Der Duft der Welt: Wo Gefühle verkauft und Gerüche erzählt werden
„Immer der Nase nach“
Mit zunehmender audiovisueller Reizüberflutung scheinen viele Menschen ihrem ureigenen Navigationssystem weniger zu vertrauen als ihrem Smartphone. Sie geben einen Teil der analogen Welt auf, indem der Geruchssinn für sie kaum eine Rolle spielt. Dabei ist er der älteste aller Sinne und ein unverzichtbares Navigationsinstrument, das uns dabei hilft, richtige Entscheidungen zu treffen: Es geht um Ja oder Nein.
Wenn wir verstehen wollen, wie wir wahrnehmen, sollten wir uns wieder auf das Riechen besinnen, schreibt Robert Müller-Grünow, denn wer bewusst riecht, ist nicht manipulierbar. Duft ist für ihn ein Kommunikationsmedium. Für die Duftforschung sind Gerüche komplizierte Worte mit magischer Wirkung: Jeder Geruch besteht aus 350 „Buchstaben“. Für die Duftforschung ist Geruchswahrnehmung demnach nichts anderes als das Erlernen eines komplexen Zeichensystems.
Der Begriff „Geruch“ (mhd. von „Ruch“, lat. „olfactus“) beschreibt die Ausströmungen unserer Umwelt, die wir mit unserer Nase wahrnehmen. Der Neurobiologe Leslie Vosshall und sein Team an der New Yorker Rockefeller University schätzen, dass wir Menschen mindestens eine Billion unterschiedliche Gerüche wahrnehmen können und nicht (wie lange in der Wissenschaft angenommen) nur 10 000 Gerüche. Wir riechen immer und überall – allerdings meistens unbewusst. Leider wird die Wirkung von Duft heute noch häufig unterschätzt. Die Lüge von den unfähigen Menschennasen hielt sich lange und sorgte dafür, dass Wissenschaftler, Künstler und Designer häufig den Geruchssinn vernachlässigten. Zwar wurde viel Aufmerksamkeit und Liebe ins Detail in die Entwicklung in Parfüms gesteckt, doch die Frage, wie unsere Umgebung riecht und was das mit uns Menschen macht, wurde vielfach vernachlässigt.
Der Geruchssinn entwickelt sich bereits sehr früh: Schon im Mutterleib beginnt der Mensch zu riechen. In der 28. Schwangerschaftswoche sind die für das Riechen zuständigen Nervenbahnen ausgereift, und das Ungeborene riecht über das Fruchtwasser und die Nasenschleimhaut. In der Kindheit werden die Grundsteine für das gelegt, was Menschen schmeckt, was sie als Wohlgeruch empfinden oder mit Ekel verbunden ist. Bewusst riechend durchs Leben zu gehen, bedeutet für Müller-Grunow, besser zu leben. Das kann gelingen, wenn wir lernen, unseren Geruchssinn wieder zu schärfen. Empfohlen werden beispielsweise Riech-Übungen, bei denen versucht werden sollte, in unterschiedlichen Situationen Düfte zu erkennen und sie (mit geschlossenen Augen) zu beschreiben.
Dafür plädierte auch der Duftexperte Uwe Menasse auf dem Häcker Design Trend Forum am 12. April 2019 in Rödinghausen: „Werden Sie Parfümeure des Lebens! Üben Sie riechen!“ Wer dazu fähig ist, geht mit sich auch achtsamer um. „Drüsen lügen nie“, sagte er und brachte die Duftwahrnehmung in neue Zusammenhänge – beispielsweise für Küchenausstellungen. Duftmanagement ist ein wichtiger Baustein zum Gehirn des Kunden. Er appellierte deshalb, die eigenen Unternehmenswerte zu ermitteln und diese in einer professionellen Duftkomposition ins Küchenstudio einfließen zu lassen.
Das Bedürfnis, uns in Duftwolken zu begeben hängt mit der Sehnsucht nach Ganzheit zusammen. Das machen sich auch Automobilkonzerne, Arztpraxen, Möbelhäuser, Museen oder Kinoproduktionen höchst erfolgreich zunutze. Die Automobilhersteller sehen beispielsweise in der Beduftung von Pkw ein potenzielles Mittel der Markenkommunikation. Wer sich in ein Auto setzt, soll die Marke am Geruch erkennen. Eine Bank sollte nach Ansicht des Duftexperten seriös und vertrauenserweckend riechen, ein Technologiekonzern innovativ, nach hoher Qualität und Zuverlässigkeit, eine Sportmarke nach Dynamik und Frische. Neuerdings duften sogar Telefonleitungen und IT-Unternehmen. Die Farbe Magenta riecht nach „Bergamotte und rosa Pfeffer, nach Holznoten und einem Hauch von Kaschmir“ (Silke Wettach).
