Ralph Dommermuth, Gründer der 1&1 Marketing GmbH und CEO der United Internet AG. Foto: IMAGO/Political-Moments
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Der folgenschwere Fehler von Milliardär Ralph Dommermuth

Der 1&1-Gründer hat sich beim Netzausbau mehrmals verschätzt. Die jetzt bekannt gewordene Fehlkalkulation bei Unlimited-Tarifen aber könnte die gravierendste werden.

Es ist fast schon Geschichte, dass das 5G-Mobilfunknetz des jüngsten deutschen Netzbetreibers 1&1 erst drei Jahre zu spät mit den geforderten 1000 Antennen ausgerüstet war. Und wohl nicht so schlimm: Der Verstoß bleibt weiter ungeahndet. Ralph Dommermuth, Gründer des Telekomanbieters 1&1 und Chef der United Internet AG (die 80,81 Prozent an 1&1 hält), hatte keine Konsequenzen zu tragen.

Dass Bauteile im Kernnetz von 1&1 zu klein dimensioniert waren und sich deshalb der Umzug der Kunden ins eigene Netz verzögerte, war schon schmerzhafter: Diese Fehleinschätzung verursachte im August 2024 eine Gewinnwarnung: 1&1 korrigierte das erwartete Ergebnis vor Abzug von Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) um 46 Millionen Euro.

Jetzt folgte binnen Jahresfrist bereits die nächste Gewinnwarnung: Um 26 Millionen Euro soll Dommermuths Mobilfunkkonzern sein erwartetes Ergebnis diesmal verfehlen.

Die unerwartete Gewinnminderung ist diesmal kleiner. Das gilt aber keineswegs für das dahintersteckende Problem. Im Gegenteil: Die jetzt aufgedeckte Schwachstelle in seinem „Nationalen Roaming-Vertrag” mit Vodafone könnte ein profitables Wachstum des vierten deutschen Netzes langfristig behindern (unter Roaming versteht man die Nutzung des Netzes eines anderen Anbieters). Denn Dommermuths 1&1-Netz deckt mit nur 1000 Antennen so wenig Fläche ab, dass er seine Kunden in weiten Teilen des Landes im Vodafone-Netz surfen lässt. Dafür zahlt 1&1 an Vodafone Gebühren. Lange hatten Experten diesen Vertrag als unerklärlich vorteilhaft für 1&1-Chef Ralph Dommermuth eingeschätzt. Schließlich gilt der Selfmade-Milliardär (Dommermuth hält knapp die Hälfte an der 1&1-Mutter United Internet, die an der Börse gut vier Milliarden Euro wert ist) als gewiefter und gefürchteter Verhandlungspartner.

EIN VERHÄNGNISVOLLES ANGEBOT

Jetzt aber überraschte eine unerwartet hohe Zahlung an den Roaming-Partner Vodafone das Unternehmen. Die wahre Tücke des Angebots war offenbar im Hause Dommermuth nicht aufgefallen. Der hatte dankbar zugegriffen, weil er in ihm ein besser kalkulierbares Angebot sah, verglichen mit einem bis dahin laufenden Deal mit Telefónica.

Laut Vertrag mit Vodafone muss 1&1, wenn sein Anteil am von beiden Unternehmen genutzten Datenvolumen steigt, überproportional höhere Gebühren an Vodafone abführen. Das bedeutet, dass Dommermuths Erfolg jetzt von Faktoren abhängt, die er weder bestimmen noch leicht prognostizieren kann: von den Vertriebserfolgen von Vodafone, von Vodafones Ausbau der Netzkapazitäten und von der tatsächlichen Datennutzung der Vodafone-Kunden. Über die Daten ist Vodafone aus kartellrechtlichen Gründen zum Stillschweigen verpflichtet.

Dommermuth aber hat aktuell einen aggressiven Preiskrieg im Mobilfunkmarkt befeuert – und zwar ausgerechnet mit sehr günstigen Unlimited-Tarifen. Und genau der geht für ihn jetzt nach hinten los: Offensichtlich muss er für die Datennutzung seiner Kunden mehr draufzahlen als erwartet. Ursächlich für das revidierte Gewinnziel seien „vor allem höher als geplante Vorleistungskosten beim National Roaming mit Vodafone“, berichtete 1&1 in seiner am 27. Juni veröffentlichten Gewinnwarnung. Dem zwischen 1&1 und Vodafone bestehenden National-Roaming-Vertrag liege ein sogenanntes Kapazitätsmodell zugrunde, „bei dem 1&1 den von seinen Kunden in Deutschland jeweils prozentual genutzten Anteil des Vodafone-Netzes zu einem Festpreis je Prozentpunkt vergütet“.

