Das Konzept des Homeoffice ist in Bewegung
Gilt es noch als Homeoffice, wenn man gar nicht zu Hause ist? Bootsdesigner und Architekten nutzen moderne Technik, um das Konzept des heimischen Büros weiterzuentwickeln – für Arbeits- und Wohnräume an Land, auf Flüssen und auf dem Meer.
Wenn Kunden das neue Londoner Büro des Innenarchitekten Mark Howorth besuchen, lädt er sie oft zu einem etwas anderen Mittagessen ein. Sie betreten sein Hausboot, das im Limehouse-Hafen nahe des Canary Wharf liegt, und verbringen dort den Vormittag mit Besprechungen. Anschließend löst ein Kapitän die Leinen und fährt die Themse hinunter bis zum Parlament. An Deck wird dann das Mittagessen serviert. „Es gibt etwas an Booten, das einen in Staunen versetzt“, sagt er.
Howorths schwimmendes Büro ist nun der Hauptsitz seiner Firma Callender-Howorth. Die Idee dazu kam ihm, nachdem er nach der Pandemie größere Büros im Osten Londons aufgegeben hatte. Als er an den Kanälen in Islington, wo er einst lebte, entlangging, fragte er sich, ob ein Boot ein geeigneter Ersatz für die Büros sein könnte. „Aber ich hatte falsche Vorstellungen von winzigen, schmalen Booten ohne Sicherheit, mit Hunden in der Größe von Ratten, alles sehr hippiemäßig, was nicht wirklich meinem Stil entspricht“, sagt er. Dann stieß er auf Waterspace Living, einen Barge-Hersteller bei Collingwood Boat Builders in Liverpool, und ließ eines ihrer breiteren Boote anpassen, um ein Büro und zwei Kabinen für sein achtköpfiges Team zu schaffen.
Howorth gehört zu einer wachsenden Gruppe, die das Konzept des „Homeoffice“ weiterentwickelt – sie verlagern es aus ihrem eigentlichen Zuhause, behalten aber die Idee eines Wohn-Arbeitsraums bei, sei es an Land, auf Flüssen oder auf dem Meer. Oft sind diese Räume mobil. Dank technologischer Fortschritte entwerfen Architekten, Bootsdesigner und Fahrzeughersteller Lösungen für Kunden, die die Integration von Zuhause, Arbeit und Lebensstil in eine neue Richtung lenken möchten.
Howorths Barge ist kein vollwertiger Wohn-Arbeitsraum – sein Zuhause ist im Süden Frankreichs –, aber er kann an Bord schlafen, wenn er in London ist. „Es ist ruhig“, versichert er. „Wir sind in einem Hafen, also gibt es keine Wellenbewegung.“ Die Hafen-Community war ebenfalls ein Gewinn, da sich dort andere Kreative umhertreiben – unter anderem ein Jazzmusiker und ein Schauspieler –, und die Wartung ist überraschend unkompliziert, sagt er. Es gibt hochmodernes Wlan („Es sieht aus wie Cape Canaveral auf dem Dach“) und alle modernen Annehmlichkeiten. Howorths Barge kostete 320.000 Pfund im Kauf, plus Liegegebühren von etwa 800 Pfund pro Monat. Vor der Pandemie zahlte er rund 70.000 Pfund pro Jahr für Büroräume.
Chris Hill, Co-Gründer von Waterspace, beobachtet immer mehr Kunden wie Howorth, die Hausboote als Wohn- und Arbeitsräume nutzen. Kürzlich hat er eine Barge für einen Kunden ausgestattet, der in der zweiten Kabine einen Arbeitsbereich wollte. Hill plant außerdem, bald sein eigenes Büro auf ein Boot zu verlegen. „Ich kann diese Kultur des Arbeitens aus dem Gästezimmer nicht ausstehen“, sagt er und fügt hinzu, dass der Hafen Technologie verbessern will, um dem Trend zum Arbeiten vom Wasser aus gerecht zu werden.
In diesem Jahr wird Waterspace Bramley Falls eröffnen, ein neuer Hafen in den Londoner Docklands, der genau auf diese Nische zugeschnitten ist. „Man kann sein Boot an das Haupt-Breitbandnetz und alle Versorgungsleistungen vor Ort anschließen, mit zehn Booten, die auf offenes Wasser blicken.“
💡Exklusiv bei XING: 6 Wochen die WirtschaftsWoche kostenlos lesen
Offener als das Meer geht es nicht, und auch die Yachtwerft Heesen verzeichnet einen ähnlichen Anstieg an Anfragen für Büros an Bord. Auf Yachten zählt natürlich jeder Zentimeter, doch laut Mark Cavendish, Executive Commercial Officer bei Heesen, gehen immer mehr Kunden weg von einem Schreibtisch in einer Ecke hin zu eigens dafür vorgesehenen Arbeitsbereichen. Für eine 57 Meter lange, individuell gefertigte Aluminium-Motoryacht mit dem Codenamen „Project Setteesettanta“ – ein Neubau für einen langjährigen Kunden – vervierfacht Heesen den Platz für ein Büro im Vergleich zu dessen vorheriger Yacht.
