Wasserstoffauto: Durchbruch nicht geschafft. Foto: Getty Images (3), Reuters [M]
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Der langsame Tod des Wasserstoffautos

Ein Fahrzeug mit Brennstoffzelle war einst die große Hoffnung der Autoindustrie – nun steht es vor dem Aus. Nur ein deutscher Hersteller hält an der Idee fest. Was ist schiefgelaufen?

Köln, Berlin. Wer heute ein Wasserstoffauto fährt, hat kein leichtes Leben. „In Hamburg gibt es Tage, an denen keine einzige Tankstelle in Betrieb ist“, sagt Thomas Klassen. Für Klassen ist das besonders frustrierend. Er leitet das Institut für Wasserstofftechnologie am Helmholtz-Zentrum Hereon. Das H2-Molekül ist sozusagen sein Beruf, mehr noch: sein Leben.

Vor vier Jahren hat sich Klassen entschieden, auch privat auf Wasserstoff zu setzen. Seitdem ist er mit seinem Hyundai Nexo über 62.000 Kilometer gefahren. Doch heute ist das Fahrerlebnis längst nicht mehr so, wie es einmal war.

„Früher hab ich die Reichweite voll ausgenutzt. Das geht heute nicht mehr, weil ich nicht weiß, ob die nächste Tankstelle funktioniert oder nicht“, sagt Klassen. Ab einer Reichweite von 150 Kilometern geht für ihn die Suche nach der nächsten Zapfsäule los. Ein Ausflug nach Rügen wird so zur Zitterpartie: Die letzte Tankstelle auf der Route ist in Rostock, 140 Kilometer entfernt.

Überall in Deutschland werden derzeit Wasserstofftankstellen geschlossen. Von Januar bis Ende Juli dieses Jahres werden es 22 sein. Von einst fast 100 sind nur noch 69 in Betrieb, jederzeit kann eine weitere für immer gesperrt werden.

Das Verschwinden der Tankstellen ist wie ein Sinnbild. Es steht für den leisen Tod einer einst großen Hoffnung: Das Wasserstoffauto war für viele Deutsche ein Symbol technologischer Innovation. Heute aber hat es keine Zukunft mehr. Warum hat sich die Hoffnung nicht erfüllt? War sie von vornherein trügerisch? Eine Spurensuche.

Das Wasserstoffauto war wie ein Versprechen auf die Zukunft, dass auch in einer dekarbonisierten Welt vieles so bleiben kann, wie es heute ist. Als der perfekte Kompromiss für den Klimaschutz wurde es propagiert, gar als Alternative zum batteriebetriebenen Auto. Kein Wunder: Getankt wird in wenigen Minuten, die Reichweite taugt auch für lange Strecken, klare Vorteile gegenüber dem Batterie-Auto.

H2 Mobility-Tankstelle in Siegen: 400 geplant, 100 gebaut. Foto: imago images / Rene Traut

Nicht zuletzt sprach die Idee auch das Herz der Techniker an: Aus einem unsichtbaren Gas wird sauberer Strom gemacht – wie passend in einem Land, das stolz auf seine Ingenieurkunst ist. In einer Umfrage aus dem Jahr 2022 sagten 32 Prozent der Befragten, sie zögen die Brennstoffzelle der Batterie vor. Die kam gerade mal auf 15 Prozent.

Vor allem war es die Industrie, die Anfang der Zehnerjahre das Thema massiv propagierte. 2011 läutete der damalige Mercedes-Chef Dieter Zetsche gar das „Jahrhundert des Wasserstoffs“ ein.

Fast 200 Millionen Euro an Fördermitteln sind fortan in den Aufbau von Tankstellen und Flotten geflossen. „Aber das große Rennen ist gelaufen“, sagt ein ehemaliger Manager aus der Branche heute. Der Traum vom massentauglichen Wasserstoffauto, er ist ausgeträumt.

Der Niedergang in Zahlen

Gerade mal 1669 H2-betriebene Pkw sind laut Kraftfahrt-Bundesamt hierzulande registriert. Innerhalb der vergangenen zwei Jahre wurde die Zahl immer kleiner. Und zwar weltweit. 2024 ist der Absatz um 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen, meldet das Marktforschungsunternehmen SNE.