Die Duft-Branche lässt sich in drei Bereiche unterteilen: Haushaltsparfümerie (Waschpulver, Spülmittel, Reinigungsmittel etc.), Toiletries (Körperpflegeprodukte wie Bodylotion, Shampoo, Duschgel oder Deodorant), Feinparfümerie für alkoholische Lotionen (Eau de Toilette, Parfüm etc.). Die Feinparfümerie ist der prestigeträchtigste Bereich, in dem jedoch nur die wenigsten Parfümeure arbeiten: ca. achtzig oder neunzig weltweit. Parfümerien sind heute in vielen Städten Archive der Träume: hier werden Düfte als Emotionen verpackt und als Parfüms verkauft. 1921 sorgte der Duft No. 5 von Coco Chanel, die bis heute eine Parfümikone ist, für Aufsehen. Gleichzeitig läutete sie mit dieser Lancierung die Verbindung zwischen Designern und Düften ein.
Das Wort „Parfüm“ stammt vom lateinischen Ausdruck „per fumum“ ab, was so viel bedeutet wie „mit Hilfe des Rauchs“. Parfüm unterstreicht die Persönlichkeit eines Menschen, der den richtigen Duft und die richtige Dosierung für sich finden muss. Der erste Geruchseindruck, die so genannte Kopfnote, ist nicht die, die am Ende einen Duft charakterisiert. Die Herznote beschreibt den tieferen Charakter eines Parfüms. Die Basisnote ist Fundament des Duftes, auch Fond genannt, und bildet den Ausklang des Parfüms.
Das „weltbeste, natürliche Parfum“ zu kreieren war das Ziel der früheren Winzerin Frances Shoemack, die 2013 das Parfumhaus Abel in Amsterdam gründete. Zusammen mit dem Meister-Parfümeur Isaac Sinclair entwickelt die Neuseeländerin Geruchskompositionen aus einer hoch konzentrierten Mischung natürlicher Öle und isolierter Duftkomponenten. Es entstehen natürliche Düfte wie „White Velvet“, eine Komposition aus einer Kopfnote aus Limette und Pfefferminze kombiniert mit einer Herznote aus Ingwer, Palmarosa und einer Basisnote aus Vativer und Vanille. Nach vielen Jahren Pause brachte auch Louis Vuitton 2016 wieder ein Parfüm auf den Markt, das Jacques Cavallier-Belletrud, einer der besten Parfümeure der Welt, entwickelt hat. Seine Kindheit verbindet er mit dem Geruch von Rosenwasser, Rosmarin und Salbei. Er sieht das Parfüm in seinem Kopf wie der Maler ein Bild.
„Die Zukunft ist komplex aber nicht kompliziert", bemerkte in seinem Vortrag der Trendbeobachter Mathias Haas, der sich seit vielen Jahren mit Veränderungsprozessen rund um den Globus beschäftigt und sich der Frage widmete, welcher Trend Sinn macht und warum Zeit zum Denken heute unverzichtbar ist. „Es macht mehr Spaß zu verändern, als verändert zu werden.“ Er zeigte, wie neue Ideen die Zukunft bestimmen und riet dazu, durch Spezialisierung und Einzigartigkeit Chancen in einer mobilen Gesellschaft zu nutzen.
Als besonderer Gast aus Indien entführte Stararchitekt Rohit Suraj, CEO von Urban Zen, die Gäste in die Welt der modernen Architektur. Als leidenschaftlicher Befürworter des unabhängigen Denkens und kreativen Wandels hat er ein breites Spektrum an Projekten mit unterschiedlichen Maßstäben und Projekten in Indien, Asien und dem Nahen Osten entworfen und ausgeführt. Dazu zählen z. B. Hotelentwicklungen, luxuriöse Residenzen, Gastgewerbe und Geschäftsräume wie der Showroom von Häcker / Hulsta in Delhi. Rohit bestärkte seine Zuhörer in der Überzeugung, dass keine Herausforderung zu groß oder zu klein ist. Mit der Golden Circle-Methode von Simon Sinek („Warum, Wie, Was“) lassen sich einzigartige Designs entwickeln, die eine starke Botschaft vermitteln.
