Das sind die wahren Helden der deutschen Wirtschaft
13 Unternehmen schaffen 65 Prozent des gesamten deutschen Produktivitätswachstums. Was zeichnet sie aus, wer gehört dazu – und wie bekommen wir mehr davon?
Für ein starkes Produktivitätswachstum einer Volkswirtschaft müssen sehr viele Firmen gleichzeitig vorankommen – diese verbreitete Meinung ist laut einer neuen Studie des McKinsey Global Institute (MGI
) falsch. Tatsächlich, so das Fazit der Studie, gehe der Produktivitätsfortschritt eher auf „einige wenige Unternehmen, die eine Meile vorankommen“ zurück, als auf „viele Firmen, die einen Zentimeter“ schaffen.
Das Washingtoner MGI ist eine Forschungseinrichtung der Unternehmensberatung McKinsey & Company. Für die neue Studie hat das MGI das Produktivitätswachstum von 8300 Unternehmen in den USA, Großbritannien und Deutschland in den Jahren 2011 bis 2019 analysiert.
Der Zeitraum wurde gewählt, weil es sich dabei um eine vergleichsweise stabile wirtschaftliche Phase handelte – ohne außergewöhnliche Einschnitte wie der Finanzkrise von 2008 oder die Coronapandemie ab 2020. Gemessen wurde die Bruttowertschöpfung pro Mitarbeiter, also die Produktionswerte abzüglich der Vorleistungen.
Die oberen 0,4 Prozent
Laut der Studie „The Power of One: How standout firms grow national productivity“, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt, sind es nur wenige Unternehmen, die den Großteil des Produktivitätswachstums ganzer Länder tragen. In jedem der untersuchten drei Länder waren weniger als 100 große Unternehmen für rund zwei Drittel des Produktivitätswachstums verantwortlich.
In Deutschland entfielen 65 Prozent des Fortschritts auf nur 13 Firmen – das sind gerade einmal 0,4 Prozent der 3000 untersuchten deutschen Unternehmen. Entsprechend spektakulär klingt der vom MGI skizzierte Weg zu deutlich mehr Wachstum in Deutschland: Hätten wir 20 weitere solcher Vorzeigeunternehmen, würde sich das Produktivitätswachstum verdoppeln.
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Was macht ein Unternehmen zu einem solchen Produktivitäts-Champion? Laut MGI handelt es sich um Firmen, die entweder ihre Produktivität im Untersuchungszeitraum besonders rasant steigern konnten oder die an der Spitze geblieben sind und sowohl ihre Produktivität als auch ihren Marktanteil weiter ausbauen konnten.
Als deutsche Spitzenreiter erwähnt die Untersuchung etwa den Online-Händler Zalando, die Handelskette Rewe, den Technologiekonzern Carl Zeiss, das Logistikunternehmen Hapag-Lloyd und den Motorenhersteller MTU Aero Engines. Auch der europäische Flugzeugbauer Airbus zählt zu den produktiven Zugpferden der Wirtschaft.
Es ist der Mut
Die Unternehmen schafften die Produktivitätssprünge nicht primär durch Effizienzsteigerungen, also etwa durch besonders konsequente Kostensenkungen, sondern durch gezielte strategische Weichenstellungen: etwa durch die Entwicklung und Skalierung produktiverer Geschäftsmodelle und Technologien, durch besonders starke Innovationen oder durch die mutige Fokussierung der Geschäftsstruktur auf die produktivsten Regionen oder Produkte.
In der deutschen Unternehmenslandschaft fand das MGI solche Erfolge vor allem in traditionellen Schlüsselindustrien wie der Automobilindustrie oder dem Einzelhandel. In wachstumsstarken Zukunftsbereichen wie Elektronik, Halbleiter und Computertechnik – wo die USA besonders stark sind – ist Deutschland dagegen unterrepräsentiert. Die Entwicklung neuer Wachstumssektoren und -unternehmen ist laut der Studie deshalb eine zentrale Herausforderung für die kommenden Jahre.
„Die Ergebnisse zeigen, dass ein Umdenken einsetzen muss: Nicht die Vielzahl aller Unternehmen gibt den Ausschlag für Produktivitätswachstum, sondern die Skalierung weniger, hochdynamischer Firmen“, sagt Jan Mischke, Partner des MGI und Co-Autor der Studie. „Und während Effizienz immer wichtig bleibt, muss der Fokus auch auf Innovation liegen.“ Das gelte auch für Künstliche Intelligenz: „Unternehmen, die KI primär als Tool zur Kostenreduktion einsetzen, laufen Gefahr, am Ziel vorbeizulaufen.“
Auch sollte Deutschland die Produktivitätsbremser im Blick haben, also die Unternehmen, die trotz geringer Produktivität nicht restrukturieren oder aus dem Markt austreten. Solche Low-Performer halten sich in Deutschland viel länger als etwa in den USA, wo Kapital und Personal schneller von den Bremsern zu den Champions wandert. Der Preis, den die deutsche Wirtschaft dafür bezahlt, ist hoch: Die beharrlichen Bremser machen laut Studie das durch die Vorreiter erzielte Wachstum weitgehend zunichte.
„In den USA bestimmen die Expansion hochproduktiver Unternehmen und der Marktaustritt weniger produktiver Firmen rund die Hälfte des beobachteten Produktivitätszuwachses. Diese dynamische Verschiebung von Ressourcen bleibt in Deutschland bislang weniger stark ausgeprägt”, sagt Mitautor Mischke.
Signal an die neue Regierung
Die Studie kann auch als Signal an die neue Bundesregierung verstanden werden. Unternehmensführer sollten angesichts der neuen Erkenntnisse „ihre Strategien überdenken“, appelliert McKinsey, „und politische Entscheidungsträger gezielt den Aufbau neuer Geschäftsfelder bei bestehenden oder zukünftigen Großunternehmen fördern“.
Wichtig sei zudem eine „Marktdynamisierung“: Strukturreformen und vereinfachte Regulierungen stünden in Deutschland seit Jahren auf der Agenda. „Ein echter Durchbruch – der gezielten Restrukturierungen unproduktiver Unternehmen und eine beschleunigte Verschiebung von Marktanteilen und Arbeitskräften hin zu leistungsstarken Firmen ermöglicht – kann Deutschland wieder näher an die globale Produktivitätsspitze führen.“
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