TASCHEN

Das Maß aller Dinge: Warum die Ideen und Maximen des Bauhauses noch immer aktuell sind

Wie wollen wir leben und wohnen? Wie kann mit weniger mehr erreicht werden? Was trägt zu einem besseren Leben bei? Was bedeutet Nachhaltigkeit im Alltag? Mit diesen essenziellen Fragen beschäftigten sich bereits die Gründer des Bauhauses. Auch nach 100 Jahren ist die Auseinandersetzung mit der Avantgardeschule noch immer ungebrochen. Bis heute liefern die Ideen und Maximen von damals vielfältigste Impulse für die unterschiedlichsten Arbeits- und Lebensbereiche. Der Anspruch, sie zu reformieren und ganzheitlich zu betrachten, fasziniert genauso wie der Nachhaltigkeitsgedanke, zu dem Einfachheit, Materialsparsamkeit und die Zeitlosigkeit der Objekte gehören. Es entstand eine bahnbrechende Fusion aus Kunst, Handwerk und Technik, die quer durch alle gestalterischen Medien und Methoden umgesetzt wurden.

Die Ideen- und Zeitgeschichte des Bauhauses währte zwar nur 14 Jahre, doch ist die wechselvolle Geschichte der 1919 in Weimar gegründeten und 1933 in Berlin unter dem Druck der Nationalsozialisten aufgelösten Schule prägend wie kaum eine andere. Schon die zentralen Persönlichkeiten des Bauhauses – die Direktoren Walter Gropius, Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe – sowie die dort angestellten Lehrer, darunter Paul Klee, Wassily Kandinsky, Lyonel Feininger, László Moholy-Nagy oder Oskar Schlemmer, verdeutlichen die unterschiedlichen Strömungen und Positionen, die hier in dieser kurzen Zeit aufeinandertrafen und das Gesicht der Moderne veränderten. Wir sollten darin lesen, denn die Spuren darin haben mit unserer Gegenwart zu tun: Auch heute befinden wir uns in Zeiten des Umbruchs, in der die junge Generation nach Sinn sucht und Neues hervorbringen („Ins-Werk-zu-setzen“) möchte.

Vor dem Ersten Weltkrieg organisierten sich zum ersten Mal im wilhelminischen Deutschland - quer durch alle Schichten und Generationen - viele lebensreformerische und kulturkritische Gegenbewegungen, während der Werkbund und die Jugendstilkünstler „Kunst und Maschine“ versöhnen wollten. Zum ersten Mal wurde damals die Jugend als eigenständiges Lebensalter ernst genommen und nicht nur als Vorbereitung oder Vorstufe des Erwachsenen betrachtet. In den Folgejahren gab es etliche Querverbindungen zwischen solchen Reformschulen und dem Bauhaus. Im Schulwesen entstand die Reformpädagogik, außerdem kam es zur Gründung zahlreicher Privatschulen.

Viele junge Männer kamen damals direkt aus dem Krieg und sahen im Bauhaus, der ersten nach dem Krieg reformierten Kunstschule, die in der neuen Republik den Lehrbetrieb aufnahm, einen sinnvollen Neuanfang. Das Programm und Ziel der neuen Schule bestand darin, Künstler und Handwerker zu verbinden, damit sie gemeinsam den „neuen Bau der Zukunft“ errichten. Für Gropius wurde dies zur gesellschaftlichen, geistigen und symbolischen Tätigkeit. Mit diesem nachhaltigen Ansatz versöhnte und verband er bisher getrennte Gattungen und Berufungen. Eine bedeutende Quelle für sein Programm zum Bauhaus war der Reformvorschlag des Architekten Otto Bartning, der im Januar 1919 den „Unterrichtsplan für Architektur und bildende Künste auf der Grundlage des Handwerks“ veröffentlichte. Hier wurde das Handwerk zur Grundlage der Ausbildung erklärt.

