Das Personalwesen verschläft die Agilität
Agilität ist in den Führungsetagen längst angekommen, aber nicht in der Personalentwicklung
Noch sehen sich HR-Manager eher als Verwalter, weniger als Veränderer
Auch HR muss Agilität als das verstehen, was sie ist: eine soziale Innovation
„Agile Software Entwicklung“, „Swarm-Organisation“, Holocracy“, „Agiles Management“, „Das Unternehmen ohne Chef“, „Lean Startups“, „Innovationslabs“, „Objectives and Key Results“ und natürlich „Digitalisierung“ – Wirtschaftsmagazine wie das Manager Magazin und die Wirtschaftswoche haben die Themen schon im Fokus: Der im Silicon Valley begonnene Umbruch der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts ist auch längst im Bewusstsein der Management-Ebene angekommen. Keinen Top-Manager erwischt man mehr auf dem falschen Fuß, wenn man ihn fragt, was Agilität ist. Selbst große Unternehmen wie die Deutsche Bahn setzen die Gründung von „Innovationlabs“ aufs Gleis.
Im Personalwesen ist Agilität noch ein Fremdwort
Doch bei all diesen Change-Prozessen bleibt es in einer Abteilung der Unternehmen verhältnismäßig ruhig: Man hat den Eindruck, als würde gerade der Bereich, der die Weiterentwicklung der Mitarbeiter in den nächsten Jahren massiv unterstützen müsste – nämlich das Personalwesen – denken, Agilität wäre ein Sturm im Wasserglas. Natürlich gibt es die ein oder andere Personalabteilung, den ein oder anderen HR-Manager oder CFO, der sehr wohl sieht, dass sich da etwas tun muss. Besonders muss man an dieser Stelle übrigens die DAX-Konzerne loben, deren Human Resources-Abteilungen ganz vorne dabei sind, wenn Strukturen den Anforderungen agiler Managementmethoden angepasst werden.
Verwaltung statt Veränderung
Doch leider sind diese Top-HR-Manager häufig noch alleine auf weiter Flur. Und – selbst in den wenigen Vorzeige-Unternehmen gehen viele nicht soweit, wie sie gehen müssten – sind also nicht willens oder in der Lage, ihre CxOs und das mittlere Management anzutreiben. Sie verstehen sich als Verwalter und nicht als Veränderer ihrer Organisationen. Das mag traditionell auch die Aufgabe des Personalwesens in vielen Unternehmen gewesen sein – der CEO und alle anderen Abteilungen als Auftraggeber und HR als umsetzende Instanz: Einführen von neuen Positionen und Stellen, Unterstützen von Veränderungsinitiativen, Einstellungen oder Kündigungen. Jetzt jedoch befinden sich die Unternehmen vor einer Herausforderung, die nur verstanden werden kann, wenn man sie als das begreift, was sie ist: eine durch Technologie (Digitalisierung) erzeugte soziale Innovation. Das agile Arbeiten ist, obwohl es zu Recht als „gesunder Menschenverstand repackaged“ gesehen wird, keine Evolution im Sinne des kontinuierlichen Verbesserns (KVP), sondern ein Sprung. Eine Revolution. Agiles Arbeiten ist anders – der damit einhergehende Paradigmenwechsel verursacht nicht nur ein etwas anderes Arbeiten mit neue Tools und Methoden, wie beispielsweise Taskboards, sondern er verändert auch die Sicht auf das, was Arbeit ist und wie Produktivität entsteht, ganz grundsätzlich. Auch das Personalwesen muss vor diesem Hintergrund nun eine neue Rolle übernehmen.
Es ist wie im Sport
Verschiedene agile Methoden können durch das Personalwesen vorangetrieben werden. Ein Beispiel: „Management by Objectives“ (MbO), also die Führung durch Zielvereinbarung, das bereits in den 1950 Jahren von Peter Drucker entwickelt wurde, ist ein alter – oft auch kritisierter – Hut. Dieses Tool erlebt nun als „Objectives and Key Result“, kurz OKRs, eine Renaissance als agiler Management Hype, der in große Firmen Einzug hält. Google und Co. erzielen damit durchschlagende Erfolge. Der Unterschied zu MbO ist: Die gleiche Idee wird völlig anders verstanden und implementiert, weil Performance-Evaluierung und die Bewertung des Mitarbeiters basierend auf den Zielen gar nicht stattfinden. Bei OKRs geht es darum, sich „selbst“ Ziele zu setzen und zu schauen, ob man diese Ziele für sich erreicht hat. Methodisch handelt es sich um eine konstruktive Herangehensweise: Wenn etwas nicht gelingt, stellt man sich der Frage, was es gebraucht hätte, um das Ziel zu erreichen. Hier wird also mit dem klaren eindeutigen und wertneutralen Feedback gearbeitet. „Objectives“ so verstanden, sind also gewissermaßen Zielmarken wie beim Sport. Man nimmt sich etwas vor, trainiert daraufhin und geht zum Wettkampf. Dann gibt es einen Check durch die Realität – und ein damit verbundenes Feedback. Oft ist es die Uhr, manchmal der „Gegner“ und manchmal – wie zuletzt beim 4 x 100m Staffellauf von Usain Bolt – ist es der Körper. Aber, und das ist das Entscheidende: Dieses Feedback ist wertneutral und das Gehalt wird nicht an die Zielerreichung geknüpft. Performance-Evaluierung und Zielerreichung sind entkoppelt.
Wir sollten diesen Unterschied verstehen, diese Veränderung in der Kultur eines Unternehmens anzuleiten und auf diese Weise zu völlig neuen Arbeitsbedingungen in den Unternehmen kommen. Vielleicht führt dieser Prozess später endlich zur Einsicht, dass Menschen gerne arbeiten – ohne Anreizsysteme – und dass sie sich für die Sache einbringen wollen. Doch all das bräuchte ein verändertes Verständnis der Arbeit der Personaler in den Unternehmen.