Ende April hat der österreichische Energiekonzern OMV als einziger Anbieter von Wasserstofftankstellen im Land verkündet, alle Anlagen vom Netz zu nehmen. Trotz früher Investitionen sei die Nachfrage hinter den Erwartungen zurückgeblieben, begründet das Unternehmen seine Entscheidung. Im vergangenen Jahr hatte sich schon der einzige Anbieter in Dänemark vom Markt verabschiedet. Und in Großbritannien hat der Ölkonzern Shell bereits 2022 all seine H2-Tankstellen geschlossen.

„Die Technik ist ausgereift, Wasserstoffautos funktionieren. Aber die Infrastruktur ist das Problem. Immer mehr Tankstellen schließen oder werden nicht ordentlich gewartet. Und es ist zu teuer“, sagt Klassen. Während Batterieautos heute schon für 25.000 bis 30.000 Euro zu haben sind, kostet ein Wasserstoffauto 60.000 bis 70.000 Euro und mehr.

Von den knapp 49 Millionen Pkw in Deutschland fahren heute 3,5 Prozent mit Batterie. Dagegen kommen Wasserstoffautos gerade mal auf 0,003 Prozent.

Die Brennstoffzelle als Hightech-Symbol

Warum aber hat der eine Antrieb gewonnen, der andere verloren, obwohl es Ähnlichkeiten gibt? Beide sind Elektroautos, beide fahren mit Strom. Aber während der Ökostrom in der bei den meisten als „Elektroauto“ bezeichneten Batterievariante direkt genutzt wird, arbeitet das Wasserstoffauto mit einer Brennstoffzelle.

Dafür wird Wasserstoff in einen Drucktank gespeichert und anschließend in einer Brennstoffzelle in elektrische Energie umgewandelt, die dann den Elektromotor antreibt. Zusätzlich dient eine kleine Batterie als Zwischenspeicher, um Lastspitzen abzufangen und Bremsenergie zurückzugewinnen (Rekuperation). Ist der Wasserstoff aus erneuerbarem Strom hergestellt, fährt auch die Brennstoffzelle klimaneutral – wenn auch mit einem Wirkungsgrad um die 40 Prozent sehr ineffizient. Zum Vergleich: Batterieautos kommen auf knapp 80 Prozent, Verbrenner auf 24 Prozent.

Autokonzerne und fossile Rohstoffriesen wollten den Traum vom Wasserstoffauto trotzdem wahr werden lassen. Die einen, weil der Antrieb Nachhaltigkeit ohne Reichweitenangst versprach. Die anderen, weil grüner Wasserstoff aus erneuerbaren Energien noch viele Jahre Zukunftsmusik bleiben wird. In der Zwischenzeit hätte sich H2 aus Erdgas perfekt als Weiterführung eines jahrzehntelang etablierten Geschäftsmodells angeboten.

Gemeinsam mit dem Industriegas-Hersteller Linde wollte Daimler-Chef Zetsche ein Ladenetz für Wasserstoff aufbauen. 2015 gründeten sie zusammen mit Air Liquide, OMV, Shell und Total das Industriekonsortium „H2 Mobility“ – mittlerweile der größte Einzelbetreiber von Wasserstofftankstellen weltweit.

Die ungehörten Kritiker

Die Verfechter der Batterie warnten schon damals vor einem drohenden Milliardengrab, doch viele Autobosse hielten dagegen: „Während man die Batterie für ein E-Auto lädt, kann man Tolstois ,Krieg und Frieden' lesen. Das Befüllen eines Wasserstoffautos reicht dagegen gerade mal, um kurz zu twittern“, sagte Daimler-Chef Zetsche auf der Internationalen Automobil Ausstellung 2011 bei der Enthüllung des neuen Mercedes Benz F125.

Mittelklasse-SUV von Mercedes mit Wasserstoffantrieb: 2017 vorgestellt, drei Jahre später schon wieder eingestellt. Foto: Hersteller

Die B-Klasse Fuel Cell (englisch für Brennstoffzelle) sollte bis 2014 in Serienfertigung gehen. Aber dazu kam es nie. 2019 stiegt Mercedes nach 30 Jahren Entwicklung im Pkw-Bereich aus dem Brennstoffzellengeschäft aus. Das einst gelobte „Jahrhundert“ für den Wasserstoff war dann doch recht kurz.

