Dem demographischen Wandel entgegenwirken: Interview mit Christine Bergmair
In Deutschland ist der demografische Wandel aufgrund seiner Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Sozialsysteme, vor allem die Arbeitswelt und soziale Sicherungssysteme, ein bedeutendes Thema für Politik und Wirtschaft. Auch die Unternehmerin Christine Bergmair sieht in der Fachkräftesicherung einen hohen Handlungsbedarf, damit Deutschland auch künftig ein leistungsfähiger Standort bleibt. An ihrem Beispiel zeigt sich, wie sich dem Fachkräftemangel nachhaltig entgegenwirken lässt.
Gerade im ländlichen Bereich macht sich der Fachkräftemangel bei Ärzten und Therapeuten besonders bemerkbar. Der demographische Wandel verstärkt diese Effekte. Auch sind die Wege zu präventiven Angeboten häufig sehr viel weiter als in der Stadt und bieten für ältere oder mobilitätseingeschränkte Menschen eine große Herausforderung und Hürde. Durch die Vernetzung und Integration von therapeutischen Angeboten, Medizin, Naturheilkunde, Prävention, Sozialangeboten sowie Bildung steht mein Konzept für nachhaltige zukunftsfähige Umsetzung moderner Gesundheitsversorgung.
In unserer Region zeigt sich ein gemischtes Bild: Es gibt zahlreiche landwirtschaftliche Betriebe - die Menschen, die hier leben, wollen auch bis ins hohe Alter zuhause bleiben. Viele junge Leute gehen zum Studium in die Großstädte und bleiben. Gleichzeitig sind wir trotz der ländlichen Gegend eine sehr wirtschaftsstarke Region. Die Lage zwischen Augsburg und München, kurze Wege nach Fürstenfeldbruck und zum Ammersee lockt viele Familien, für die die Metropolregion München zu teuer ist. In der medizinischen Versorgung entsteht ein großes Defizit: die Krankenhäuser sind weit entfernt, für Fachärzte muss man oft lange Wege in Kauf nehmen, und im Bereich der Allgemeinmedizin sind wir ein unterversorgtes Gebiet, Patienten belasten lange Wartezeiten. Wenn man dann noch betrachtet, dass viele der noch praktizierenden Ärzte in der Region auch schon über 60, teilweise schon über 70 sind, und eine Nachfolge nicht gesichert ist, lässt das bange in die Zukunft blicken.
Positive Entwicklung bringen die zahlreichen jungen Familien, die hier ansässig werden. Kindergärten und Schulen unterschiedlicher Formen. Ebenso die Wirtschaftsstärke unserer Region und des Wittelsbacherlandes mit zahlreichen Firmen unterschiedlicher Größe und Branchen. Die 20-min. Zugverbindung zum Münchner Hbf, 50 min. Fahrzeit zum Münchner Flughafen und die Nähe zur Ammerseebahn sowie nach Augsburg bringen eine gute Mobilität mit sich. Dies bietet zahlreiche Chancen: Mitarbeiter und Menschen, die wohnortnah arbeiten wollen, viele potentielle Patienten bzw. Menschen mit Interesse für ihre eigene Gesundheit und ihr Wohlbefinden, viel frischer Wind auch durch junge Leute, ein verkehrsgünstiger Standort mitten in der Natur! Risiken sind dennoch der Fachkräftemangel, häufig das fehlende Verständnis für Geschäftsmodellinnovationen, das sicherlich in den Städten noch weiterentwickelt ist und schneller Synergien findet, Konflikte mit konservativen Meinungen und Tradition und eine fehlende Attraktivität für Menschen, die die Vorteile des Stadtlebens nicht mehr missen wollen. Ich sehe beide Aspekte trotzdem als Chance für Entwicklung, denn wo Reibung ist, werden häufig Impulse angestoßen, die eine Veränderung herbeiführen können.
Seit Jahren sind wir in den Medien schon mit den Themen „Fachkräftemangel in der Pflege“, „krankes Gesundheitssystem“, „Praxissterben“, „Patientenstau“ und ähnliches konfrontiert. Man könnte fast schon meinen, wir haben uns daran gewöhnt. Viele werden die Konsequenzen jetzt schon spüren, junge oder gesunde Menschen sind wohl am wenigsten betroffen. Und dennoch: irgendwie bleibt das Gefühl und auch die Realität, dass sich viel zu wenig nachhaltig und innovativ bewegt. Aber wir müssen kreativ werden: wir haben zu wenig Nachwuchs bei Ärzten und Pflegepersonal. Der demografische Wandel führt dazu, dass wir auch immer älter werden und ein höherer Gesundheitsbedarf da ist. Frühe Renten lassen Fachkräfte zusätzlich aus dem Arbeitsleben ausscheiden – diese Themen sind alle bekannt. Konkret heißt das im Gesundheitswesen: Wir haben zu wenig wohnortnahe medizinische Versorgung. Medizinisches Personal ist unter Druck: das wirkt sich in der Qualität aus. Und: das bisherige System ist stark krankheitsorientiert, präventive Maßnahmen, die auf Dauer das System entlasten können und echten Mehrwert bieten, finden kaum Berücksichtigung.