„Er ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, seine Kinder sind in ihren späten Teenagerjahren oder Anfang 20. Die Familie nutzt die Yacht für Entdeckungsreisen und ist sehr sportlich. Aber er arbeitet wie ein Besessener, und ich vermute, er wird eine Menge Zeit an Bord mit Arbeiten verbringen.“
Er ist nicht der Einzige. „Die Technologie ermöglicht es den Menschen, mehr Zeit an Bord zu verbringen. Jede 50-Meter-Yacht hat heute ein eigenes Büro. In den 1980ern? Absolut nicht. Die Kommunikation ist so erschwinglich und zuverlässig geworden – verrückt, mittlerweile sieht man sogar 15-Meter-Yachten von Fairline oder Princess mit Satellitenkommunikationsantennen“, sagt Cavendish. Das Satellitensystem Starlink, das Heesen in diesem Neubau installiert hat, ist weniger sperrig, effizienter und – was entscheidend ist – deutlich zuverlässiger als viele seiner Vorgänger.
Es ist vor allem Starlink, das Erin Jacobs ermöglicht, von ihrem hochmodernen Airstream-Wohnwagen aus zu arbeiten – egal, wo sie sich gerade befindet. Sie leitet eine Cyber-Sicherheitsberatung und hat zwar ein festes Zuhause in Chicago, verbringt aber neun Monate im Jahr damit, durch die USA zu reisen und unterwegs zu arbeiten. In den letzten drei Jahren hat sie rund 70.000 Meilen zurückgelegt. Jacobs sagt, ihr aktueller Airstream – ihr dritter – sei einer von nur etwa 50 in den USA mit einer derart hochwertigen Ausstattung.
Sie investierte 200.000 Dollar in das Modell und rüstete es mit einem zusätzlichen Off-Grid-Paket im Wert von 50.000 Dollar aus, darunter Solarpaneele, ein Generator und Batterien, die ihr bis zu zwei Wochen völlige Autarkie ermöglichen. Starlink sei dafür ein echter Gamechanger, sagt sie – wenn auch nicht ohne Einschränkungen.
„Es funktioniert 85 bis 90 Prozent der Zeit wirklich gut, aber in den Redwoods in Kalifornien konnte ich es nicht nutzen – dort war die Baumdecke zu dicht“ – die Satellitenverbindung wurde blockiert (als Backup hat sie Mobilfunkverträge bei zwei Anbietern). „Ich habe Bettwäsche von Frette, und mein Airstream ist luxuriöser als das Four Seasons – Letzteres wäre für mich ein Downgrade“, lacht sie.
Als Jacobs diesen Airstream kaufte, war er zu schwer für ihren SUV, sodass sie stattdessen auf einen Pick-up umstieg. Doch abgesehen davon gibt es kaum Nachteile. „Wenn man reist und in einem Hotel übernachtet – selbst in einem guten –, dann reicht der Schreibtisch dort für die Arbeit aus. Aber so fühlt es sich an, als wäre mein Zuhause immer bei mir.“
Verwendet sie für Meetings mit hochrangigen Kunden einen Zoom-Hintergrund, der ein Büro statt einer Straße suggeriert? „Früher habe ich es versteckt, aber mittlerweile ist es mir egal. Letzte Woche lag ich in einer Hängematte und habe meine Berichte geschrieben.“ Sie ist übrigens nicht die Einzige in ihrem Unternehmen, die von unterwegs arbeitet – ein weiterer Kollege besitzt einen ähnlichen Wohnwagen. „Er hat ihn auch ordentlich aufgemotzt, aber für mich sieht er aus wie ein Studentenwohnheim. Definitiv ein Männer-Airstream.“
Nicht jeder möchte unterwegs arbeiten. Manche wollen einfach einen separaten Raum in der Nähe ihres Zuhauses schaffen, der ausschließlich für die Arbeitszeit gedacht ist. Der Architekt Tom Kundig von Olson Kundig nennt sie „Zusatzgebäude“. „Man muss sich physisch zwischen dem ‚heiligen‘ Zuhause und dem ‚profanen‘ Büro bewegen, sonst arbeitet man 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Es geht darum zu sagen: ‚Okay, ich arbeite zwar von zu Hause, aber ich will nicht im Zuhause arbeiten‘ – also eine Distanz zu schaffen, egal ob es fünf oder 30 Meter sind.“ Vor fünf Jahren landete vielleicht ein solches Projekt pro Jahr auf seinem Schreibtisch – inzwischen sind es vier oder fünf.
Solche Hütten und Kabinen, ergänzt Kundig, erschließen oft ungenutzte Flächen auf weitläufigen Grundstücken. Er hat gerade ein 6,5-Quadratmeter-Büro in einer Hütte fertiggestellt, die sich rund 90 Meter hinter einer Hauptresidenz auf Hawaiis Big Island befindet. Das Design ist bewusst mit der Landschaft verbunden – etwa durch ein verschiebbares Lamellensystem, das eine Glaswand freilegt und den Blick auf einen darunterliegenden Koi-Teich eröffnet. „Es ist ein Ort zum Rückzug“, sagt er. „Und es hat nichts von einer typischen Männerhöhle.“
Ein freistehendes Gebäude wie dieses kostet bei Olson Kundig zwischen 250.000 und 350.000 Dollar. Für ein kürzlich realisiertes, gemütliches Projekt in Nord-Idaho wünschte sich der Kunde, dass sein Schreibtisch neben einem Kamin und einer kleinen Sitzecke eingebaut wird.
Nichts kommt jedoch an die Verspieltheit von Howorths Barge heran. „Neulich saß ich mit einer Tasse Tee auf dem Oberdeck, und nur einen Meter vor mir sprang ein riesiger Karpfen aus dem Wasser. Und die Schwäne füttere ich direkt aus dem Küchenfenster. Ich würde nie wieder in ein normales Büro zurückkehren.“
💡Exklusiv bei XING: 6 Wochen die WirtschaftsWoche kostenlos lesen
