Der Informationsfluss im Unternehmen ist zäh? Oft liegt’s an den Chefs
Um effektiv arbeiten zu können, müssen Informationen im Unternehmen schnell fließen. Doch ausgerechnet Führungskräfte stehen dem oft im Weg – warum?
EigentlichEigentlich ist Wirtschaft nicht kompliziert. So sah es Jack Welch. Und der musste es wissen, immerhin wurde er 1999 vom Fortune-Magazin zum „Manager des Jahrhunderts“ gekürt. Kompliziert wird es laut Welch erst dann, wenn Menschen von Informationen abgeschnitten sind. „Wenn wir zu sechst in einem Raum sitzen und alle dieselben Fakten erhalten, werden wir in den meisten Fällen ähnliche Schlüsse daraus ziehen“, sagte der langjährige Chef von General Electriceinmal – und fügte hinzu: „Das Problem ist, dass wir nicht dieselben Informationen erhalten. Jeder von uns erhält unterschiedliche Teile.“
Welch sah darin eine der größten Herausforderungen für Unternehmenslenker: eine „grenzenlose Organisation“ zu schaffen, ohne Informationsbarrieren.
Jahrzehnte später sind die meisten großen Unternehmen diesem Idealbild kaum nähergekommen: Laut einer Umfrage unter 12.000 Beschäftigten, die der Softwareentwickler Atlassian kürzlich in verschiedenen Ländern befragt hat, verbringen Büroangestellte im Schnitt ein Viertel ihrer Arbeitszeit mit der Suche nach Informationen – zum Beispiel nach dem aktuellen Formular für die Reisegenehmigung oder nach dem richtigen Ansprechpartner für eine neue Software. Nur etwa jeder fünften Abteilung gelingt es demnach, andere Bereiche über relevante Entscheidungen auf dem Laufenden zu halten. Und jeder zweite Befragte moniert, dass in seinem Unternehmen verschiedene Teams unwissentlich an denselben Dingen arbeiten.
Die Managementforschung beschäftigt sich deshalb schon lange mit der Frage, wie sich interne Informationsbarrieren überbrücken lassen – Boundary Spanning lautet der Fachbegriff dafür. Die grundlegende Erkenntnis: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich – oft informell – regelmäßig mit anderen Abteilungen austauschen, sind extrem wertvoll. Ihre Netzwerke steigern insbesondere die Innovationsfähigkeit des Unternehmens. Und damit auch den langfristigen Erfolg.
DIE CHEFS SIND SCHULD
Dafür, dass möglichst viele Angestellte als Brückenbauer fungieren, sind insbesondere die Führungskräfte verantwortlich. Studien zeigen: Wenn sie ihre Mitarbeiter dazu ermutigen und dabei unterstützen, bilden diese häufiger Netzwerke über Abteilungsgrenzen hinweg.
Allerdings müssten die Chefinnen oder Chefs das auch wollen. Genau hier liegt das Problem, sagt Eric Quintane, der an der ESMT Berlin zum menschlichen Verhalten in Organisationen forscht. Gemeinsam mit drei Co-Autoren hat er eine Studie zum Boundary Spanning verfasst, für die die Ökonomen mehrere Hundert Beschäftigte befragt haben. Das Ergebnis: Wenn Mitarbeiter den fachlichen Rat von Kollegen aus anderen Abteilungen suchen, fühlen sie sich tendenziell schlechter von ihrem Vorgesetzten behandelt. Zum Beispiel erleben sie dann öfter, dass ihre Ideen lächerlich gemacht werden.
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Wie lässt sich das erklären? Um diese Frage zu beantworten, konfrontierten Quintane und seine Kollegen mehr als 400 Führungskräfte in einem Experiment mit verschiedenen Verhaltensweisen von Mitarbeitern. „Ein zu reger Austausch kann bei Führungskräften zu einem gefühlten Kontrollverlust führen“, fasst Quintane das Ergebnis zusammen. Denn Brückenbauer haben einen großen Einfluss: Sie erhalten Informationen aus verschiedenen Quellen und gewähren im Gegenzug Einblick in die Arbeit ihrer eigenen Abteilung. Für das Unternehmen sind solche Mitarbeiter meist ein Glücksfall, doch auf ihre Vorgesetzten können sie bedrohlich wirken. Welche Interessen verfolgt der Mitarbeiter? Will er mir schaden oder mich gar ersetzen?
RAUS AUS DEM DILEMMA
Diese negative Interpretation führt häufig dazu, dass Führungskräfte besonders umtriebigen Mitarbeitern das Leben erschweren. Es sind also auch emotionale Schranken, die der von Welch erträumten grenzenlosen Organisation im Wege stehen.
Die gute Nachricht: Es gibt einen Ausweg aus dem Dilemma. Mitarbeiter können unbesorgt den Kontakt zu anderen Abteilungen suchen – wenn sie ihren Vorgesetzten auf dem Laufenden halten und auch seinen Rat einholen. Dann bewertet der das Verhalten sogar meist positiv, zeigt die Untersuchung.
Für Unternehmen hat Quintane deshalb zwei Ratschläge: Sie sollten ihre Führungskräfte noch stärker über den Wert von bereichsübergreifenden Netzwerken aufklären – und gleichzeitig Verständnis für die emotionalen Folgen zeigen, die damit einhergehen können. Oft, so Quintane, verringere sich die Angst vor dem Kontrollverlust schon allein dadurch, dass sie einem bewusst ist.
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