Die Generation Y steckt in einer Sinnkrise – und scheut Führungsverantwortung. - Foto: IMAGO / Pond5 Images
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Deshalb haben Millennials keine Lust auf Job-Verantwortung

Aus dem Handelsblatt-Archiv: Die Generation Y ist alt genug, um Chef-Positionen zu übernehmen. Doch sie steckt in der Sinnkrise. Was Millennials stört – und was die Gen Z besser macht.

Berlin. Stefanie Richter sagt, sie möge den Begriff „Karriere“ nicht – dabei lässt sich ihr beruflicher Werdegang kaum anders beschreiben. Nach dem dualen BWL-Studium bei einer Versicherung stieg sie in einer Vermögensverwaltung ein und wechselte dann zu einer Beratung, wo sie sich bis zur Projektleitung hocharbeitete.

Es hielt sie dort so lange, bis sie in einem Projekt eingesetzt wurde, das aus ihrer Sicht „absolut keinen Sinn“ ergab. Sie habe keinen Mehrwert für den Kunden liefern können, durfte das Projekt aber trotzdem nicht verlassen, sagt sie. Ein Zustand, den Richter nicht akzeptieren wollte.

Also wechselte sie als Managerin zu einer anderen Beratung und schließlich zu einer Versicherung. Dort wurde sie mit 30 Jahren Abteilungsleiterin. Nach einem Jahr in dieser Rolle hat sie jetzt auch dort gekündigt: Die Art von Führung, die von ihr verlangt wurde, passt nicht zu ihren Wertvorstellungen.

„Ich sehe mich als Coachin, die am Spielfeldrand steht, ihr Team trainiert und dafür sorgt, dass es auf dem Platz alles geben kann, und nicht als General, der von oben herab per Anweisung, Kontrolle und Druck agiert“, sagt Richter. Also entschied sie sich für den Rückzug.

„Wieso Führung?“ Mit dieser Frage ist Stefanie Richter nicht allein. Viele der 30- bis 45-Jährigen, die Generation Y oder Millennials genannt werden, haben kaum Interesse an Machtpositionen oder einer Karriere im klassischen Sinn – zumindest nicht um jeden Preis. Und das, obwohl viele von ihnen gut ausgebildet sind und ihnen der rote Teppich ausgerollt wird.

Doch laut der Jugendtrendstudie 2023 legen unter den 30- bis Mitte 40-Jährigen nur zwölf Prozent Wert auf Führungsverantwortung – wichtiger sind ihnen die Arbeitsatmosphäre, eine Balance von Arbeit und Freizeit und Sinnhaftigkeit.

Sind Millennials bereit Verantwortung zu übernehmen?

Für den Jugendforscher Klaus Hurrelmann, Professor of Public Health and Education an der Hertie School Berlin, ist klar, dass die Ypsiloner, wie er die Generation nennt, keine allgemeine Abneigung gegen Karriere haben – aber mangelnde Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Die Vorstellung laute: „Wenn ich in eine Führungsposition komme, dann widerspricht das all meinen Vorstellungen von sensiblen Umgangsformen.“

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Dabei ist es genau diese Generation, die jetzt alt genug wäre, um in Unternehmen Verantwortung zu übernehmen. Verweigern sie sich, könnte es eng werden: Das Beratungsunternehmen BCG warnt, dass bis 2030 in Deutschland 341.000 Topführungskräfte fehlen könnten.

Woher kommt das Störgefühl der Generation Y, wenn es um Führungsverantwortung oder generell um ihren Job geht? Und wieso bauen sie die Arbeitswelt nicht einfach nach ihren Vorstellungen um?

„Die Generation Y hat die Arschkarte gezogen“

Der Wirtschaftswissenschaftler Simon Schnetzer beschäftigt sich als selbstständiger Generationenforscher seit vielen Jahren mit den verschiedenen Alterskohorten. Mit zwei Co-Autoren gibt er einmal im Jahr die Jugendtrendstudie heraus. „Die Generation Y ist im Grunde die Generation, die die Arschkarte gezogen hat“, sagt Schnetzer, der mit 44 Jahren gerade noch selbst dazuzählt. „Wir führen das System der Boomer fort, obwohl wir wissen, dass es so nicht weiter funktioniert.“

Eigentlich seien die Ansprüche an die eigene Arbeit ähnlich wie bei der jüngeren Generation Z. „Die wichtigsten Erwartungen sind Spaß, Sinn und Sicherheit“, sagt er. Das Betriebsklima und das Gehalt sollen stimmen, der Chef soll nett sein. Worin sich die beiden Gruppen jedoch unterscheiden: Sie fordern anders ein, was sie sich vorstellen. Während die ganz junge Generation selbstbewusst mit ihren Wünschen umgeht, nehmen die Millennials die Gegebenheiten mehr oder weniger hin.

