Das Wunderkind wackelt – warum der MSCI World 2025 erstmals seine Aura verliert
Historisch zuverlässig, wurde er in Sparplänen gefeiert als der perfekte Einstieg ins langfristige Investieren. Und jetzt? Was wirklich hinter der Schwäche steckt.
Er galt als das „Weltportfolio für alle“, als die einfache Antwort auf komplexe Märkte. Der MSCI World war für viele Anlegerinnen und Anleger das Wunderkind unter den ETFs. Doch 2025 zeigt der Index erstmals Schwächen. Auf Eurobasis liegt die Performance per Ende April bei minus 9,5 Prozent. Für ein Produkt, das vielen als verlässlichster Kompass galt, ist das ein Warnsignal. Eltern zweifeln. Und das achte Weltwunder, der Zinseszins? Wird plötzlich zur Geduldsprobe.
Doch was steckt wirklich hinter der Schwäche? Und was bedeutet das für langfristige Anleger, für Kinderdepots – und für das Vertrauen in die eigene Strategie? Ich habe nachgerechnet, verglichen und hinterfragt. Und mit unserem Praktikanten über Millionenziele, Weltportfolios und das Timing des Anfangs gesprochen. Denn am Ende entscheidet nicht der Index, sondern der Mensch, der ihn hält.
Vier mögliche Faktoren, die das Wunderkind aktuell straucheln lassen
Was nach dem großen Einbruch klingt, ist in Wahrheit ein Zusammenspiel mehrerer Effekte. Denn der MSCI World hat 2025 nicht plötzlich seine Substanz verloren, aber er leidet unter vier Belastungen:
Techgiganten unter Druck
Apple, Alphabet, Amazon, Nvidia – die einst gefeierten „Magnificent Seven“ erleben ein holpriges Jahr. Allein im ersten Quartal verlor Tesla über 35 Prozent, Alphabet fast 20, Amazon 12 Prozent. Und weil diese Konzerne zusammen rund ein Viertel des Indexgewichts ausmachen, zieht jeder Rücksetzer das Gesamtniveau mit nach unten. Was früher Rückenwind war, wirkt jetzt wie Ballast.Der starke Euro schmälert die Rendite
Der MSCI World wird in US-Dollar berechnet – aber viele Anleger investieren auf Eurobasis. Und genau hier liegt ein unsichtbarer Effekt. Der Euro hat seit Jahresbeginn deutlich aufgewertet: von rund 1,02 auf über 1,13 USD. Was das bedeutet? Selbst stabile Kurse in Dollar verlieren in Euro an Wert. Eine Währungsdämpfung, die in keinem Chart sichtbar wird – aber auf jedem Kontoauszug.Zinsen bleiben hoch, und das kostet Bewertungsspielraum
Die US-Notenbank signalisiert: Zinssenkungen lassen auf sich warten. Für Wachstumsunternehmen (und damit den Tech-lastigen MSCI World) ist das Gift. Steigende Finanzierungskosten, sinkende Bewertungsspielräume, vorsichtigere Investoren: Die Rahmenbedingungen sind nicht mehr auf Seiten der ewigen Gewinner.Politik macht nervös – und Kapital scheu
Ob US-Wahlkampf, geopolitische Spannungen oder neue Zollpakete: Das Jahr 2025 liefert wenig Planungssicherheit. Viele Anleger halten ihr Pulver trocken. Das Kapital zögert. Und das spürt man selbst im robustesten Index.
ETF-Sparpläne: Was wirklich zählt – und was nicht im Chart steht
Ich werde oft gefragt: „Soll ich den Sparplan stoppen, wenn der Markt fällt?“ Und meine Antwort ist jedes Mal dieselbe: Gerade dann lohnt er sich. Denn das Prinzip hinter ETF-Sparplänen ist kein Timing. Es ist Rhythmus, Disziplin und Durchhaltewillen. Wer regelmäßig investiert – auch in fallende Märkte –, kauft automatisch mehr Anteile für den gleichen Betrag. Und genau darin liegt der stille Vorteil. Die Verluste von heute legen das Fundament für die Renditen von morgen.
Der Zinseszins wird oft als „achtes Weltwunder“ bezeichnet. Ob Einstein das wirklich so gesagt hat, bleibt umstritten. Sicher ist aber: Seine Wirkung ist beeindruckend, mathematisch wie emotional. Denn der Zinseszins entfaltet seine Kraft nicht im Monatsvergleich, sondern über Jahre, Jahrzehnte, Generationen. Ein Rückgang um 9 Prozent ist schmerzhaft, keine Frage. Aber nicht dramatisch, wenn das Ziel nicht neun Monate, sondern neunundzwanzig Jahre heißt. ETF-Sparpläne sind keine Mode. Sie sind ein Prinzip. Und dieses Prinzip hält – wenn wir es tun.
