Daten als Kapital des Digitalkapitalismus: Wie der Wert von Daten entsteht, wem er gehört und welchen Preis wir zahlen
Daten sind das Kapital des digitalen Kapitalismus. Im industriellen Kapitalismus hat sich eine Ordnung gebildet, wie wir die Konzentration von Kapital begrenzen, den Wettbewerb vor Missbrauch von Marktmacht schützen, den Arbeiter durch Gewerkschaften vor Ausbeutung schützen und die Souveränität des Konsumenten gewährleisten. Alles das fehlt derzeit von für den Umgang mit Daten, die Regulierung von Plattformen und den Schutz der Nutzer in seiner informationellen Selbstbestimmung. Die digitale Ordnung wird jedoch wesentlich darüber entscheiden, ob Digitalisierung zu einer Bedrohung oder zu einer Chance für Marktwirtschaft und Demokratie wird.
Das Prinzip der Digitalisierung ist die Verknüpfung von Daten. Dadurch werden technologisch völlig neue Lösungen möglich, die ökonomisch immense Chancen eröffnen, aber ebenso Gefahren von Missbrauch beinhalten. Ein Beispiel: Ein älterer Mensch, der vom Einkaufen kommt, mag sich wünschen, von einem autonomen Taxi erkannt und nach Hause gebracht zu werden, in einer Unfallsituation, in der das autonome Taxi eine Entscheidung trifft, entweder ein junges Kind oder den älteren Menschen zu erfassen, jedoch nicht. Darüber hinaus stellt sich zukünftig die Frage, ob der autonome Taxiservice von einer Lebensversicherung oder die Lebensversicherung von einem autonomen Taxiservice angeboten wird. Wie behält der Nutzer angesichts dieser Form der komplexen Vernetzung die Hoheit über seine Daten und die Entscheidungsgewalt darüber, wie seine Daten situationsabhängig genutzt werden dürfen?
Die Regulierung der Digitalisierung basiert letztlich auf der Ökonomik der Daten. Daten und ihre Nutzung weisen ökonomisch einige Besonderheiten auf. Ein einzelner Datensatz ist im Prinzip wertlos. Erst der Zugang zu massenhaften Daten erzeugt den ökonomischen Wert. Plattformen nutzen die positiven Netzwerkeffekte von Daten, indem sie Daten und Informationen zentralisieren. Das hat zwei ambivalente Folgen: Zum einen ist die ökonomische Effizienz umso größer, je größer die Plattform ist. In diesem Sinne handelt es sich bei Plattformen oftmals um ein sogenanntes „natürliches Monopol“. Zugleich steigt damit aber die Monopolisierung, da die steigenden Skalen- und Netzwerkeffekte eine Plattform fast automatisch immer größer machen. Die zweite Ambivalenz besteht in der ökonomischen Asymmetrie zwischen dem einzelnen Nutzer und der Plattform. Für den einzelnen Nutzer ist der ökonomische Wert seiner Daten sehr gering, die Summe aller Daten jedoch für die Plattform jedoch extrem hoch. Mit der Größe der Plattform steigt zugleich der individuelle Anreiz, der Plattform beizutreten und eigene Daten zum Preis von Null zur Verfügung zu stellen, ohne jedoch an dem Wert der Daten zu partizipieren. Denn eine Plattform funktioniert zumeist als sogenannter zweiseitiger Markt: Das Sammeln von Daten erfolgt über eine angebotene Dienstleistung, zum Beispiel ein Soziales Netzwerk mit Kommunikationsmöglichkeiten anzubieten, die ökonomische Monetisierung erfolgt jedoch gegenüber Unternehmen, die die Plattform für Werbung und Vertrieb nutzen. Obwohl der Nutzer keinen Preis für den Beitritt zu einem Netzwerk zahlt, ist es für ihn dennoch teuer, der Plattform nicht beizutreten, denn er schließt sich dadurch von deren Nutzung aus.