Viele Menschen in ihren 30ern und frühen 40ern hadern leise. Sie trauen sich nicht, ihre Bedürfnisse einzufordern – und wählen lieber die stille Flucht. Entweder, wie Stefanie Richter, durch eine Kündigung oder indem sie sich stillschweigend mit ihrer Situation abfinden.

In jedem Fall fehlt ihnen das Selbstvertrauen, Verantwortung zu übernehmen und die Gegebenheiten selbst zu ändern. Das liegt auch an dem Erbe der Vorgängergenerationen.

Gebrochenes Versprechen von mehr Sicherheit durch harte Arbeit

Die Generation der Babyboomer hat den Arbeitsmarkt von heute geprägt und hat, zumindest in Westdeutschland, Jahrzehnte erlebt, in denen es immer weiter bergauf ging. Daraus entstand das Versprechen an die Jüngeren, dass harte Arbeit mehr Wohlstand bringen würde. Ein Versprechen, das allerdings längst nicht mehr eingelöst wird.

Laut einer Studie der OECD aus dem Jahr 2019 sind die Millennials die erste Generation seit dem Zweiten Weltkrieg, der es materiell schlechtergeht als ihren Eltern – und da waren Krisen wie der Ukrainekrieg oder die Coronapandemie noch gar nicht miteingerechnet. Konnten sich die Eltern aus der Mittelschicht noch ein Haus mit Garten leisten, ist für die jüngeren Generationen heute oft nicht einmal mehr eine Eigentumswohnung drin.

Das frustriert viele Leute wie Felix Hensel, 32 Jahre alt. Er sagt, er habe früh gelernt, was harte Arbeit bedeutet. Mit 16 Jahren entschied er sich nach der Mittleren Reife für eine Ausbildung zum Hotelfachmann statt für Abitur und Studium. „Mach erst mal eine Ausbildung, dann hast du was Sicheres, dann kannst du dir später was leisten“, rieten ihm seine Eltern. Hensel hörte auf ihren Rat.

Es folgten Jahre, in denen er häufig 50 Stunden oder mehr die Woche arbeitete. Oft auch nachts oder früh morgens. „So etwas wie Homeoffice gab es da nicht.“ Heute, 16 Jahre später, ist Felix Hensel Abteilungsleiter bei einer Immobilienfirma in München. Er hat zwar keine Nacht- und Frühschichten mehr, arbeitet aber immer noch viel.

Mit seinem Gehalt kann er sich ein gutes Leben leisten – aber es gibt nicht die von seinen Eltern versprochene Sicherheit. Eine Eigentumswohnung für ihn und seinen Partner im Münchener Umland? „Viel zu teuer“, sagt Hensel. Ohne Erbe oder Eltern, die finanziell helfen, sei eine eigene Immobilie für ein junges Paar in der Mittelschicht unerreichbar.

Harte Arbeit und trotzdem kein Geld fürs Eigenheim - das frustriert. - Foto: Getty Images (Symbolbild)
Harte Arbeit und trotzdem kein Geld fürs Eigenheim - das frustriert. - Foto: Getty Images (Symbolbild)

Trotz seiner Führungsposition hat Hensel deshalb Angst, im Alter arm zu sein. Hensel frustriert das: „Ich bin mit dem Credo aufgewachsen: Wer richtig rackert, hat später keine Sorgen.“ Heute hat er das Gefühl, dass er zwar gut verdient – sein Geld aber nichts mehr wert ist.

Immer öfter schleicht sich deshalb auch bei Felix Hensel die Frage nach dem Warum ein. Nicht nur, weil ihm trotz harter Arbeit die Absicherung im Alter fehlt. Auch er stellt sich die Sinnfrage. Sein Job macht ihm zwar Spaß – seine Leidenschaft liegt aber woanders. Eigentlich würde er gern im Personalbereich arbeiten.

