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DENKT MIT! Zur Bedeutung der Wissenschaft in Krisenzeiten

Wenn allerdings wissenschaftlich fundierte Tatsachen wie der Klimawandel geleugnet oder relativiert werden, wird ihr die Basis entzogen und das Fundament unserer Demokratie erschüttert. 2017 haben Menschen weltweit mit dem March for Science ein Zeichen für demokratische Werte und eine freie Wissenschaft gesetzt - gegen Populismus und „alternative Fakten“, für kritisches Denken und fundiertes Urteilen. Voraussetzung dafür sind nachvollziehbare Sorgfalt, Genauigkeit und Zeit, verlässliche Kriterien, die uns darin unterstützen, die Wertigkeit von Informationen richtig zu verorten. Es geht heute darum, Wirklichkeit als eine uns allen gemeinsame zu verstehen – für die politische Theoretikerin und Publizistin Hannah Arendt gehörte dies zum „gesunden Menschenverstand“, denn Realität ist das, was uns von Natur aus gegeben ist und woran wir uns orientieren, wenn wir (be)urteilen und Entscheidungen treffen. Es verwundert nicht, dass sie heute auch von vielen jungen Menschen wiederentdeckt wird, denn ihre Worte werden gebraucht, weil die Gemeinsamkeit der Welt heute immer mehr abnimmt, „Aberglauben und Leichtgläubigkeit“ zunehmen und „sich die Menschen auf ihre Subjektivität zurückziehen“ (Carolin Emcke). In ihrem aktuellen Buch „DENKT MIT!“ zeigen der Physiker Harald Lesch und der Autors Klaus Kamphausen, wie grundlegend und entscheidend die Naturwissenschaften für alle Lebensbereiche und für die Bewältigung von Krisen sind.

Harald Lesch ist Professor für Theoretische Astrophysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit vielen Jahren vermittelt er einer breiten Öffentlichkeit populärwissenschaftliches Wissen, u. a. moderiert er „Leschs Kosmos“ im ZDF. Klaus Kamphausen lebt als Publizist und Dokumentarfilmer in München. Gemeinsam mit Harald Lesch veröffentlichten sie 2016 „Die Menschheit schafft sich ab“ und 2018 „Wenn nicht jetzt, wann dann?“. Ihr Appell „DENKT MIT!“ erinnert daran, wie wichtig unser Verständnis für die Möglichkeiten und Grenzen der Wissenschaft ist: Wir müssen begreifen, wie sie arbeitet, worin ihre Kompetenzen liegen und wo ihre Grenzen. „Nur dann können wir Missverständnisse und Vorurteile hinter uns lassen.“ Kritisiert wird vor allem, dass sich seit Beginn der COVID-19-Pandemie immer wieder Stimmen publizistisch Gehör verschafft haben, die jene aus der Wissenschaft – vor allem Virologen, Epidemiologen und Klimaforscher - zurückdrängen wollen. Dabei können gerade die Naturwissenschaften Sachverhalte erklären, Fakten liefern, Orientierung geben und Lösungen bieten. „Doch gerade sie sind im Laufe der Pandemie fundamental unter Beschuss geraten – von Populisten, von Ideologen, von Schwätzern“, die ihre eigene Agenda verbreiten und Fakten leugnen. Ein solchen Verhalten ist vor allem in Krisenzeiten populär (und gefährlich). Es befeuert die Krise, anstatt sie zu bekämpfen.

Sie sind zudem außerdem zurückhaltender als die selbst ernannten Experten. Belegt wird auch, wie ganzheitlich Naturwissenschaften inzwischen forschen. Vor diesem Hintergrund ist das Buch auch ein Appell, die Grenzen zwischen den Disziplinen zu überwinden, alte Denkmuster aufzugeben und zu einem neuen, ganzheitlichen Wissenschaftsverständnis zu finden, das uns hilft, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern: „Wir brauchen eine Annäherung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, um dem Zerfall der Wissenskultur entgegenzuwirken und ein konsistentes Wirklichkeitsverständnis zu schaffen, gerade und vor allem in Krisenzeiten.“ Geisteswissenschaften liefern uns aus Sicht der Autoren die Innenperspektive der Gesellschaft, während sich Naturwissenschaften damit beschäftigen, was draußen in der Welt der Natur und der Technik vor sich geht.“

Schon Leonardo da Vinci löste Probleme mit einer praktischen und empirischen Herangehensweise. In seinen Forschungen waren Natur und Geschichte, Geist und Körper keine Gegensätze, die Grenze zwischen Wissenschaft und Kunst war stets durchlässig. Auch wenn er das sichtbare Universum erforschte, so war ihm auch bewusst, dass das, was er sah, nicht der ganzen Realität entsprach. Außerdem ließ er Zweifel in Bezug auf Wahrnehmung, Vernunft und Intuition zu. Dennoch war er davon überzeugt, dass der Wille nicht nachlassen darf, das akzeptierte Wissen ständig zu hinterfragen.

Allerdings ist es hier nicht allein mit blitzgescheiten Theorien von Inter- oder Transdisziplinarität getan. Theoretisches Wissen ist gut, aber nur durch praktische Anwendung ist Lernen möglich, das mit Wissen und Können „schon früh eine Einheit bilden sollte“, sagt Claudia Silber, hauptberuflich Leiterin der Unternehmenskommunikation der memo AG und studierte Geisteswissenschaftlerin. In ihrem Beruf sind vernetztes Denken, Nachhaltigkeits- und Technikverständnis unabdingbar. Das Wissen und die Kenntnisse, die sie beim ökologischen Versandhändler erwirbt, wirken auch ins Private. Um Probleme selbst organisiert und kreativ zu lösen, braucht es ihrer Ansicht nach einen offenen Geist, Selbstbestimmung und entsprechende Handlungsspielräume. Sie ist in den Momenten erfüllt, wenn sie sich einbringen und etwas bewirken kann: „Entweder erfordert eine Situation zwingend notwendig nun zu handeln oder es gilt: einfach mal machen!“

Der geisteswissenschaftliche Hintergrund hilft ihr, in Sinnzusammenhängen zu denken und ihre eigene Urteilskraft zu entwickeln: „Mein Studium der Germanistik war eine gute Grundlage für die Arbeit im Bereich Kommunikation. Alles weitere musste ich mir selbst aneignen. Rückblickend war mir mein Studium zu einseitig, und ich begrüße jede Initiative, die mehr ‚benachbartes‘ Fachwissen in einen Studiengang bringt. gerade bei dem sehr komplexen und umfassenden Thema Nachhaltigkeit ist das wichtig. Das sollte bereits in der Schule beginnen, damit auch die nachfolgenden Generationen Zusammenhänge erkennen und entsprechend handeln können. Außerdem sollten sich Theorie und Praxis immer die Waage halten.“ Dabei unterstützt auch der Appell der Naturwissenschaftler: „DENKT MIT!“

Harald Lesch und Klaus Kamphausen: Denkt mit! Wie uns Wissenschaft in Krisenzeiten helfen kann. Penguin Verlag, München 2021.

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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