Der Ruf nach Lohntransparenz wird lauter
Immer mehr Leute fordern Offenheit beim Thema Gehalt. Aber was bringt Lohntransparenz?
Schluss mit der Geheimhaltung beim Geld – das gilt ab sofort im US-Bundesstaat New York. Seit Anfang des Jahres müssen die Unternehmen dort in einer Stellenanzeige zumindest grob angeben, was es zu verdienen gibt. In Kalifornien, oft Wegweiser bei Regulationen, gilt das schon länger.
Jetzt scheint sich auch die Schweiz langsam für das Thema Lohntransparenz zu erwärmen: SRF-Moderatorin Oceana Galmarini verriet unlängst öffentlich, dass sie 6020.40 Franken pro Monat verdient, bei der ehemaligen SRF-Moderatorin Patrizia Laeri sind es nach eigenen Angaben monatlich rund 8000 Franken, die sie mit ihrem Startup Ellexx verdient. Die Gastro-Kette Wiesner wirbt damit, dass hier jeder das Gehalt der anderen erfragen kann – sogar das der Chefs. Aber wollen das die Arbeitskräfte überhaupt? Und was bringt Transparenz?
Ganz neu ist der Ruf nach transparenten Löhnen nicht. Pioniere wie Ergon Informatik oder die Alternative Bank haben sie längst eingeführt. Doch der Ruf wird lauter. «Das Interesse seitens der Unternehmen nimmt definitiv zu», sagt Corinna Ast, Gehaltsexpertin beim Wirtschaftsprüfungsunternehmen EY in der Schweiz.
Schweizer scheuen die Offenheit
Als Auslöser sieht sie – neben gesellschaftlichem Druck – vor allem neue gesetzliche Regeln. Das Europäische Parlament zum Beispiel hat im März eine neue Direktive zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen verabschiedet, die die Mitgliedsländer in den kommenden drei Jahren umsetzen müssen. Solche Regeln würden auch auf die Schweiz abstrahlen und die Unternehmen unter Zugzwang setzen, so Ast. «Alle wollen vor der Welle sein.»
Traditionell tun sich gerade Schweizer Firmen mit Offenheit beim Thema Geld schwer. Laut einer Umfrage des Stellenportals Jobcloud ist nur jedes dritte Unternehmen hierzulande bereit, seine Löhne publik zu machen. «Es existieren viele alte, technokratische Lohnsysteme», sagt Urs Klingler, Gründer des Beratungsunternehmens Klingler Consultants, das unlängst von EY übernommen wurde. «Hinzu kommt, dass das Wissen über die Vergütung in der Schweiz generell noch entwicklungsfähig ist», so der Branchenkenner.
Dabei sprechen gute Gründe dafür, endlich Klartext über das Finanzielle zu reden. «Wird Lohntransparenz eingeführt, nehmen die Gehaltsunterschiede ab, das ist empirisch bewiesen», sagt Anna Sender, Forscherin an der Universität Luzern und an der Hochschule Luzern. Sind die Saläre einsehbar, kommt es zu weniger Ausreissern nach oben, weil sich diese schwerer begründen lassen. Auch die Lohnunterschiede zwischen weiblichen und männlichen Angestellten schrumpfen. «Vor allem, weil der Lohnzuwachs bei den Männern gebremst wird», so Wissenschafterin Sender.
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Transparenz erzeugt mehr negative als positive Gefühle
Zu wissen, was die anderen verdienen, macht allerdings nicht automatisch glücklich. Viele Studien, zuletzt von der Hochschule Fresenius in Köln, haben bewiesen, dass die Zufriedenheit sogar sinken kann, wenn die Gehälter auf den Tisch kommen. Ursache sind die unterschiedlichen Reaktionen der Mitarbeitenden: Wer herausfindet, dass andere Personen im Kollegenkreis mehr verdienen, ist häufig sehr verärgert. Bei den überdurchschnittlich Entlohnten dagegen fällt die Freude eher verhalten aus. In der Summe erzeugt Transparenz oft mehr negative als positive Gefühle.
Dafür steigt die Motivation. Wer sich direkt mit anderen vergleichen kann, packt mehr an – zumindest ein wenig. Das belegt eine neue Studie der Harvard Business School. Die Forscherinnen untersuchten, wie Angestellte auf die Offenlegung der Chefgehälter reagieren. Finden sie heraus, dass ihre Vorgesetzten 10 Prozent mehr als gedacht verdienen, bleiben sie jeden Tag fünf Minuten länger im Büro. Die Aussicht auf das höhere Salär steigert also die Karriereambitionen. Wer erfährt, dass der Büronachbar finanziell besser abschneidet, wird dagegen unproduktiver.