Davon halten ihn die geringeren Gehaltsaussichten ab – und dass er nicht weiß, was auf ihn bei einem Wechsel zukommt. „Ich bin kein Abenteurer“, sagt er. Und eigentlich sei ja auch alles gut, so wie es ist. Ab und an, sagt Hensel, bewundere er die Generation Z. „Die setzen selbstbewusst durch, was sie wollen.“

Eine andere Zeit, ein anderes Selbstverständnis

Dass Millennials zurückhaltender sind, zeigt auch eine exklusive Auswertung der Jobplattform Xing für das Handelsblatt. Befragt wurden 1000 Arbeitnehmer zwischen 18 und 65 Jahren. Rund die Hälfte der an der Umfrage teilnehmenden Millennials gab an, dass jüngere Kollegen lautere Forderungen stellen. Mehr als jeder Dritte der zwischen 1980 und 1995 Geborenen sagte zudem, sich gegenüber jüngeren Kollegen benachteiligt zu fühlen.

Julian Stahl, Arbeitsmarktexperte bei der Jobplattform Xing, weiß, woher die Zurückhaltung kommt: Die sogenannte Generation Y ist in einer anderen Zeit groß geworden. „Die Arbeitsmarktsituation beim Berufseinstieg der Millennials war eine andere als bei der Generation Z heute“, sagt Stahl. In den Nullerjahren – also zwischen 2000 und 2010 – war die Arbeitslosigkeit teilweise doppelt so hoch wie heute. „Auf 50 Bewerbungen für ein unbezahltes Praktikum bekam man gefühlt fünf Antworten“, sagt er. „Das prägt.“ Die Millennials wuchsen im Bewusstsein auf, dass der Arbeitsmarkt ein hartes Pflaster sein würde.

Generation Y: Still leiden oder alles hinschmeißen? - Foto: Getty Images (Symbolbild)
Generation Y: Still leiden oder alles hinschmeißen? - Foto: Getty Images (Symbolbild)

Heute sei der Arbeitsmarkt kein Arbeitgebermarkt mehr, sondern ein Bewerbermarkt, sagt Stahl. „Es gibt viel mehr offene Stellen und viel weniger Arbeitslose als noch vor ein paar Jahren.“ Junge, gut ausgebildete Talente könnten sich ihre Arbeitgeber aussuchen. Das gelte zwar auch für die Millennials. „Aber in deren Köpfen ist noch viel stärker verankert, dass der Arbeitgeber den Ton angibt.“ Das Gefühl, das sich breitmacht: Die Arbeitsrealität passt mir nicht – aber ich kann auch nichts daran ändern.

Generation Y: Die heimlichen Revolutionäre

Das bestätigt auch der Berliner Forscher Hurrelmann. Er sieht, dass das Aufwachsen mit unsicheren Jobaussichten die Generation Y geprägt hat. Die Folge: „Sie haben sich nie getraut zu artikulieren, dass sie mit den Rahmenbedingungen nicht einverstanden sind, die ihnen hinterlassen wurden.“ Dadurch gebe es große Hemmungen, in die Fußstapfen der heutigen Führungskräfte zu treten.

Schon vor zehn Jahren beobachtete der Generationenforscher, dass die damals 20- bis 35-Jährigen zwar neue Vorstellungen und Werte mitbrachten – diese aber kaum durchzusetzen wagten. Sein Buch über die Generation trägt deshalb den Titel: „Die heimlichen Revolutionäre“.

Doch es zeigt sich auch eine Kehrseite der Sensibilität. In einem Essay im Jahr 2014 beschrieb der Autor Tim Urban die Generation Y 2014 als überbehütet mit zu hohen Ansprüchen und dem Glauben, etwas ganz Besonderes zu sein. Mit diesen hohen Ansprüchen könne die Realität einfach nicht mithalten - weshalb so viele Angehörige der Generation unzufrieden seien.

Millennials: Überbehütet und anspruchsvoll?

Generationenforscher Hurrelmann bestätigt, dass viele Kinder der 1980er- und frühen 1990er-Jahre von ihren Eltern in einer Art „Schutzkokon“ von den Krisen der Welt abgeschirmt worden seien. Mit der Folge, dass viele dieser Kinder als heutige Erwachsene den Wettbewerb scheuten.

„Das gilt natürlich nie für 100 Prozent einer Altersgruppe“, sagt Hurrelmann, „aber viele Angehörige der Generation Y sind sehr zurückhaltend, Risiken einzugehen und ihre Umwelt zu gestalten.“ Das könne man schon als Defizit betrachten.

Stefanie Richter will gestalten – aber anders. Für die Zeit nach ihrer Kündigung hat sie noch keine konkreten Pläne, aber viele Ideen. „Ich bin 31 und habe nun auch Führungserfahrung gesammelt“, sagt sie. Sie habe viel gelernt und möchte sich nun verstärkt den Themen Organisationsentwicklung und der neuen Arbeitswelt widmen. Hauptsache, etwas Sinnvolles.

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