Mercedes, Volkswagen, Ford oder BMW – alle großen Autobauer hatten in der Euphorie Wasserstofffahrzeuge angekündigt. Bis heute ist kein einziges auf dem Markt. Nur BMW hält weiter an der Idee fest. 2028 soll die Serienfertigung in Zusammenarbeit mit Toyota starten. Der Hersteller aus Japan ist neben Hyundai der einzige Anbieter für Wasserstoffautos auf dem deutschen Markt.

„Am Anfang war das Wasserstoffauto bei Reichweite und Beladungsgeschwindigkeit klar im Vorteil, aber batterieelektrische Autos haben sich entwickelt, sind gleichgezogen, billiger und haben vor allem die bessere Klimabilanz“, sagt Maximilian Fichtner, Direktor des Helmholtz-Instituts für Elektrochemische Speicherung. Der Chemiker hat selbst zwölf Jahre lang an Wasserstoffantrieben mit Brennstoffzelle gearbeitet.

Die meisten Wasserstoffautos tanken immer noch graues H2 aus Erdgas. Grüner Wasserstoff aus erneuerbaren Energien soll perspektivisch zwar eine große Rolle spielen, der Ausbau kommt aber nur schleppend voran.

Ein wichtiger Grund, warum die Autokonzerne sich vom Wasserstoffantrieb verabschiedet haben, werde dabei oft vergessen: „Kein Hersteller würde sich mit Pkw, die mit grauem H2 fahren, freiwillig seine CO2-Flottengrenzwerte ruinieren“, sagt Fichtner. Die Flottengrenzwerte in der Autoindustrie legen fest, wie viel CO2 die Fahrzeugflotte eines Herstellers im Durchschnitt pro Kilometer ausstoßen darf. Hier schneidet das Batterieauto aufgrund des hohen Anteils an grünem Strom deutlich besser ab als die Brennstoffzelle.

Die untragbaren Kosten

Wo keine Autos, da keine Kunden. 200 bis 300 Fahrzeuge müssten pro Tag an eine Wasserstofftankstelle kommen, damit sich der Betrieb rechnet. In der Realität berichten Angestellte von zwei bis drei, selbst an großen Anlagen von maximal zehn Kunden am Tag. Nicht selten kommt auch gar kein Auto vorbei. Die Tankstellen sind ein Minusgeschäft. „Geld verdient damit keiner“, heißt es aus der Branche. Dementsprechend oft kommt es zu Problemen.

Ende Mai waren zwölf Tankstellen vorübergehend außer Betrieb, aus unterschiedlichen Gründen: Technische Störung, Wartung, Probleme bei der Belieferung mit Wasserstoff. Einen Monat später kommen elf weitere dazu. Die Anlagen sind veraltet und werden nicht erneuert. Eine Modernisierung lohnt sich einfach nicht.

Bei dem Unternehmen Westfalen aus Münster hat man mit dem Thema längst abgeschlossen. „Wir betreiben noch eine Wasserstofftankstelle für Pkw und Lkw in Münster. Das werden wir auch weiterhin tun, weil wir als Familienunternehmen für unsere Kunden da sein wollen. Aber im Pkw-Bereich sehen wir im Grunde kein Zukunftsgeschäft für uns“, sagt CEO Thomas Perkmann dem Handelsblatt.

Nicht nur die politische Unterstützung für E-Autos besiegelte das Schicksal der Brennstoffzelle. Auch schlichte ökonomische Gründe haben den Durchbruch verhindert.

Batteriefahrzeuge sind günstiger und einfacher in der Herstellung, besser für die Emissionsgrenzwerte der Konzerne, Ladesäulen sind deutlich einfacher ans Stromnetz angeschlossen als mit Wasserstoff versorgt. Denn der Transport des Moleküls hat es in sich.

Wasserstoff wird unter hohem Energieaufwand komprimiert und in Tanklastwagen transportiert. Vor Ort muss er dann ebenfalls unter großem Druck gelagert oder in flüssiger Form gekühlt aufbewahrt werden. Pkw tanken das leichteste aller Gase bei minus 40 Grad und 700 bar Druck.

