Das Reptiliengehirn ruhigstellen
Sabine Votteler über Existenzängste von Gründern und wirksame Tools dagegen.
Der Entschluss, sich selbständig zu machen, ist ein einschneidender, denn er wirkt sich auf das gesamte Leben aus. Doch nicht selten stellen sich trotz eines vielversprechenden Businessplans Existenzängste ein, die Energie rauben und mutige Schritte verhindern. In dieser Situation übersehen Gründer oft, dass diese Ängste nichts über die Qualität ihrer Idee und ihres Konzeptes aussagen, sondern andere Ursprünge haben. Sabine Votteler berät Führungskräfte, die den Schritt in die Selbständigkeit machen möchten. Sie erklärt in unserem Interview, woher Existenzängste kommen, wie man sie beherrscht und wie das bei ihrer eigenen Gründung war.
Frau Votteler, der Schritt in die Selbständigkeit ist vollbracht – und dann kommen Existenzängste, obwohl man von seinem Konzept überzeugt ist. Warum ist das so?
Ängste sind ja sehr normal, die hat jeder Mensch. Und sie haben nicht unbedingt etwas mit der Realität zu tun. Einerseits sind es höchst subjektive Gründe, die gar nicht unbedingt der Realität entspringen müssen. Und auf der anderen Seite gibt es natürlich auch ganz objektive Gründe. Und die sind ja zurzeit nicht so an den Haaren herbeigezogen. Themen wie die Inflation, die geopolitische Lage oder die wirtschaftlichen Entwicklungen können dazu führen, dass man das Vertrauen verliert. Das sind dann eben Auslöser im Außen. Dazu gehört auch, dass man einen Plan gemacht hat und merkt, dass es nicht hinhaut, die Realität ganz anders ist und die Kalkulation nicht passt. Das sind die realen Gründe. Subjektive Bedrohungen sind solche, die wir als Menschen empfinden, die zwar oft von außen getriggert werden, aber in der Regel vollkommen übertrieben sind. Es ist ein wichtiger Schritt zu unterscheiden, worüber ich mir wirklich Sorgen machen muss und was nicht in dem Ausmaß existiert, wie ich es jetzt wahrnehme.
Umgekehrt gibt es ja auch den Fall, dass man mit wehenden Flaggen in die Selbstständigkeit galoppiert und sich nicht aufhalten lässt. Was ist bei den Menschen anders?
Das Mindset. Das ist einfach eine positive Haltung, weil man alle Einschränkungen und alle Limitierungen auch ins Positive drehen kann. Und das ist eine ganz große Kunst, gerade für Menschen, die eher negativ gepolt sind, und das wiederum kommt hauptsächlich von unserer Prägung, die wir als Kinder in der Regel erfahren haben. Es hängt wirklich davon ab, aus welchem Umfeld wir kommen, ob und welche Rolle eben Erfolg oder Geld gespielt haben. Und ob wir an uns und an unsere Selbstwirksamkeit glauben, oder ob wir eher denken, dass wir von der Außenwelt abhängig sind. Das ist natürlich Gift für den Selbstwert, wenn man glaubt, dass wir ohnmächtig sind, gerade in der wirtschaftlichen Entwicklung. Wenn ich sage, ich kann da nichts machen, hänge ich am Tropf und das vergrößert natürlich die Angst und die Unsicherheit. Menschen mit einem positiven Mindset können auch negative Ereignisse akzeptieren und sich einfach sehr schnell wieder auf ihre Ziele fokussieren. Und Ziele zu haben, ist ein ganz wichtiger Schlüssel. Ohne Ziel hat man keinen Grund, durchzuhalten. Man braucht ein Warum. Und es einfach nur wegen des Geldes zu machen, ist kein gutes Motiv. Motivation ist dagegen immer ein Leuchtturm, an dem ich mich ausrichten kann.
Ängste beeinflussen vielleicht auch Entscheidungen und unterdrücken Potenzial. Was kann man dagegen tun?
Man schaut sich wieder beide Seiten an: Was ist eigentlich real und was sind subjektive Gedanken und Gefühle? Dann kann man Klarheit schaffen. Angst kommt eben auch ganz stark aus nicht verstehen, nicht wissen, eine Blackbox vor sich zu haben. Wenn man dann den Deckel öffnet, reinguckt und klar wird, was da alles drinsteckt, ist es oft viel weniger schlimm, als man befürchtet hat. Ich muss klare Verhältnisse schaffen, meinen finanziellen Status kennen und wissen, welche Kosten ich decken muss. Wenn sich Geldlöcher zeigen, muss man sie stopfen, indem man etwa überflüssige Abos kündigt. Ich stelle Klarheit über meine finanzielle Situation her und darüber, wie viel Geld ich tatsächlich brauche, was mein absolutes Minimum ist, dazu gehört natürlich auch, dass ich mir klar werde über mein Vermögen. Es gibt nicht wenige, die gar nicht so richtig wissen, wie viel sie auf der hohen Kante haben. Es ist wichtig, eine Planbarkeit zu haben. Viele machen sich ja erst einmal als Solopreneur oder als Freelancer selbstständig und arbeiten am Anfang noch ohne Systeme. Das ist für den Anfang absolut legitim, aber dadurch gibt es eben keine Verlässlichkeit. Es ist wichtig, relativ schnell Planbarkeit hineinzubekommen. Das muss jetzt nicht unbedingt technisch sein, sondern einfache Dinge wie Routinen. Das hilft gegen dieses Gefühl der Ohnmacht, wenn ich Dinge tue, die ich in der Hand habe. Hilfreich ist auch die Frage: Wovor habe ich eigentlich konkret Angst? Ist es jetzt die Angst, dass ich meine Miete nicht mehr bezahlen kann? Ist es die Angst, dass ich den Erwartungen anderer oder meinen eigenen nicht gerecht werde? Und dann kann ich überlegen, wie wahrscheinlich es ist, dass das eintritt.