Gisela Rehm, die bei Häcker Küchen das Marketing leitet, hob die Bedeutung von Persönlichkeitsmustern hervor. „Menschen ticken unterschiedlich. Entsprechend unterschiedlich lassen sie sich überzeugen“, sagte sie. Deshalb seien Empathie und Menschenkenntnis entscheidend. Mit drei Persönlichkeitsmustern präsentierte sie Möglichkeiten, um andere Menschen einzuschätzen und sie entsprechend abzuholen. „Es ist besser, wenn Sie Kundengespräche so gestalten, dass sie dem jeweiligen Persönlichkeitstyp des Kunden entsprechen“, so die Botschaft. Dabei beschrieb sie detailliert den visuellen, auditiven und kinästhetischen Menschentypus. Da gut 85 % der Kaufentscheidungen bei Küchen von Frauen getroffen werden, verwies sie auf das Motto aus „We do care“: Sorgfalt, Wertschätzung, Professionalität und Respekt - Küchen sollten mit dem Herzen verkauft werden.
Vermittelt wurde aber nicht nur der Umgang mit uns und anderen, sondern auch mit der Welt. Dazu trug in besonderer Weise auch die Podiumsdiskussion mit Sandra Barmeier (Küchenstylistin Häcker Küchen), Parfümeur Manasse, Mathias Haas und Prof. Ulrich Nether (Hochschule Detmold) bei. Kücheninnovationen wurden durch die Möbelfachschule Köln präsentiert. Gezeigt wurden neue Ideen wie die Flexiküche inklusive Futterstation für Tiere, Liftauszüge für Unterschränke sowie das Format eines cleveren Topfschrankes. Häcker fördert den Nachwuchs an der MÖFA und bietet mit solchen Projektarbeiten einen wichtigen Praxisbezug.
Der Küchenhandel steht vor enormen Herausforderungen, denn er muss sich gegen den zunehmenden Online-Handel behaupten und seine Kunden mit neuen Konzepten überzeugen. Um den Küchenfachhandel zu stärken, wurde dieses spezielle Event durchgeführt. Es sollte den eigenen Kunden helfen, im Markt „die Nase vorn“ zu haben. Dass Küchen auch mit der Nase gekauft werden, war vielen der etwa 200 Fachhandelsgäste noch nicht bewusst. Doch die Wirkung von Düften auf die Kaufbereitschaft ist eine ganz besondere.
Warum Nachhaltigkeit das Leitziel von Unternehmen sein sollte
Im Fokus stand aber auch das Thema Nachhaltigkeit. Der Duftexperte Uwe Menasse bezeichnete in der Diskussion Nachhaltigkeit kritisch als „Arschgeweih des Marketings“. Das mag dann stimmen, wenn man das Thema nur aus der Marketingbrille betrachtet. Um es wirklich zu durchdringen, braucht es einen klaren Blick für das Machbare. Träges Wissen ist ein Fachbegriff für Wissen, das zwar „verstanden“, aber noch nicht angewendet wurde. So ist es häufig auch mit „Nachhaltigkeit“: Es wird viel darüber kommuniziert, aber an der konkreten Umsetzung mangelt es oft.
Seit dem 18. Jahrhundert wurde die „Nachhaltigkeit“ als Leitziel aufgeklärter Waldwirtschaft hervorgehoben: Es entsprach dem alten haushälterischen Sinn von „Ökonomie“ („Hausregelung“), sagte aber nichts darüber aus, wie die Forstverwaltungen auf die wechselnden Konjunkturen der Wirtschaft zu reagieren hätten und wie der Wald aussehen sollte, der zu erhalten war. Der Begriff wurde 1713 erstmals von Oberberghauptmann Hannß Carl von Carlowitz verwendet. Er beinhaltet die Maxime, dass nur so viel Holz pro Periode geschlagen werden darf, wie auch nachwachsen wird. Wer einen Wald bewirtschaftet, kann zwar Bäume fällen und verkaufen, muss aber auch wieder neue anpflanzen für die nächsten Generationen.