Produktion und Lagerung sind also aufwendig und teuer. Dementsprechend hoch sind die Preise an der Zapfsäule. Hat ein Kilogramm Wasserstoff vor zehn Jahren noch knapp zehn Euro gekostet, liegt der Preis heute zwischen 15 und 19 Euro. Mit einem Kilogramm kommt man zwischen 80 und 100 Kilometer weit – je nach Fahrweise. Die Kosten liegen zwar nur leicht höher als bei einem Dieselauto in vergleichbarer Größe, aber im Zweifel etwa doppelt so hoch wie bei einem entsprechenden E-Auto.

„Grauer Wasserstoff ist zentral organisiert, es gibt nur wenige Quellen in Deutschland. Deswegen sind die Logistikrouten zu den einzelnen Wasserstofftankstellen relativ lang“, sagt Falk Schulte-Wintrop, Strategiechef von H2 Mobility. Das ehemalige Konsortium für Pkw-Tankstellen konzentriert sich mittlerweile auf den Ausbau der Infrastruktur für Wasserstoff-Lkw und Busse. „Heute baut man sehr große Tankstellen, wo man einen strukturellen Case abbilden kann. Der Hebel sind aber hier nicht die Pkw“, sagt Schulte-Wintrop.

Der stille Abschied

Für Überzeugungstäter wie Alexander Lechleuthner ist das Kostenargument ein vernichtendes Urteil. Der ärztliche Leiter des Rettungsdienstes in Köln hat sich erst vor zwei Jahren sehr bewusst für ein Wasserstoffauto entschieden. „Ich weiß nicht, wie lange es die Technologie noch gibt, aber wenn sie keiner kauft, wird sie auch nicht überleben. Und das wollte ich nicht“, sagt der promovierte Mediziner.

Probleme hatte er bislang mit seinem Toyota Mirai keine. Knapp 600 Kilometer reicht eine Tankfüllung. Genug, um die Familie in München zu besuchen, sagt der gebürtige Bayer. Was ihn fasziniert, ist die Technologie dahinter. „Wie beim Verbrenner wird hier etwas im Auto produziert, es ist eine Hochtechnologie, die wir gerade verschenken“, sagt Lechleuthner.

Toyota Mirai: Einziges H2-Modell auf dem deutschen Neuwagenmarkt. Foto: Toyota

Dass die nächste Tankstelle von seinem Wohnort in Bergisch Gladbach in Leverkusen und damit eine halbe Stunde entfernt liegt, stört ihn nicht. Knapp 20.000 Kilometer ist er schon gefahren. „Wir leben von Innovationen und Technologieoffenheit, nicht nur im Rettungsdienst“, sagt Lechleuthner. Aber auch er sieht, dass die Batterie das Rennen gewonnen hat. Ende des Jahres läuft sein Leasing-Vertrag aus. Ob er das Auto abgibt oder verkauft, das weiß Lechleuthner noch nicht.

Die Frage nach dem Revival

Vor einigen Monaten machte ein Fall deutlich, wie wenig Bedeutung die Politik den H2-Autos noch beimisst. Die Nationale Organisation für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW), eine bundeseigene Gesellschaft zur Entwicklung und Begleitung von Förderprojekten rund um klimaneutrale Mobilität, wurde kurzerhand umgewidmet.

Wo vorher vor allem der Aufbau von Wasserstofftankstellen im Mittelpunkt stand, konzentriere man sich künftig auf das Themenfeld Elektromobilität und Ladeinfrastruktur, hieß es in einer Mitteilung. Der langjährige Chef Kurt-Christoph von Knobelsdorff musste gehen. Grund für die Neuausrichtung seien, so hieß es, die nötigen Einsparungen im Bundeshaushalt. „Die NOW einzudampfen, war da die leichteste Übung“, sagt ein Manager aus der Branche. Man befinde sich im Tal des Todes.

Vom großen Durchbruch hat sich mittlerweile auch Thomas Klassen verabschiedet. „Vielleicht ändert sich das noch mal, wenn die Lkw kommen, dann könnten Pkw ein Beifang werden. Aber es wird immer eine Nische bleiben.“

Bis dahin fährt Klassen weiter mit Brennstoffzelle. Nur wenn er seine Familie im Sauerland besucht, „dann wird es langsam schwierig.“ Die Beziehung zu seinem Auto, sie wird brüchig.

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