennbar gestalteten Büchern – schließlich finden sie diese über Portale, in denen Optik eine wichtige Rolle spielt. Inhaltlich geht es vor allem um Liebesromane und Fantasy, am besten als Geschichten über mehrere Bände.

Literaturkritiker bezeichnen die Werke, die über Tiktok Erfolg haben, oft als anspruchslos.
Ich finde die Kritik unangebracht und borniert. Wir schämen uns keinen Deut dafür, dass es uns gelingt, über soziale Medien viele Menschen zu erreichen und zu begeistern. Wir sollten Booktok als Erfolg feiern. Alles hat seine Zeit und seine Berechtigung. So greifen junge Menschen auch nicht gleich zum Handelsblatt, sondern eher in späteren Jahren.

Wie wollen Sie Leser an sich binden, wenn sie aus dem Lyx-Alter raus ist?
Wir übertragen die Mechanik von Lyx auf andere Zielgruppen. Dazu haben wir vergangenen Herbst die Verlagsmarke Pola gegründet, die die 25- bis 40-Jährigen ansprechen soll. Auch hier sind wir mit der Community im Austausch, reflektieren aber, dass sich diese Leser in einer anderen Lebensrealität befinden – und sich auch mit ernsteren Themen auseinandersetzen.

Tiktok schafft es nicht, den Absatz von E-Books anzukurbeln. Seit Jahren stagniert der Anteil in Deutschland bei sechs Prozent. Warum kaufen digitalaffine Menschen gedruckte Bücher?
Es ist das Gegenmittel zu der langen Zeit, die wir vor Bildschirmen und am Smartphone verbringen. Auch für junge Menschen sind echte Begegnungen äußert relevant, sie kaufen Bücher vor allem in den Buchhandlungen. Es ist beachtlich, dass das älteste Medium der Welt trotz Konkurrenz durch Streaming und Gaming über Jahrzehnte erfolgreich Bestand hat.

Bastei Lübbe ist nach dem Zweiten Weltkrieg mit Groschenromanen bekannt geworden. Heute haben diese nur noch sechs Prozent Anteil am Umsatz. Wie wichtig ist das gedruckte Buch perspektivisch für Sie?
Unsere Romanheftserien sind weiter fester Bestandteil unseres Geschäfts. Insgesamt steht das Buch im Kern unseres Handelns. Und das wird sich so schnell nicht verändern. Aber künftig werden wir um unsere Bücher verstärkt Communitys bilden und Zusatzgeschäfte wie Merchandising anbieten. Das sind für uns lukrative Geschäftsfelder und neue Wege, die Wünsche unserer Zielgruppe zu bedienen.

Das Problem ist aber, dass immer weniger Deutsche lesen. 2023 haben 25 Millionen Menschen mindestens ein Buch pro Jahr gekauft. Eine Dekade zuvor waren es noch 36 Millionen.
Das ist in der Tat eine besorgniserregende Entwicklung. Verlage müssen es wieder schaffen, mehr Menschen für Bücher zu begeistern. Wir müssen noch stärker lernen, unsere Bücher digital unterstützt zu vermarkten. Und die Branche muss sich stärker auf die verschiedenen Zielgruppen ausrichten, um deren Tonalität zu treffen. Positiv ist, dass die Menschen, die Bücher kaufen, mehr lesen. Deshalb bleibt der Gesamtmarkt stabil.

Sie haben vergangenes Quartal 29 Prozent Ihres Umsatzes mit E-Books und Hörbüchern erzielt. Das ist in der Branche weit überdurchschnittlich. Vor allem der Bereich Hörbücher wächst.
Bastei Lübbe hat in den vergangenen Jahren viel ausprobiert. Das hat zwar nicht überall funktioniert – im Audiobereich aber sehr gut. Wir haben sehr früh in Kapazitäten investiert, Lübbe Audio wurde schon 1996 gegründet. Zudem produzieren wir seit vielen Jahren einen Großteil unserer Titel in eigenen Studios. Nun profitieren wir davon, dass der Markt für Hörbücher stark wächst.

Woran liegt das?
Zum Beispiel am Siegeszug des Streamings. Auch Podcasts haben das Thema vorangebracht. Es hat sich etabliert, dass sich Menschen über einen längeren Zeitraum mit Audio beschäftigen. Und die Menschen laufen immer häufiger mit Kopfhörern herum, hören also Audioangebote längst nicht mehr nur im Auto.