In Umfragen erscheint es oft, als brenne das Thema Lohn den Menschen unter den Fingern. Als die Plattform Xing zum Beispiel tausend berufstätige Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer dazu befragte, sprachen sich satte 71 Prozent für die Veröffentlichung aller Einkommen aus. Doch im Alltag ist das Interesse eher mässig. Wissenschafterin Sender hat dazu eine interessante Beobachtung gemacht: Im Rahmen einer an der Uni Luzern durchgeführten Studie begleitete das Forschungsteam ein Unternehmen, das neu Gehaltsbänder eingeführt hatte.
Selbst nachdem die Lohnspannen bekannt gegeben worden waren, wussten 50 Prozent der Mitarbeitenden nichts davon – vermutlich weil sie sich nicht die Mühe gemacht hatten, die entsprechende E-Mail zu öffnen. «Es gibt immer Teile der Belegschaft, die sich mit dem Thema nicht befassen wollen», folgert Sender. Urs Klingler, Partner und Vergütungsexperte bei EY, verweist augenzwinkernd auf ein psychologisches Paradoxon: «Jeder ist für Transparenz – nur nicht beim eigenen Lohn.»
Transparenz lässt Löhne nicht hochschnellen
Die Befürchtung vieler Firmen, Transparenz könnte die Löhne hochschnellen lassen, hält Forscherin Sender für unbegründet. «Studien in den USA haben gezeigt, dass der Anstieg, wenn überhaupt, eher moderat ausfällt.» Zuwächse im unteren Bereich würden oft durch die Kürzung von überdurchschnittlichen Salären ausgeglichen.
In einem sind sich die Fachleute einig: Einfach über Nacht alle Saläre offenzulegen, ist nicht der richtige Weg. Das würde nur Unruhe stiften und für endlose Neiddebatten sorgen. Wissenschafterin Sender beschreibt die optimale Lösung so: «Man sollte nicht mit dem ‹Wie viel›, sondern mit dem ‹Wie› anfangen.»
Heisst: Zunächst sollte das Unternehmen ein einfaches Lohnsystem einführen, das die Menschen auch verstehen können. «Prozedurale Transparenz» nennen das Fachleute. Jeder und jede muss nachvollziehen können, wie die Gehälter zustande kommen und welche Faktoren sie beeinflussen. «Vergleichbare Leute müssen auch vergleichbar bezahlt werden», findet Experte Klingler. Er empfiehlt enge Lohnbänder und die Einführung des Mehraugenprinzips bei der Festlegung der Saläre. Volle Transparenz – also die interne Liste mit Name und Gehalt – halten die meisten Fachleute nicht für nötig.
Der Weg zur Lohntransparenz ist steinig
Einfach wird der Weg in die neue Gehaltswelt allerdings nicht. Denn wer mehr Gleichheit will, muss sich von lieb gewonnenen Praktiken verabschieden. Unternehmen können zum Beispiel keine Menschen mehr nach Dauer der Betriebszugehörigkeit bezahlen, wie es im öffentlichen Sektor üblich ist. Und Profis von anderen Firmen mit grosszügigen Gehaltsgeschenken ins eigene Team zu locken, wird ebenfalls schwierig. «Wenn überhaupt, dürfte eher mit Antrittsprämien als mit dem Folgegehalt gearbeitet werden», vermutet EY-Expertin Ast.
Dennoch halten Fachleute mehr Offenheit für unvermeidbar. Allein schon, um für den Nachwuchs als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben, müssten sich die Unternehmen hier bewegen, heisst es. «Die Generation Z hat hohe Ansprüche, was die Offenheit angeht», betont EY-Expertin Ast. Sie erwartet, dass der Gender-Pay-Gap unter dem Druck der Jungen verschwinden wird.
Wissenschafterin Sender rät den Unternehmen allerdings, nicht nur beim Gehalt auf Offenheit zu setzen. «Der Lohn ist das Signal für eine Kultur. Die Kandidatinnen und Kandidaten erwarten Transparenz dann auch in anderen Bereichen.» Anders gesagt: Wer offen über das Gehalt sprechen kann, erwartet, offen über alles sprechen zu können.
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