Aus Bartnings „Rat der Meister“ wurde bei Gropius ein „Meisterrat“. Nicht Professoren, sondern Meister leiteten jetzt die Ausbildung im Bauhaus. Die Schüler hießen Lehrlinge und konnten zu Gesellen und Jungmeistern aufsteigen. Ein Meisterrat entschied über alle Angelegenheiten, und dazu gehörte das Recht, neue Meister zu berufen. Wenn die jungen Menschen gleichzeitig Meister der Form und Meister des Handwerks sind, dann werde, so Gropius, „die hochmütige Mauer zwischen Künstler und Handwerker fallen“. Nur auf diese Weise konnte ein Beitrag zur „Kathedrale der Zukunft“ geleistet werden. Der Blick aufs Große und Utopische widmete sich aber auch dem Kleinen und Alltäglichen. So wurden ebenfalls Aufträge für Möbel, Metallgeräte, Teppiche oder Raumausmalungen angenommen. Aus dem scheinbar Widersprüchlichen entstand ein kreatives Gleichgewicht, „dessen Balance in den folgenden Jahren immer wieder neu überprüft, erprobt, in Frage gestellt und verändert werden sollte.“ Das Wichtigste aber war die Heranziehung starker und lebendiger Persönlichkeiten, die Kunst zu einem selbstverständlichen Teil des Alltags machen sollten. Sie waren gleichzeitig Visionäre und Gestalter, die ihre Gedanken hier sofort in die Tat umsetzen konnten.

Die hier entstandenen Werke aus den verschiedenen Gattungen – von Architektur, Malerei, Fotografie und Collagen über Textil, Keramik, Möbeln und Leuchten bis hin zu Dokumenten und Büchern – ist bis heute eine Inspirationsquelle, die nie zu versiegen scheint. Das zeigt auch die aktualisierte Ausgabe des im TASCHEN Verlag erschienenen Buches. Es enthält über 550 Abbildungen und erzählt die Geschichte und Wirkung dieser legendären Kulturinstitution, deren Gestaltungsbegriff das 20. Jahrhundert maßgeblich geprägt hat. Bauhaus wird hier nicht nur als bahnbrechende Bewegung des Modernismus gezeigt, sondern auch als Musterbeispiel einer Kunsterziehung, in der schöpferischer Ausdruck und zukunftsweisende Einfälle zu Produkten führten, die zugleich schön, funktional und nachhaltig waren.

Beispielsweise legte die Tischlerei im Oktober 1928 einen Prospekt vor, in dem sechs Stühle vorgestellt wurden, die auch für die weitere Produktion typisch bleiben sollten. Das preiswerte Sperrholz (später auch in Kombination mit Metall) wurde einer der wichtigsten Werkstoffe. Auch seine Elastizität wurde genutzt. Zur Verbilligung trug eine neue Beinkonstruktion für Tische und Stühle bei: Das Bein bestand aus zwei rechtwinklig miteinander verbundenen Latten, die anfangs gesteckt und später verschraubt wurden. Dadurch wurde nicht nur Material gespart, das Möbel wurde auch leichter und häufig zerleg- oder zusammensetzbar.

Die Buchausgabe zeigt eine Vielzahl dieser interessanten Objekte. Sie ist das große Verdienst von Magdalena Droste, einer der profundesten Kennerinnen des Bauhauses überhaupt, denn sie kennt Materie und Forschungsstand wie kaum eine andere. Die Geschichte des Bauhauses erlebte seit der Erstveröffentlichung viele Auflagen. Die aktualisierte Neuauflage geht allerdings auch im Umfang weit über die vorausgegangene Edition hinaus. Das Referenzwerk entstand in Zusammenarbeit mit dem Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung in Berlin, der weltgrößten Sammlung zur Geschichte des Bauhauses. Dieses Buch lässt sich nicht „besprechen“ – es will genutzt werden und lädt dazu ein, die Gegenwart auf der Folie der Vergangenheit zu lesen und Zukunft neu zu gestalten. Dazu muss das Alte mit dem Neuen verbunden werden und junge Menschen, die zu guten Lebenshandwerkern werden wollen, ernst genommen werden. Es sollte nicht heißen „Ihr schafft das!“, sondern: „Ihr macht das!“

Weiterführende Literatur:

Magdalena Droste: Bauhaus. Aktualisierte Ausgabe, TASCHEN Verlag, Köln 2018.

Alexandra Hildebrandt: Meisterjahre. Die Welt verstehen und selbst gestalten. In: Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018, S. 15-30.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Wohnen 21.0: Grundzüge des Seins von A bis Z: global – lokal –nachhaltig. Amazon Media EU S.à r.l. 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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