Es ist verständlich. Wenn der Markt fällt, das Depot im Minus steht und die Schlagzeilen nervös flackern, fragen sich viele Eltern: „Soll ich den ETF-Sparplan für meine Kinder wirklich weiterführen?“ Doch genau dann ist der falsche Moment für den Rückzieher – und der richtige Moment für Überzeugung. Die Antwort lautet: „Bitte nicht.“
Unser Praktikant und das achte Weltwunder Zinseszins
Unser Praktikant stellte uns kürzlich eine einfache, aber kluge Frage: „Wann ist der beste Moment, um mit einem ETF-Sparplan zu starten?“
Wir haben ihn rechnen lassen – drei Szenarien:
Start mit 16 Jahren, 50 Euro monatlich, durchgehend bis zum 67. Lebensjahr (bei 8 Prozent per anno)
Start mit 30 Jahren, 100 Euro monatlich, ebenfalls bis zum 67. Lebensjahr (bei 8 Prozent per anno)
Start mit 30 Jahren, 100 € monatlich, bis zum 84. Lebensjahr (bei 8 Prozent per anno)
Das Ergebnis war ernüchternd – und lehrreich:
Szenario 1: Gesamteinzahlung: 30.600 Euro, Endwert: ca. 430.125 Euro
Szenario 2: Gesamteinzahlung: 44.400 Euro, Endwert: ca. 271.640 Euro
Szenario 3: Gesamteinzahlung: 64.800 Euro, Endwert: ca. 1.096.776 Euro
Die Erkenntnis? Nicht der Betrag macht den Unterschied. Sondern der Moment des Anfangs.
Wer früh beginnt, lässt den Zinseszins wirken – nicht als Wunder, sondern als mathematische Konsequenz. Jeder Monat, jeder Euro, der früh investiert wird, arbeitet nicht nur mit – er bringt Gewinn, der selbst wieder Rendite erzeugt. Und genau deshalb schlägt das „Wann“ langfristig fast immer das „Wie viel“. Und wer später einsteigt, muss einfach kräftig nachlegen, um den verlorenen Faktor Zeit aufzuholen. Ich sage oft: Kapital entsteht nicht durch Glück. Sondern durch Struktur, Vertrauen, frühe Gewohnheiten und Disziplin. Und vielleicht ist ein ETF-Sparplan nichts anderes als ein Brief an das eigene Ich: „Ich hab’s früh ernst gemeint mit Dir.“
Zwei Weltportfolios – zwei unterschiedliche Blickwinkel
Wer denkt, mit dem MSCI World die ganze Welt im Depot zu haben, liegt nur fast richtig. Denn der Klassiker bildet ausschließlich 23 entwickelte Industrieländer ab – mit einem US-Anteil von rund 70 Prozent. Schwellenländer? Fehlanzeige.
Der MSCI ACWI (All Country World Index) erweitert dieses Bild. Er kombiniert die 23 Industrieländer mit 24 Emerging Markets, darunter China, Indien, Brasilien, Taiwan und Südafrika. Insgesamt finden sich dort über 2500 Aktien (etwa 1000 mehr als im MSCI World). Das schafft eine deutlich breitere Diversifikation – geografisch wie strukturell.
Gleichzeitig bedeutet das: mehr Chancen, aber auch mehr Schwankung. Die historische Volatilität des ACWI liegt leicht über der des World (ca. 15,5 Prozent vs. 14 Prozent per anno). Und obwohl der ACWI mehr Titel enthält, ist sein Top-Ten-Anteil ähnlich hoch, weil auch hier US-Techgiganten dominieren. Dafür liegt der Schwellenländeranteil bei rund 10 Prozent – ein Baustein, der im World komplett fehlt.
Kostenunterschiede? Minimal. Die durchschnittliche Gesamtkostenquote (TER) bei ETFs liegt beim World um die 0,20 Prozent, beim ACWI etwa bei 0,25 Prozent. Beide sind damit extrem effizient.
Für mich ist der MSCI World ein solider Kernbaustein. Klar strukturiert, stark fokussiert. Der ACWI bietet das breitere Bild – mit leicht höherem Risiko, aber mehr globalem Anspruch. Welche Welt man abbildet, ist keine technische Entscheidung. Es ist eine Frage der Überzeugung.
Zwischen den Zeilen
Der MSCI World war für viele die Eintrittskarte an den Kapitalmarkt – einfach, solide, bewährt. Und doch zeigt uns 2025: Kein Index ist unfehlbar. Kein ETF immun gegen Schwankungen. Selbst das Wunderkind kann stolpern.
Und genau das ist der Moment, innezuhalten. Nicht um zu zweifeln, sondern um sich bewusst zu werden, was Investieren eigentlich bedeutet. Ein ETF-Sparplan ist kein Renditeversprechen. Er ist ein Prozess, ein Bekenntnis zur Langfristigkeit – und ein Vertrauensvorschuss an das eigene zukünftige Ich. Er verlangt keine Marktmeinung, keine Prognose, kein Händchen fürs Timing. Er verlangt nur eines: Dranbleiben.
Denn Kapital folgt nicht dem Trend, es folgt Überzeugungen. Nicht der Index entscheidet am Ende über Vermögen, sondern die Fähigkeit, an einer Strategie festzuhalten, wenn der Lärm größer wird. Und genau darin liegt die eigentliche Kunst der Geldanlage: Nicht das perfekte Produkt zu wählen, sondern das richtige Verhalten zu zeigen.
Ich sehe es oft: Menschen fragen nach dem besten ETF. Nach dem günstigsten Einstieg. Nach der nächsten Gelegenheit. Aber was sie wirklich brauchen, ist keine Antwort auf das „Was“, sondern eine Haltung zum „Wie“. Ob MSCI World oder ACWI, ob 50 Euro mit 16 oder 100 Euro mit 30 – am Ende zählt nicht, wer den besten Plan hatte. Sondern wer ihn umgesetzt hat. Denn Vermögen entsteht nicht durch Glück. Sondern durch Klarheit. Durch Gewohnheiten. Und durch Zeit.
