Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft im Koalitionsvertrag – eine Bewertung
Die Wirtschaft befindet sich mitten in der großen Transformation, in Richtung Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft, angetrieben von Erneuerbaren Energien. Was hat sich die neue Bundesregierung im Bereich Industrie und Nachhaltigkeit vorgenommen? Eine Bewertung zu den Kernthemen.
Die neue Bundesregierung aus SPD und CDU/CSU stellte Anfang April 2025 ihren Koalitionsvertrag vor. Die Koalition bekennt sich zu Klimaneutralität bis 2045 und unterstützt das EU-Ziel 2040. Klimaschutz, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und soziale Ausgewogenheit sollen vereint und Ziele zur Reduktion des Primärrohstoffverbrauchs gesetzt werden.
Die zentralen Ergebnisse im Überblick
Erklärung von Carbon Capture, Utilization and Storage (CCUS) als unerlässliches Instrument für das Ziel der Klimaneutralität
Ermöglichung der CO2-Speicherung Offshore außerhalb des Küstenmeeres in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Nordsee sowie an Land (Einführung einer Länderöffnungsklausel)
Voranbringen des Emissionshandels auf europäischer und internationaler Ebene: weitere Länder sollen für die CO2-Bepreisung gewonnen werden, unter Umständen soll für exportorientierte Branchen weiterhin eine kostenfreie Zuteilung von Zertifikaten erfolgen, Fortsetzung der Vereinfachung von CBAM. die Belastungen für Verbraucher und Unternehmen sollen etwa durch Entlastungen und Förderungen sozialverträglich abgemildert werden
geplante Entbürokratisierung in Genehmigungsverfahren
Fortsetzung der Förderprogramme zur Dekarbonisierung der Industrie (namentlich die Klimaschutzverträge)
Weiterentwicklung des European Green Deal und des Clean Industrial Act, um Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz zusammenzubringen
Innovationen sollen mehr in den Fokus rücken
Planung der Umsetzung der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) sowie Förderung für Rezyklate, Abfallvermeidung und Shared Economy
aktive Unterstützung der Transformation der Wirtschaft
Förderung einer Wasserstoff-Ladeinfrastruktur für Nutzfahrzeuge im Zusammenhang mit der geplanten Förderung der E-Mobilität
weiterer Hochlauf des Wasserstoffmarkts als zentraler Bestandteil der Transformationsstrategie unter Nutzung nationaler und europäischer Förderinstrumente (z.B. IPCEI, Klimaschutzverträge) und Ermöglichung der Speicherung und Nutzung von abgeschiedenem CO2 (auch Carbon Capture, Utilisation and Storage, kurz CCUS genannt)
Vorantreiben eines vertrauenswürdigen und unbürokratisch umsetzbaren Zertifizierungssystems für klimafreundliche Energieträger.
Dies gibt den jeweiligen Marktakteuren zunächst Planungssicherheit. Allerdings sind noch viele Herausforderungen zu bewältigen: So stecken die Bereiche CCUS und Wasserstoff noch in den Kinderschuhen, sodass die zukünftige Bundesregierung vor allem in diesem Bereich gefordert bleiben wird, den weiteren Weg für die Dekarbonisierung Deutschlands zu ebnen. Da die Ausbauziele für die Windenergie an Land bis 2032 hinterfragt werden, könnte dies Unsicherheiten in den Planungsbehörden führen. Zudem fehlt eine Eindeutigkeit darüber, ob Maßnahmen über die Omnibus-Pakete der Europäischen Kommission hinaus geplant sind. NGOs wie NABU kritisieren, dass die Technologieoffenheit bei Kraftwerken, Fahrzeugen und Wasserstoffnutzung dazu führen kann, den Klimaschutz zu schwächen und die Transformation zu verlangsamen. Zudem bleibt die konkrete Ausgestaltung der Rückverteilung der CO₂-Einnahmen an Bürger:innen und Unternehmen unklar (der geplante CO₂-Sozialfonds erreicht nicht die Wirksamkeit eines direkten Klimagelds). Auch wird möglicherweise die Tür für fragwürdige Auslandskompensation geöffnet, und es fehlen verbindliche Maßnahmen beim Ausbau erneuerbarer Energien (z.B. Solardachpflicht).
Im Bereich der Kreislaufwirtschaft fokussieren sich Rohstoffförderung und -fonds zu stark auf die Gewinnung von Primärrohstoffen statt auf den Aufbau einer Recyclinginfrastruktur. Zudem wird die einseitige Betonung des chemischen Kunststoffrecyclings betont, ohne Unterstützung des ökologisch vorteilhafteren mechanischen Recyclings. Das Engagement für einen digitalen Produktpass benötigt gezielte Unterstützungsmaßnahmen für KMU. Die Förderung klimafreundlicher und klimaneutraler Produkte benötigt konkrete Impulse für eine zirkuläre Wirtschaft. Auch bedarf das Ziel, den Primärrohstoffverbrauch zu senken, präziserer Maßnahmen (Finanzierungsvorbehalte). Was am Ende in die Tat umgesetzt werden kann, bleibt abzuwarten.
Weiterführende Informationen:
Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.