Der Zyklus der Gabe
Der Zyklus der Gabe schafft gegenseitiges Vertrauen – „in Situationen der Ungewissheit, der Fremdheit schlägt er eine erste Brücke“, schreibt Ulrich Grober in seinem Buch „Der leise Atem der Zukunft“. Darin zeigt er, wie durch den Akt des Gebens ein Begegnungsrahmen erschaffen werden kann, wo es jedem in wechselnden Rollen möglich ist zu agieren: „Das Paradigma der Gabe hat mit Freundlichkeit und Großzügigkeit zu tun, mit Anmut und Schönheit.“ Die Theorie der Gabe erweitert den Blick des Menschen auf die Idee der Nachhaltigkeit. Gerechtigkeit zwischen den Generationen und die Beziehung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erscheinen hier in einem neuen Licht: An die folgenden Generationen soll weitergegeben werden, was man selbst von den Vorfahren dankbar empfangen und in seiner Zeit „nachhaltig“ genutzt hat, was man schonen und vermehren durfte. Der Kern von Nachhaltigkeit ist für Ulrich Grüber die Gabe. Das, was man zurückerhält, ist ein zeitlich versetztes dankbares Gedenken der Nachkommen.
Wer Persönliches (greifbare Gefühle) schenkt, gibt noch etwas hinzu: Zeit und Gedanken. Gerade im Hineinversetzen in den anderen besteht ein Reiz des Schenkens. Deshalb gehört auch ein Thema wie Empathie in den Nachhaltigkeitskontext. Vor dem Hintergrund der emotionalen Bedeutung des Schenkens sind Goethes Zeilen noch heute hochaktuell: "Mann mit zugeknöpften Taschen, / Dir tut niemand was zulieb‘; / Hand wird nur von Hand gewaschen; / Wenn Du nehmen willst so gib!“
Wenn die US-Journalistin und Mitbegründerin der Huffington Post, Arianna Huffington, in „Die Neuerfindung des Erfolgs“ auf Grabreden verweist, ist das eine logische und sinnhafte Folge zu ihren anderen Aussagen. Es geht ihr um die Fragen, was wir anderen gegeben haben, wie wir mit ihnen im Leben umgegangen sind, oder was wir unserer Familie und unseren Freunden bedeutet haben. Warum, fragt sie zu Recht, „verwenden wir so viel von unserer begrenzten Lebenszeit auf all die Dinge, die in unserer Grabrede bestimmt nicht vorkommen werden?" Die Eintragungen im tabellarischen Lebenslauf, auf die so viel Zeit und Mühe verwendet wird, verlieren angesichts des Todes wie jeder bewundernswerte Wikipedia-Eintrag ihre Bedeutung. Wessen „Leben für Leistung und Erfolg steht, wird in seiner Grabrede fast nur für das gelobt, was er getan hat, wenn er nicht gerade auf Leistung und Erfolg fixiert war". Sie unterliegt nicht den Zwängen einer verzerrten Erfolgsdefinition.
Weiterführende Informationen:
Arianna Huffington: Die Neuerfindung des Erfolgs. Weisheit, Staunen, Großzügigkeit – Was uns wirklich weiterbringt. Aus dem Amerikanischen von Dagmar Mallett und Karin Schuler. Riemann Verlag, München 2014.
Ulrich Grober: Der leise Atem der Zukunft. Vom Aufstieg nachhaltiger Werte in Zeiten der Krise. Oekom Verlag München 2016.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.