SCHWIERIGER SPAGAT VORAUS

Um einen Roaming-Vertrag hatte Dommermuth zwei Jahre lang verhandelt. Zunächst mit dem angestammten Roamingpartner Telefónica. In dieser Beziehung gab es ausufernde, sich jährlich wiederholende Verhandlungen, zu denen oft die Bundesnetzagentur als Schlichterin gerufen werden musste. Die Haltung von Telefónica-Chef Markus Haas war lange klar: Sein 5G-Netz wollte er dem sich vom Serviceprovider zum Netzbetreiber wandelnden Dommermuth auf keinen Preis so frühzeitig in der Ausbauphase öffnen. Dommermuth aber bestand auf einer modernen Roaming-Möglichkeit für seine Kunden.

Das Vodafone-Angebot kam da genau zur rechten Zeit: Es bot Dommermuth 5G-Zugang – und mehr noch: Statt jährlich neu auszuhandelnder Zahlungen würde der Vertrag mit Vodafone Kontinuität und Berechenbarkeit bringen, da die Zahlungen, die am proportional zu Vodafone verbrauchten Datenvolumen gemessen werden, vermeintlich kalkulierbarer erschienen.

5G-Mobilfunkmast von Vodafone, Ratingen, Nordrhein-Westfalen Foto: picture alliance / imageBROKER

Doch was Dommermuth womöglich nicht ahnte: Vodafone passte dafür die AGB für seine Kunden schon frühzeitig an. Früher war eine Datengeschwindigkeit von 500 MBit je Sekunde im Kleingedruckten spezifiziert.  Jetzt sind es nur noch 300 MBit/s.  So sparte Vodafone unbemerkt von den meisten Kunden – und wohl auch von seinem Vertragspartner Dommermuth – schon einmal deutlich Datenvolumen ein.

Dommermuth dagegen entschied sich, seine Kunden mit dem Wow-Gefühl des 5G-Netzes zu verwöhnen. Die meisten 1&1-Kunden waren auf dem 4G-Netz von Telefónica in ihrer Datennutzung geradezu geknebelt: Ihre Geschwindigkeit war auf 50 MBit/s je Sekunde gedrosselt. Das ist technisch ausreichend für viele Anwendungen, erfordert aber etwas Geduld. Hatte Dommermuth geglaubt, dass die befreiten Kunden weiter Wenigsurfer bleiben? Doch Freibier macht durstig: Mit dem schnelleren und unlimitiert verfügbaren Netz haben sie sich vielleicht unterwegs auch weniger oft lästig in Wlan-Netze eingeloggt – und damit gegebenenfalls auch mehr Mobilfunkdaten konsumiert als bisher. Und vor allem: Mehr Daten genutzt als Vodafone-Kunden.

Die Zukunft gestaltet sich daher nicht ganz einfach für Dommermuth: Auf der einen Seite vermarkten sich Unlimited-Verträge mit Sicherheit am leichtesten, auf der anderen Seite muss er auf einen profitablen Netzbetrieb achten. Drosselt er die Verträge seiner Kunden im Nachhinein, drohen sie zur Konkurrenz abzuwandern. Schnell ein eigenes, Deutschland abdeckendes Netz aufzubauen, wäre für Dommermuth natürlich der Königsweg aus dem Dilemma. Dann bräuchte er gar kein Roaming mehr. Doch mit einer instabilen Ertragslage wird auch die Finanzierung des weiteren Ausbaus schwieriger. Es könnte eine Wachstumsfalle entstehen.

Vodafone ist laut Pressestelle, was das Wachstum im Mobilfunkgeschäft angeht, voll im Plan. Das Datenvolumen, so das Unternehmen, lege bei Vodafone, ähnlich wie bei der Telekom, jährlich um rund 30 Prozent zu.  Das Volumen im Telefónica-Netz dagegen wuchs mit 1&1 als Mitunternehmer zeitweise um 60 Prozent.

Und doch entsteht für Vodafone ein geradezu verdrehter Anreiz: Dank des dynamischeren Dommermuth profitieren die Düsseldorfer davon, wenn sie selbst kein Wachstum generieren. Je mehr Kunden Vodafone verliert und je weniger das Unternehmen in sein Netz investiert, desto höher werden die Zahlungen von 1&1. Wenn der Untermieter 1&1 schneller wächst als Vodafone.

Und das ist erst einmal absehbar: 1&1 migriert bis zum Jahresende noch weitere zwei Millionen Kunden aus der Telefónica-Infrastruktur auf das Vodafone-Netz. Vodafone selbst aber generiert aufs Jahr gerade einmal 200.000 neue Mobilfunkverträge. Dieses neuerliche Ungleichgewicht könnte für Dommermuth noch sehr teuer werden.

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