Mit Kopfhörern in der U-Bahn: Wachsender Streaming-Markt. Foto: Caiaimage/Getty Images

Spotify hat kürzlich auch Hörbücher in sein Angebot aufgenommen. Bastei Lübbe setzt schon länger auf Streaming, während einige Wettbewerber zurückhaltend sind. Wie hoch sind die Margen im Streaming?
Nicht zwangsläufig niedriger als bei anderen Anbietern, diese werden verhandelt. Wir werden pro Nutzung honoriert. Wettbewerber haben möglicherweise Vorbehalte, dass sie von Streamingdiensten nicht fair behandelt werden. Wir haben gute Erfahrungen gemacht und viel darüber gelernt, wie man Hörer auf seine Angebote aufmerksam macht. Übrigens erreichen wir über Audio im Anteil auch mehr Männer.

In Deutschland erzielen zwei Prozent der Verlage fast 80 Prozent des gesamten Umsatzes. Sie gehören zwar zu den größten Verlagen Deutschlands, die Gruppe Penguin Random House mit ihren 50 Marken wie Heyne oder Goldmann ist fast dreimal so groß. Haben Sie Sorge, dass Sie zu klein sind?
Unsere mittelständische Position gefällt uns. Wir sind groß genug, um Effekte auszulösen, und klein genug, um wendig zu bleiben. Natürlich haben größere Verlage Kostenvorteile und sind womöglich bekannter. Wir müssen das mit Schnelligkeit und Innovationsfreude ausgleichen.

Planen Sie, sich durch Zukäufe zu verstärken?
Ja, wir schauen uns das konstant an. Wir sind bei Umsatz und Ergebnis stark gewachsen. Um das aufrechtzuerhalten, würden Impulse von außen sicher helfen.

Sie sind seit 2013 an der Börse notiert. Konkurrenten bekommen so Einblicke, welche Strategien und Titel gut funktionieren. Wie hinderlich ist das?
Das Deutsche Aktienrecht unterscheidet nicht, ob man Konzern oder Mittelständler ist. Deshalb müssen wir allen Berichtspflichten gerecht werden, was viele Kapazitäten bindet. Auf der anderen Seite sind wir durch regelmäßige Veröffentlichungen sichtbar. Und wenn es zu Akquisitionen käme, hätten wir über die Börse etwaige Finanzierungsvorteile.

Ist ein De-Listing eine Option?
Das ist nichts, worüber wir nachdenken.

Birgit Lübbe hält als Anverwandte des Gründers etwa ein Drittel der Anteile. Was bringt es Ihnen, ein Familienunternehmen zu sein?
Dass Bastei Lübbe immer in Familienhand war, sorgt für Konstanz. Wir sind daran interessiert, langfristige Beziehungen zu unseren Autoren und Beschäftigten aufzubauen.

Der Drogerieunternehmer Dirk Rossmann ist nicht nur einer Ihrer Autoren („Das dritte Herz des Oktopus“), sondern hat über sein Family-Office seine Beteiligung kontinuierlich erhöht. Er hält mittlerweile über ein Viertel der Anteile und ist Ihr zweitgrößter Aktionär. Wie beeinflusst er das Geschäft?
Gar nicht. Herr Rossmann interessiert sich für vor allem für die von ihm verfassten Bücher. Er hat dazu Fragen, Anregungen und Ideen, die wir sehr schätzen.

Wieso hat er zugekauft?
Für Dirk Rossmann sind wir ein gutes Investment. Schließlich hat sich unser Kurs in den vergangenen fünf Jahren vervierfacht. Wir freuen uns, dass wir so einen großen Ankeraktionär haben.

Bald ist Urlaubs- und damit auch Bücherzeit. Was ist Ihre Empfehlung für Führungskräfte?
Das Sachbuch „Die Rückkehr des Krieges“ von Franz-Stefan Gady. Es ist zwar kein angenehmes Thema, hilft aber, die aktuellen globalen Konflikte besser zu verstehen. Und im Herbst erscheint „The Secret of Secrets“ von Dan Brown. Auf seinen neuen Thriller haben wir acht Jahre gespannt gewartet.

Herr Dastyari, vielen Dank für das Interview.

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