Keine Nation Europas besitzt mehr Holzvorräte als Deutschland. Dieser nachwachsende und nachhaltige Rohstoff ist heute gefragter denn je. Er überzeugt durch vielfältige Einsatzmöglichkeiten, ein breites Anwendungsspektrum und hat eine im Vergleich zu anderen Werkstoffen überzeugende Umweltbilanz. Um den im Holz gespeicherten Kohlenstoff nachhaltig zu binden, ist die Verwendung in langlebigen Produkten sinnvoll. So wird Holz vor allem in Massivholz- und Furnieranwendungen eingesetzt (z.B. im Möbelbereich). Das Häcker Design Trend Forum bestätigte, dass Nachhaltigkeit sowie ressourcenschonende Fertigungstechniken beim Möbelkauf in einer Zeit voller Technisierung, Digitalisierung, Massenproduktion, Komplexität und Tempowechsel immer mehr an Bedeutung gewinnen – vor allem der sinnliche und angenehm riechende Werkstoff Holz. Die Wertschätzung des Handwerks in Zeiten tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen und Instabilität ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass alles nicht Greifbare immer mehr für Unbehagen sorgt.
Häcker produziert moderne Einbauküchen. Gegründet wurde das Unternehmen von Herman Häcker im Jahre 1898 und von Friedrich Häcker in der nächsten Generation weitergeführt. Der Grundstein für die Serienfertigung von Küchen wurde von Horst Finkemeier im Jahre 1965 gelegt. Derzeit werden über 60 Länder auf allen Kontinenten mit Küchen „Made in Germany“ beliefert. Seit 2017 sind bei Häcker Küchen alle Holzprodukte noch stärker formaldehydreduziert. Mit PURemission setzte das Unternehmen einen neuen Standard, der in der Küchenmöbelindustrie außergewöhnlich ist. Der Vortrag des Trendbeobachters Mathias Haas widmete sich zwar der Transparenz der Produkte, der Sichtbarkeit ihrs Inneren, aber es ging nicht um Transparenzmaßnahmen des Unternehmens selbst. Umso wichtiger war die anschließende Diskussion, die keiner strengen Vorlage oblag, sondern aus dem Auditorium selbst kam. Das Thema Duft und die Bedeutung der Sinne waren ein entscheidender Auslöser für ein Thema, das mit den Sinnen aufgenommen, aber mit dem Verstand verarbeitet und reflektiert werden muss: Nachhaltigkeit.
Gegen das Vergessen
Düfte stehen für Lebendigkeit, Dynamik, Glück, Wohlergehen und Erinnerungen, die bei bestimmten Gerüchen wieder vor unserem inneren Auge erscheinen. Episodisches oder autobiografisches Gedächtnis wird diese Fähigkeit von Wissenschaftlern genannt. Im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung nimmt ihre Bedeutung immer mehr zu, weil sie uns in eine überschaubare Welt hüllen, die rundum angenehm ist. Auch wenn es uns im Großen oft stinkt.
Für den Aufklärer Immanuel Kant und andere Philosophen war der Geruch zwar der "entbehrlichste" der menschlichen Sinne, doch die Olfaktorik ist nach Müller-Grunow möglicherweise der Sinn, der uns am engsten mit der Welt verbindet. Da dieser Vitalsinn ans Atmen gebunden ist, wird unsere Umwelt immer über die Nase wahrgenommen. Geruch und Geschmack hängen eng zusammen: Beim Kauen gelangen flüchtige Duftmoleküle in den retronasalen Raum (hinteren Nasenrachenraum), und die Informationen werden auf kurzem Wege in den präfrontalen Kortex des Gehirns gesendet. Dies wiederum ist eng mit dem limbischen System verbunden. Das ist der Grund, weshalb Gerüche sofort Gefühle auslösen.
Der Geruchssinn (Vitalsinn) ist allerdings viel feiner als der Geschmackssinn. Im Unterschied zu jedem anderen der menschlichen Sinnesorgane ist die Nasenschleimhaut mit der Großhirnrinde verbunden: Gerüche wandern direkt ins limbische System und in den Hippocamus. Diese Teile des menschlichen Gehirns sind für Gefühle, Triebe und Erinnerungen zuständig. Düfte beeinflussen Entscheidungen instinktiv, weil diese Informationen nicht rational gefiltert werden – sie haben eine unmittelbare Wirkung. Geruchsreize werden sogar schneller wahrgenommen als Seh- oder Hörreize.