Und man kann diesen Horrorszenarien, die Angst auslösen und lähmen, Erfolgsszenarien gegenüberstellen. Es könnte ja auch gut laufen. Dieses Switchen ins Positive gibt direkt ein anderes Gefühl. Hilfreich ist es auch, einen Plan B zu haben. Er erleichtert es zu handeln, wenn tatsächlich eines der Probleme, die ich mir vorstelle, eintritt. So beweist man seinem Verstand und diesem ängstlichen Unterbewusstsein, dass es nicht nur eine Option gibt, sondern dass es viele gibt, und man nicht ausgeliefert ist.
Sie haben sich selbst aus einem Angestelltenjob selbständig gemacht. Wie war das bei Ihnen?
Ich hatte riesige Ängste, ich habe tatsächlich nachts wachgelegen, weil ich mir vorgestellt habe, dass ich vielleicht keinen Job mehr finde, wenn es mit der Selbstständigkeit nicht klappt und ich irgendwann unter der Brücke leben muss. Und das war wirklich totaler Nonsens. Ich hatte etwas auf der hohen Kante, und ein Bett und eine warme Suppe am Tag hätte ich immer irgendwo bekommen. Das ist das Unbewusste, das in einem Teil des Gehirns arbeitet, das Reptilien-Gehirn genannt wird, weil es sich über viele Jahrtausende gehalten hat. Dieser Teil sagt: Ob du jetzt glücklich wirst, mit oder ohne Selbständigkeit, ist mir eigentlich ziemlich egal, ich habe nur dafür Sorge zu tragen, dass du überlebst. Deshalb halte ich es für wichtig, auch kleine Schritte und kleine Erfolge anzuerkennen. So stellt man sich den Ängsten und kann sie ein Stück weit ruhig stellen.
Haben sich die Voraussetzungen fürs Gründen im Laufe der Zeit verändert?
Ich habe mich mit 49 Jahren selbständig gemacht und bin manchmal schon ein wenig neidisch auf die, die nach dem Studium gründen. Zu meiner Zeit gab es noch kein Online-Business, da musste man einen Handwerksbetrieb oder einen Handelsbetrieb gründen. Das war mit größeren Risiken verbunden. Heute ist Gründen für junge Menschen total normal. Und ich finde das schon klasse, weil sie einfach weniger Angst haben, weil sie weniger zu verlieren haben und mehr Möglichkeiten haben. Sie zerdenken nicht alles, sondern gehen an die Sache ran. Wenn es nicht klappt, machen sie eben etwas anderes, oder sie haben vorher wenig Geld verdient, und verdienen eben nun auch wieder wenig.
Ist es aus Ihrer Sicht eine Option, je nach Umstand, erst einmal die Arbeitszeit zu reduzieren und Schritt für Schritt in die Selbstständigkeit zu gehen?
Das finde ich gut. Es ist aber auch wieder ein bisschen typabhängig. Es gibt Gründer, die müssen einen Strich ziehen, einen harten Cut machen. Für andere ist es schwierig, sich kreativ und mit vollem Engagement auf ein Projekt zu konzentrieren, wenn sie gleichzeitig den Druck verspüren, unbedingt den ersten Kunden gewinnen zu müssen. Deshalb ist es schon sinnvoll, parallel zu starten und das Projekt langsam voranzubringen. In den vergangenen Jahren haben sich ja auch neue Arbeitszeitmodelle entwickelt, die das erleichtern. Ich sehe es aber oft, dass viele die Möglichkeit haben, nebenberuflich zu starten. Doch dann fehlt ihnen die Energie, weil sie im Kopf dicht sind. Und dann funktioniert das parallel mit einem Job leider nicht. Wenn es aber zeitlich und energetisch machbar ist, empfehle ich tatsächlich, das nebenberuflich zu machen und sukzessive die ersten Schritte zu gehen. Dadurch sammelt man erste Erfahrungen und gewinnt massiv an Selbstvertrauen. Das beflügelt und gibt Mut, weiterzumachen.
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Unsere Gesprächspartnerin: Sabine Votteler ist Gründerin von Next Level Consulting. Als erfahrene Führungskraft machte sie selbst im Alter von 49 Jahren den Schritt in die Selbständigkeit.