Der digitale Kollege im Krankenhaus
Dresdner Forschende haben den ersten KI-Agenten für die Krebsmedizin entwickelt: Er hilft bei Bildanalyse und Therapiewahl. Für den Klinikalltag mit KI-Kollegen fehlt nun vor allem eines.
Berlin. Forschende des Else Kröner Fresenius Zentrums (EKFZ) für Digitale Gesundheit an der TU Dresden haben nach eigenen Angaben den „weltweit ersten KI-Agenten für die Krebsmedizin“ entwickelt. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachjournal „Nature Cancer“. An dem Projekt waren Partner aus Deutschland, den USA und Großbritannien beteiligt.
KI-Agenten gelten als nächste Evolutionsstufe klassischer KI-Assistenten. Während diese als nützliche Helfer bereits Arztbriefe schreiben oder CT-Bilder analysieren, gehen Agenten einen Schritt weiter: Sie verfolgen eigenständig Ziele, planen ihre Schritte, nutzen spezialisierte Werkzeuge und können komplexe Prozesse anstoßen – oft im Dialog mit denen, die sie nutzen.
Künftig werden die smarten Helfer Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und Mitarbeitende in der Krankenhausverwaltung bei 70 bis 80 Prozent ihrer täglichen Aufgaben begleiten, ist sich Jens Schneider aus dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Künstliche Intelligenz in der Medizin sicher. Ihr großer Vorteil: „Sie vergessen nichts, sind niemals müde und funktionieren immer, egal wie groß die Hektik gerade ist.“
„Ein KI-Agent ist wie ein Assistent mit Werkzeugkoffer“, erklärt Dario Antweiler vom Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme. „Wir geben ihm ein grobes Ziel vor – etwa eine personalisierte Therapieplanung – und der Agent erstellt selbstständig einen Plan, wie er dieses Ziel erreichen kann.“
KI-Agent für das Tumorboard
Der Dresdner KI-Agent unterstützt das Tumorboard. Das ist eine Fallbesprechung, bei der Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachrichtungen gemeinsam über ihre Fälle und die jeweilig besten Therapien entscheiden. Der Agent analysiert CT-Bilder und genetische Befunde, gleicht sie mit aktuellen Leitlinien ab und schlägt passende Behandlungen oder klinische Studien vor.
Ersetzen soll der Agent das Tumorboard nicht, betont Mitentwickler Dyke Ferber. „Der KI-Agent ist eher ein digitaler Kollege, der mit am Tisch sitzt.“ Denn Faktoren wie der Allgemeinzustand eines Patienten erfordern weiterhin menschliche Einschätzung.
Technisch basiert das System auf dem Sprachmodell GPT-4, wurde aber um spezialisierte Werkzeuge erweitert – etwa zur Bildanalyse, Gewebeauswertung und Literaturrecherche in medizinischen Datenbanken.
Hohe Treffsicherheit
Trainiert wurde der Agent mit echten Patientendaten und 20 realitätsnahen Fallgeschichten. Vier Ärztinnen und Ärzte überprüften die Ergebnisse: In 87 Prozent der Fälle stimmten die Empfehlungen mit ihrer Einschätzung überein, in 91 Prozent zog der Agent korrekte Schlüsse, in 75 Prozent zitierte er die richtigen Leitlinien.
Das sei wesentlich präziser als bisherige KI-Assistenten, sagt Jakob Kather, Professor für Clinical Artificial Intelligence am EKFZ, der an der Entwicklung des Onkologie-Agenten ebenfalls beteiligt war. Allerdings sei die Zahl der simulierten Fälle bislang noch gering, weitere Studien müssten folgen. Dabei gehe es auch um die Frage, wie das System künftig in sogenannten „Human-in-the-Loop“-Szenarien mit Menschen zusammenarbeitet.
Um aus dem Forschungsprojekt ein zertifiziertes Medizinprodukt zu machen, haben Kather und Ferber im Herbst 2024 das Start-up Synagen aus dem EKFZ ausgegründet. Die Marktreife wollen sie innerhalb der nächsten 18 Monate erreichen. Parallel tüfteln sie an weiteren digitalen Lösungen für die Onkologie.
Wo KI-Agenten Menschen unterstützen
Am Fraunhofer-IAIS arbeitet Dario Antweiler mit seinem Team gleich an mehreren KI-Agenten. Einer davon soll in der Notfallmedizin zum Einsatz kommen: Er analysiert mithilfe eines Mikrofonsystems Gespräche im Schockraum und gleicht sie in Echtzeit mit medizinischen Leitlinien ab – um bei Abweichungen gezielt Hinweise zu geben. Der Prototyp wird derzeit an der Klinik Köln-Merheim getestet.
Ein weiteres Projekt zielt auf die Krankenhausverwaltung. Dort soll ein KI-Agent künftig komplexe Abläufe wie Terminplanung, Ressourcenmanagement und Abrechnung automatisiert koordinieren. Er soll medizinischem Personal Dokumentationsaufgaben abnehmen und die Ressourcenplanung vereinfachen.
Antweilers Fokus liegt also nicht nur auf medizinischer Entscheidungsunterstützung, sondern auch auf der praktischen Integration von KI-Agenten in klinische und organisatorische Abläufe.
Bevor allerdings KI sinnvoll in deutschen Krankenhäusern eingesetzt werden kann, müsse zunächst eine funktionierende digitale Infrastruktur geschaffen werden, sagt Antweiler: „Die Digitalisierung der Krankenhäuser ist immer noch unterirdisch.“ Wo noch mit papierbasierten Akten und Faxgeräten gearbeitet werde, könne man mit KI wenig anfangen.
Was noch fehlt für den Klinikalltag mit KI-Agent
Es brauche interoperable Systeme, zwischen denen Daten reibungslos fließen. Und das nicht nur innerhalb eines Krankenhauses, sondern auch zwischen verschiedenen Einrichtungen und über Sektorengrenzen hinweg.
Darüber hinaus müsse das Thema digitale Kompetenz stärker in der Ausbildung verankert werden – sowohl im Medizinstudium als auch in den Gesundheitsberufen. Informatik, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz müssten dort künftig eine deutlich größere Rolle spielen.
Damit KI-Agenten ihr Potenzial im Klinikalltag wirklich entfalten können – ob im Tumorboard, im Schockraum oder bei der Terminplanung –, braucht es mehr als leistungsfähige Algorithmen. Nämlich digitale Infrastruktur, rechtliche Klarheit und medizinisches Personal, das die Technologie versteht und sinnvoll einsetzt.
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