„Ich erinnere mich… oder ich werde erinnert durch etwas, das mir quer steht, einen Geruch hinterlassen hat oder in verjährten Briefen mit tückischen Stichworten darauf wartet, erinnert zu werden“, schrieb der Literaturnobelpreisträger Günter Grass in einem persönlichen Statement über die Zukunft der Erinnerung im Goethe-Institut in Vilnius. In Marcel Prousts Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ führt der Geschmack eines in Lindenblütentee getauchten Gebäckstücks den Ich-Erzähler in seine Kindheit zurück.
Auch Bücher sind mit einem unverwechselbaren Duft verbunden. Den typischen Geruch älterer Bücher hat Professor Matija Strlič vom University College London, wo er das „Institut für Nachhaltiges Kulturerbe“ (Institute for Sustainable Heritage) leitet, genauer untersucht. Ältere Bücher riechen häufig nach einem Hauch Vanille: Während das Papier heute stärker bearbeitet und gebleicht wird, enthielt es früher noch den organischen Stoff Lignin (lat. „lignum“ / Holz), der heute u.a. dafür verwendet wird, um den Duft und Geschmack von Vanille synthetisch herzustellen.
Geza Schön entwickelte das erste Parfüm mit Papiergeruch: Paper Passion („Leidenschaft für Papier“). Die Verpackung des Flakons ist ein Buch, in dem die Seiten so ausgestanzt sind, dass der Flakon darin aufbewahrt werden kann. Entworfen wurde sie von Karl Lagerfeld. Literaturnobelpreisträger Günter Grass veredelte die Verpackung des Buches mit einem Gesicht. Der Verleger Gerhard Steidl gab das Projekt in Auftrag und schickte Geza viele Bücher, Papiersorten, Tinten und Farben, um ihn auf das Projekt vorzubereiten. Geza Schön hat den Buchduft schließlich aus dreizehn verschiedenen Rohstoffen kreiert.
Plädoyer für mehr Achtsamkeit
Der Erlanger Psychologe Norbert Thürauf behandelt Patienten, die keine Daseinsfreude mehr verspüren. Er therapiert sie nicht mit Antidepressiva, sondern mit Gerüchen, die mit positiven Erinnerungen verbunden sind: Zimt, Kaffee oder sogar Motoröl. In der Therapie schickt er seine Patienten auf Geruchsspaziergänge, auf denen sie lernen sollen, ihre Umgebung intensiv über Gerüche zu erfahren: Welchen Geruch hinterlässt die Seife auf den Händen? Wie riechen die Blumen auf dem Balkon? Wie riecht der Sommer?
Claudia Silber, die beim Öko-Versender memo AG die Unternehmenskommunikation leitet, ist ein sehr geruchsempfindlicher Mensch. Schlechte bzw. angenehme Gerüche fallen ihr sofort auf. Mit Gerüchen verbindet sie aber auch gute Erfahrungen mit einem bestimmten Ort oder Menschen. „Gerüche wirken meiner Erfahrung nach sehr viel stärker als das, was wir mit unseren Augen sehen, aber trotzdem nicht immer ganz erfassen. Sie beeinflussen Stimmung, Aktivität und Erinnerungen“, so die Kommunikationsexpertin. Aus Marketingsicht kann sie den Trend zum Duft-Marketing sehr gut nachvollziehen. So ist ihr als gute Erfahrung in einem Abercrombie & Fitch-Store der dortige Geruch in Erinnerung geblieben, der nahezu perfekt das Image als sportive, lebenslustige Marke für kalifornische Surfer transportiert hat: „Da waren die Enge, die Lautstärke und der restriktive Einlass an der Eingangstür fast vergessen.“ Da viele Menschen oft nicht mehr wissen, wie es im Wald oder wie frisch gemähtes Gras riecht, oder wie es riecht, kurz bevor der erste Schnee fällt, begeben sich ihrer Ansicht nach immer mehr Menschen auf den Pfad der Achtsamkeit. Doch sollten sie dabei auch ihren Geruchssinn nicht vernachlässigen: „Denn die eine Nase ist ein viel besserer Wegweiser als es die zwei Augen jemals sein können.“
Auch Gisela Rehm plädierte in ihrem Vortrag beim Design Trend Forum am 12. April 2019 für mehr Achtsamkeit. Achtsam sind vor allem besonders sinnliche Menschen wie die Schauspielerin Eva Mattes, die vom Herbstgeruch besonders angezogen ist: Als sie 17 Jahre alt war und von München nach Hamburg zog, hat sie Herbstfrische zum ersten Mal bewusst eingeatmet: „Wie das Licht mit einem Mal seine Farbe ändert, so ist es, als änderten die Blätter über Nacht ihren Geruch.“ Ihr Lebensgefährte ist der Künstler Wolfgang Georgsdorf. Aufgewachsen im oberösterreichischen Linz begann er schon in jungen Jahren, die erste Version seiner Geruchsorgel zu bauen. Der Smeller 2.0 besteht aus 64 Quellkammern, in die er und der Parfümeur Geza Schön Dinge legen, die auf elektronischen Tastendruck ihren Geruch in den Raum abgeben: natürliche Öle, synthetische Duftstoffe oder Geruchsstücke aus dem Alltagsleben. Georgsdorf bezeichnet den Smeller („Hauchmaul“) als Weltmalkasten. Verschiedene Gerüche zusammen ergeben einen Akkord. Vermarktung und (Be-)Wertung liegen ihm fern. Ihm liegt einzig daran, mit Gerüchen zu erzählen.
