Eine Lehrerin unterrichtet Schüler in Deutsch. Foto: Funke Foto Services
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„Das Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit ist kein Kavaliersdelikt“

Kranke Beamte sind privilegiert gegenüber Arbeitnehmern in der freien Wirtschaft. Das kann fatale Folgen haben, wie der Fall der seit Jahren krankgeschriebenen Lehrerin zeigt.

Eine Lehrerin aus dem Ruhrgebiet ist seit nunmehr 16 Jahren krankheitsbedingt dienstunfähig. Nach einer Entscheidung des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts muss sie sich jetzt von einem Amtsarzt untersuchen lassen.

WirtschaftsWoche: Erst nach über 15 Jahren schickte das Land Nordrhein-Westfalen im April dieses Jahres eine verbeamtete Lehrerin, die wegen psychischer Probleme inzwischen seit 16 Jahren krankgeschrieben war, zu einer Untersuchung zum Amtsarzt. Dass das rechtens ist, stellte nun das Oberverwaltungsgericht Münster klar. Eine andere Frage aber bleibt damit offen: Hätten der Dienstherr oder der Schuldirektor nicht eher handeln müssen?
Marcus Iske: So ein langes Abwarten wäre in Unternehmen undenkbar. Die Betriebe hätten einen Mitarbeiter, der jahrelang krankgeschrieben wurde, schon 13 oder 14 Jahre eher zum Vertrauensarzt geschickt, um zu entscheiden, wie es weitergeht.

Wie hätte es denn zum Beispiel weitergehen können?
Die Firma hätte den Mitarbeiter womöglich auf eine andere, geeignetere Stelle versetzt, die Arbeitszeit angepasst oder – als letzte Konsequenz – ihm gekündigt. Jedenfalls nicht tatenlos zugeschaut. Der Amtsarzt hätte ja auch herausfinden können, ob die Frau dauerhaft oder zumindest teilweise dienstfähig ist.

Im Unterschied zu Angestellten haben Beamte aber Privilegien…
Sie bekommen kein Gehalt, sondern Besoldung, und die wird im Krankheitsfall in voller Höhe weiterbezahlt. Bei Angestellten sieht das dagegen ganz anders aus. Sie bekommen im Krankheitsfall höchstens sechs Wochen Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber.

Was passiert nach den sechs Wochen?
Nach Ablauf der sechs Wochen wird der Arbeitgeber finanziell entlastet und die Krankenkasse springt für maximal 72 Wochen mit Krankengeld ein. Das fällt aber geringer aus als das Gehalt. Nach Ende des Krankengeldes erfolgt dann die sogenannte Aussteuerung: Der Angestellte bekommt zuerst Arbeitslosengeld und erhält danach Hartz IV, das ist das Bürgergeld.

Welcher Schaden ist nun dem Land und damit letztlich dem Steuerzahler durch 15 Jahre Abwarten entstanden?
Wenn der Amtsarzt festgestellt hätte, dass die Lehrerin dauerhaft dienstunfähig ist, hätte man sie in den Ruhestand versetzen können, das wäre zumindest billiger als die volle Besoldung 15 Jahre lang zu zahlen. Auch eine Versetzung wäre vielleicht möglich gewesen.

Was bei Lehrern vermutlich auch schwieriger ist als in der freien Wirtschaft?
Zugegeben, ja, bei Lehrern gibt es einfach weniger Einsatzmöglichkeiten. Aber eine Alternative wäre etwa eine Tätigkeit in der Verwaltung gewesen – vom Ministerium bis zur Schulaufsicht ist da trotz aller Einschränkungen manches möglich.

Es gibt derzeit Medienberichte, wonach die krankgeschriebene Lehrerin in der Zeit in einer Heilpraktikerpraxis gearbeitet und sogar mit staatlichen Fördermitteln ein eigenes Unternehmen gegründet haben soll. Vorausgesetzt, dass dies sich bewahrheitet: Könnte das Land Nordrhein-Westfalen wenigstens das Geld für diese Zeit zurückfordern?
Ja, sicher, wer Geld vom Land wegen angeblicher Dienstunfähigkeit kassiert und gleichzeitig arbeitet, muss selbstverständlich mit einer Rückzahlung rechnen – und zwar in voller Höhe.

Und sind weitere Konsequenzen denkbar?
Wenn die Frau ihre Dienstunfähigkeit nur vorgetäuscht hat, drohen ihr auch dienstrechtliche Konsequenzen. Das Vortäuschen von Krankheit ist ein schwerwiegendes Dienstvergehen und kann bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen. Dasselbe gilt übrigens auch in der Privatwirtschaft: Das Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit ist kein Kavaliersdelikt.

Die Staatsanwaltschaft könnte dies also verfolgen, etwa mit einer Strafanzeige wegen Betrugs?
Sollten sich die Berichte bestätigen, liegt eindeutig ein Betrug vor. Die Lehrerin muss unter dem Strich also mit einer Rückzahlung, Disziplinarmaßnahmen und einer Strafanzeige rechnen. Bei einer Verurteilung ist neben einer Geld- sogar eine Freiheitsstrafe möglich. Bei Vortäuschen einer Dienstunfähigkeit von mehr als 15 Jahren reden wir gewiss nicht gerade von kleinen Summen.

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