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Christian Dorn/Pixabay

Das Mitspracherecht von Darm und Psyche in der menschlichen Gefühlswelt

Das Gehirn im Bauch

Mit allen wichtigen Botenstoffen steuert das menschliche „Bauchhirn“ die gesamte Verdauungsarbeit weitgehend autonom. Das Gehirn im Kopf wird über Nervenleitungen ständig auf dem Laufenden gehalten. Bei vielen Patienten mit Reizdarm ist die Nervenarbeit im Bauch allerdings verändert. Ihr Nervensystem reagiert sensibler auf Reize aus dieser Körperregion. Normale Verdauungsarbeit und dabei entstehende Gase werden als schmerzhaft empfunden. In Deutschland erhalten etwa 14 Millionen Menschen die Ausschlussdiagnose “Reizdarmsyndrom”. Für viele fühlt es sich wie ein Stempel an, den sie erhalten, wenn alle anderen Ursachen für die Verdauungsbeschwerden ausgeschlossen sind, und der Arzt mit der Krankenkasse abgerechnet hat, was er abrechnen darf. Ärzte nennen das dann „funktionelle Erkrankung“. Das bedeutet für die Betroffenen eine enorme Einschränkung der Lebensqualität – täglich. Sie fühlen sich hilflos, weil es keine Pauschallösung gegen die Beschwerden gibt und für individuelle Lösungen und Beratungen keine Zeit und kein Geld vorhanden ist. Dadurch fühlen sich Betroffene oft nicht ernstgenommen und wahre Symptom-Ursachen, wie etwa Nahrungsmittelintoleranzen, Dünndarmfehlbesiedlung, Gallensäureverlustsyndrom oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen bleiben häufig unentdeckt.

Hinzu kommt, dass viele Ärzte nicht ausreichend über das Reizdarmsyndrom und aktuelle Therapieoptionen informiert sind. Betroffene werden vorschnell und falsch diagnostiziert oder abwertend und respektlos behandelt („Reizdarm ist doch eh psychisch, was soll ich da machen?”). Verdauungserkrankungen wie Morbus Crohn, Colitis Ulcerosa und Zöliakie werden häufig fälschlicherweise als Reizdarmsyndrom diagnostiziert, dadurch laufen Betroffene häufig jahrelang mit einer lebensbedrohlichen Krankheit herum.

Wir brauchen mehr Aufklärung

Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Blogs zu diesem Thema, die Millionen von Menschen erreichen. Intelligente Symptom- und Ernährungstagebücher helfen, individuelle Auslöser für Beschwerden zu finden. Auch werden videobasierte Ernährungsberatungen angeboten, die von den gesetzlichen Krankenkassen größtenteils erstattet wird. „Wenn sich mehr Leute mit dem Darm auskennen würden, würden wir vielleicht vieles – auch politische Themen – etwas anders sehen“, sagt Guilia Enders, die sich manchmal fragt, „ob die zunehmende Wut vieler Menschen und negative Gedanken nicht auch ein Stück weit daher kommen könnten, dass ihr Darm nicht im Gleichgewicht ist. Es gibt ernst zu nehmende Hinweise darauf, dass falsche oder fehlende Bakterien im Darm so eine Wirkung auf die Psyche haben können – oder zumindest solche Launen verstärken könnten.“

Ihr Buch „Darm mit Charme“ (Enders 2014) war 2014 in Deutschland mit über einer Million Exemplaren das meistverkaufte Hardcover-Sachbuch. Sie macht darin wissenschaftliche Forschung allgemein verständlich und vermittelt sie auf unterhaltsame Weise. Während ihres Studiums wurde das Thema Darm eher stiefmütterlich behandelt. Deshalb begann sie, sich tiefer mit diesem „Superorgan“ zu beschäftigen, das zwei Drittel unseres Immunsystems ausmacht, 100-mal die Fläche der Haut hat, mehr als 20 Hormone produziert und Heimat für 100 Trillionen Bakterien ist, die bis zu zwei Kilogramm wiegen. Enders ging es darum, den Darm aus der Igitt-Ecke herauszuholen. In ihren Publikationen widmet sie sich auch der Verbindung von Darm und Psyche, denn er hat auch ein beachtliches Mitspracherecht, wenn es um die menschliche Gefühlswelt geht.

Darmkrebsvorsorge rettet Leben

Seit 2002 gibt es in Deutschland die gesetzliche Vorsorge-Koloskopie. Wer um die 50 oder älter ist, sollte dies wahrnehmen, denn wenn Darmkrebs rechtzeitig erkannt wird, ist er gut heilbar. Durch Früherkennung können fast alle Darmkrebsfälle verhindert oder geheilt werden. Dennoch sterben allein in Deutschland noch immer jährlich mehr als 25.000 Menschen an den Folgen einer Darmkrebserkrankung. Die Felix Burda Stiftung https://www.felix-burda-stiftung.de/ engagiert sich deshalb seit 2001 für die Kommunikation der Darmkrebsvorsorge und -früherkennung. Zu ihren jährlichen Projekten gehören u.a. der bundesweite Darmkrebsmonat März, der Felix Burda Award, die Initiative für Betriebliche Prävention, Europas größtes Darmmodell und der Gesundheits-Butler APPzumARZT fürs Smartphone.

Weiterführende Informationen

Guilia Enders: Darm mit Charme. Ullstein Buchverlage, Berlin 2014.

Alexandra Hildebrandt: Kopf oder Bauch? Wie wir heute die richtigen Entscheidungen treffen. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle 2017.

Nicole Simon: Gewitter im Bauch. In: stern (1.10.2020) , S. 90.

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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