Auch aktuelle Essays widmen sich dem Thema Duft und Erinnerungen. Teju Cole beschreibt in seinem Buch „Vertraute Dinge, fremde Dinge“, den Duft des Lavendels: „Lavendel, erstmals wahrgenommen als Note im Rasierwasser seines Vaters und dann im Hausmittel gegen Migräne, ist (André) Acimans ‚Madeleine‘ – den prägenden Einfluss Prousts gesteht er unumwunden ein – und löst eine Kaskade von Erinnerungen aus. Reminiszenzen an die Kindheit, Jugend, Ehe und Vaterschaft wechseln sich ab mit Etappen einer schwindelerregenden Tour d’Horizon des Lavendels“. Der Essay wird zur Geschichte seiner Erkundungen der Lavendeldüfte.
Duftmischungen, die im Markt beispielsweise mit "Gute Laune" beworben werden, enthalten Orange, Limette und Zitrone, "Glück teilen" enthält einen fruchtig-warmen Duft, der von Mandarine, Rose und Sandelholz inspiriert ist und die Stimmung heben soll (Quelle: memolife). Mit "Elfentraum" ist ein fein-blumiger Duft aus Orange, Litsea und Frangipani verbunden, der harmonisierend und erheiternd wirkt. Sogar für Kinder gibt es im Markt Geschenksets, die beispielsweise "Leichter Lernen" heißen und mit der Kombination aus Zitrone, Orange und Grapefruit motivierend, konzentrationsfördernd und erfrischend wirken soll. Besonders häufig taucht in Duftmischungen der Begriff "Harmonie" auf: Hier verbinden sich Orange, Rose und Rosengeranie. Besonders beliebt sind heute Zitrusdüfte, florale Düfte, Chypre-Düfte, aromatische Düfte, holzige Noten, orientalische Noten, Fougère-Noten oder ledrige Noten. Aber auch Macht und Erfolg sind mit einem speziellen Duft verbunden: Cool Water. Prinz Charles und Robert Redford hüllen sich in den Duft Green Irish Tweed, der wie ein Morgenspaziergang im Frühling riecht.
Weiterführende Informationen:
Aus Tradition verantwortungsvoll. Nachhaltiges Handeln als Unternehmenswert. Hg. von Häcker Küchen 2018.
Teju Cole: Vertraute Dinge, fremde Dinge. Carl Hanser Verlag München 2016.
Qualität aufgewertet. In: WORK. kitchen. Nr. 12 (Dezember 2017), S. 42-45.
Robert Müller-Grünow: Die geheime Macht der Düfte. Warum wir unserem Geruchssinn mehr vertrauen sollten. Verlag der Edel Germany GmbH, Hamburg 2018.
Joachim Radkau: Holz. Wie ein Naturstoff Geschichte schreibt. Oekom Verlag, München 2018.
Torsten Woywod: In 60 Buchhandlungen durch Europa. Meine Reise zu den schönsten Bücherorten unseres Kontinents. Eden Books, Berlin 2016.
Gabriela Herpell: „Jeder kann gut riechen“. In: Stil Leben. Süddeutsche Zeitung Magazin 2 (2016), S. 36-38.
Carolin Pirich: Das Drama Aroma. In: Süddeutsche Zeitung, 3./4.9.2016, S. 48.
Silke Wettach: Es riecht nach Marketing. In: WirtschaftsWoche 20 (12.5.2017), S. 101 f.