Selbstbestimmtheit spielt eine wichtige Rolle, denn wir alle wollen frei sein und ohne Abhängigkeiten leben. Dazu braucht es ein offenes und unterstützendes Arbeitsumfeld. Im Gesundhaus setze ich es so um, dass die Räumlichkeiten bereits bezugsfertig und die Gemeinschaftsräume voll ausgestattet sind. Jeder bleibt für sich selbständig, aber profitiert von den Synergien der Gemeinschaft. Die Integration in die gemeinsamen Marketingmaßnahmen schafft Sichtbarkeit und Vernetzung. Gemeinsame Fallbesprechungen unterstützen bei der Ausarbeitung eines ganzheitlichen medizinischen Konzepts und bereiten Freude in der Zusammenarbeit. Jeder hat hier ein hohes Maß an Umsetzungsspielraum und viele Mitgestaltungsmöglichkeiten. Im Wesentlichen geht es um die Vision, gemeinsam mit Diagnostik und Therapie ein ganzheitliches Bild des Patienten zu entwickeln. Jeder Therapeut, Arzt oder Akteure arbeitet hier eigenverantwortlich , kann sich aber jederzeit mit der Gemeinschaft vernetzen und in Zusammenarbeit und Austausch treten.
Das Gesundhaus ist ein Wohlfühlort für Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und für Arbeitende, denen ebenfalls ein menschlicher Umgang im Job wichtig ist. Die Angebote im Seminarraum richten sich an Menschen jeden Alters: es entsteht ein Raum für Begegnung und Austausch, aber auch für gemeinsame Erlebnisse und Steigerung der Lebensqualität. Altersübergreifende Angebote fördern den Austausch und schlagen Brücken von jung bis alt. So können auch Synergien und Unterstützungsmöglichkeiten für private Lebenssituationen entstehen. Für Fachkräfte haben wir zudem einen starken Fokus auf Wissenstransfer und qualitativ hochwertige Aus- und Weiterbildung. Beispielsweise wird es auch Vorträge und Seminare von berenteten Ärzten geben, die gerne ihr Wissen an die nächste Generation weitergeben wollen. Die spätere Erweiterung des Projekts mit einem Gasthaus, Hotel und Veranstaltungssaal sowie einem Feinkosthaus für regionale Lebensmittel lassen das i-Tüpferl www.i-tuepferl.de zu einem Ort für Genuss, Freude und Gesundheit werden. Austausch, Begegnung und Entwicklung sind wesentliche Säulen im Konzept. Sie können der Region wertvolle Impulse und Möglichkeiten für die Steigerung der Lebensqualität geben und letztlich für ein zukunftsfähiges Morgen! Aufrichtigkeit im Umgang sowie nachhaltiges Wirtschaften sind meine Herzensanliegen.
Christine Bergmair, Jahrgang 1993, ist Osteopathin und Heilpraktikerin sowie Unternehmerin. Sie studierte Corporate Management and Economics – Wirtschaftswissenschaften – an der interdisziplinär ausgerichteten Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Nach unterschiedlichen praktischen Erfahrungen im Krankenhaus-Management, im bayerischen Gesundheitsministerium und einem südafrikanischen AIDS-Hospiz entschied sie sich für ein weiteres fünfjähriges Studium zum M. Sc. Osteopathischen Medizin. Zeitgleich absolvierte sie die Zulassungsprüfung zur Heilpraktikerin. Seit 2022 arbeitet sie aktiv an der Umsetzung des Gesundhaus i-Tüpferl, in dem Gesundheit und Prävention ganzheitlich und zukunftsfähig gelebt werden soll. Im August 2022 wurde sie Geschäftsführerin der Torgauer Landhandels GmbH – ein privatgeführtes Familienunternehmen, das EU-weit im Agrar- und Landhandel tätig ist. Hier begleitet sie den Wandel in die neue Zeit und möchte im Projekt i-Tüpferl Gesundheit und Qualität von Lebensmitteln im Sinne des nachhaltigen Wirtschaftens zusammenbringen.