Es ist angesichts der immer größer und mächtiger werdenden Plattformen daher an der Zeit, ernsthaft und neu über adäquate Regulatorik nachzudenken. Die Zerschlagung von Plattformen, wie sie jüngst immer häufiger im Zusammenhang mit Facebook gefordert wurde, ist ein Instrument der industriellen Ordnungslogik. Zwar ist nicht auszuschließen, dass die US-amerikanischen Behörden selbst Facebook zerschlagen würden, denn der Schutz des Konsumenten ist in den USA extrem bedeutsam und in der Vergangenheit sind große Öl- und Telekommunikationsunternehmen tatsächlich zerschlagen worden. Die digitale Ordnungslogik erfordert jedoch dem Prinzip nach völlig andere Antworten. Plattformen zu zerschlagen, bedeutet zugleich, sie ihrer ökonomischen Effizienz zu berauben. Es gilt, durch die Regulierung der Daten einen Missbrauch von Daten und der Marktmacht von Plattformen zu unterbinden, indem der Nutzer in seiner informationellen Selbstbestimmung gestärkt wird und zweitens mehr Wettbewerb zwischen den Plattformen erzeugt wird und Märkte bestreitbar bleiben.
Zwei heute noch radikal erscheinende, aber für die zukünftige Datengesellschaft gleichwohl denkbare Möglichkeiten gibt es hierfür. Die erste besteht darin, den einzelnen Nutzer an dem ökonomischen Wert der Plattform zu beteiligen, indem die Nutzer eine Art Datengenossenschaft bilden, also sich den ökonomischen Wert ihrer Daten teilen und zugleich kollektiv darüber entscheiden, was in welcher Situation und zu welchem Zweck mit den Daten passiert.
Eine zweite Lösung besteht darin, Daten zwingend öffentlich zu machen, also Daten zu sozialisieren. Wenn der ökonomische Nutzen in der systematischen Verknüpfung und somit Zentralisierung von Daten liegt, darf es kein Privateigentum an Daten geben. Mehr noch: Werden Daten zu einem öffentlichen Gut, sinkt der Anreiz, lediglich Daten zu sammeln, und steigt der Anreiz, innovative Lösungen und bessere Algorithmen zu entwickeln. Der Wettbewerb um die besten Lösungen darf nicht über das Eigentum oder die Nutzungsrechte an Daten, sondern um die Qualität der Algorithmen organisiert werden. Durch den freien Zugang zu Daten wird sichergestellt, dass Märkte immer durch bessere und innovative Geschäftsmodelle bestreitbar bleiben. Zudem können sich dann gute Plattformen durch Offenlegung ihrer Algorithmen von den schlechten unterscheidbar machen.
Dieser beiden abstrakten Ansätze müssen durch ein umfassendes Datenrecht, das nicht allein im Sinne eines reinen Datenschutzes verstanden werden darf, flankiert werde, welches einerseits die Vernetzung von Daten (und somit den ökonomischen Nutzen) nicht unnötig restringiert, zugleich aber die private Monopolisierung der Daten und die Ausbeutung des Nutzers verhindert. Die Sozialisierung der Daten darf sich selbstredend nicht auf sämtliche personenbezogenen Daten beziehen. Diese Entscheidung muss allein beim privaten Nutzer liegen, dessen Position jedoch deutlich gestärkt werden muss. Das bedeutet, dass unter anderem die Zustimmung zu den AGBs für den Nutzer stark vereinfacht werden muss. Niemand liest sich die AGBs vollständig durch, wenn man sich schnell am Flughafen in das WLAN einloggen möchte. Denkbar wäre, etwa drei Kategorien A, B und C als Standard einzuführen, die den Grad der Nutzung bestimmen – von beschränkter und temporärer bis hin zu unbeschränkter und permanenter Nutzung der Daten.
Die Digitalisierung hat fundamentale Ordnungsfragen aufgeworfen, die heute nicht im Ansatz beantwortet sind. Nur durch eine neue digitale Ordnung können aber die Chancen und Risiken der Digitalisierung zum Wohle und zum Schutz der Nutzer gesteuert und gestaltet werden. Der Nutzer muss am Ende frei und transparent entscheiden können, wann, zu welchem Zweck und in welchem Umfang seine Daten genutzt werden dürfen. Den Wert und den Preis, den er dafür erhält oder zahlt, ist Teil seiner informationellen Selbstbestimmung und seiner ökonomischen Konsumentensouveränität. Das lässt sich ordnungspolitisch am Ende nur sicherstellen, wenn der digitale Wettbewerb nicht über die exklusiven Nutzungsrechte der Plattformen an Daten, sondern über die beste Lösung für den Nutzer organisiert wird.