Mitarbeiterin am Computer: Immer mehr deutsche Beschäftigte arbeiten in Teilzeit. Foto: Getty Images
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Deshalb sind Teilzeitstellen in Deutschland so beliebt

Mehr als ein Drittel der deutschen Beschäftigten arbeitet in Teilzeit. Eine Auswertung zeigt: Fehlende Betreuung ist ein, aber nicht der häufigste Grund.

Berlin. Die Teilzeitquote in Deutschland hat einen Höchststand erreicht. Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lag sie im zweiten Quartal 2024 bei 39,8 Prozent und damit um 0,5 Prozentpunkte höher als im Vorjahr. Die Vollzeitbeschäftigung ist dagegen erneut gesunken.

Warum aber entscheiden sich immer mehr Menschen für eine reduzierte Arbeitszeit? Ein Grund, der in der öffentlichen Diskussion immer wieder genannt wird, ist die Betreuung von Kindern oder die Pflege von Angehörigen. Nach einer aktuellen Auswertung der Jobplattform Stepstone unter 5800 deutschen Arbeitnehmern – davon 700 in Teilzeit – reduziert deshalb jedoch nur jeder fünfte Beschäftigte seine Arbeitszeit. Die Studie liegt dem Handelsblatt exklusiv vor.

Welchen Grund die Befragten stattdessen am häufigsten nannten – und wie man Arbeitnehmer dazu motivieren kann, ihre Arbeitszeit zu erhöhen.

Mehr Freizeit schlägt Betreuung

Knapp die Hälfte der von Stepstone befragten Teilzeitbeschäftigten sagten, mehr Zeit für sich und ihr Umfeld haben zu wollen. Rund 40 Prozent gaben zudem an, keine Vollzeitstelle zu haben, weil sie gerne in Teilzeit arbeiten. Etwas mehr als 14 Prozent würden sogar lieber ihre Ausgaben reduzieren, statt mehr zu arbeiten.

„Das Thema Work-Life-Balance hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen“, sagt auch Tobias Zimmermann, Arbeitsmarktexperte bei Stepstone. Das bedeute nicht, dass Arbeitnehmer generell weniger Lust auf Arbeit hätten: „Die Bedürfnisse der Menschen sind individuell und hängen von vielen Faktoren ab“, sagt Zimmermann.

Zum Beispiel vom Alter und der entsprechenden Lebensphase. Junge Eltern etwa hätten zwischenzeitlich oft eine höhere Priorität für ihr Familien- und Privatleben, sagt der Experte: „Was sich im Laufe der Zeit dann aber auch wieder verschiebt.“

Auch Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sieht einen leichten Trend zur Arbeitszeitverkürzung bei deutschen Arbeitnehmern. „Dabei geht es aber eher darum, dass die Menschen nicht mehr so viele Überstunden leisten wollen, als dass sie auf 30 Stunden reduzieren“, sagt er. „Das ist deutlich moderater, als es in der öffentlichen Diskussion oft den Anschein hat.“

Generell warnt er davor, den Anstieg der Teilzeitquote überzubewerten.  Die Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden sei gestiegen, weil mittlerweile deutlich mehr Arbeitskräfte – etwa Ältere, Studierende und vor allem Frauen – am Arbeitsmarkt aktiv seien. „Besonders bei den Frauen ist die Erwerbsbeteiligung in den vergangenen Jahrzehnten enorm gestiegen.“ Da weibliche Beschäftigte eine deutlich höhere Teilzeitquote aufweisen als männliche, steige logischerweise auch der Gesamtwert. Die Teilzeit ist dabei auch nicht zwingend eine freiwillige Entscheidung.

Zwei von drei Müttern würden ihre Stunden aufstocken

Denn Frauen sind nach wie vor besonders von fehlenden Betreuungsangeboten betroffen. Rund 24 Prozent der weiblichen Teilnehmer sagten, dass sie unter anderem in Teilzeit arbeiten, weil sie keine ausreichende Betreuung für ihre Kinder oder pflegebedürftigen Angehörigen finden. Bei den männlichen Befragten gaben nicht einmal neun Prozent an, deswegen ihre Arbeitszeit reduziert zu haben.

„Die Diskussion um Voll- und Teilzeitbeschäftigung ist unweigerlich verknüpft mit dem Thema Kinderbetreuung – und das betrifft noch immer vor allem Mütter“, sagt Stepstone-Experte Zimmermann. Laut einer weiteren Studie von Stepstone würden 66 Prozent der Mütter gerne ihre Stunden aufstocken, wenn es die Kinderbetreuung zuließe.

Eine Beispielrechnung, die die Analysten von Stepstone im Frühjahr 2024 für das Handelsblatt durchgeführt haben, zeigt: Würde man die 66 Prozent auf alle Eltern mit Kindern unter zehn Jahren übertragen, die in Deutschland weniger als 30 Stunden arbeiten, entgingen so der deutschen Wirtschaft bis zu 1,2 Milliarden Arbeitsstunden pro Jahr. Multipliziert mit den entsprechenden Medianeinkommen in Deutschland würden sich dadurch jährlich bis zu 22,7 Milliarden Euro ergeben, die nicht verdient werden.

Frauen bleiben oft in Teilzeit, wenn die Kinder älter werden

IAB-Experte Enzo Weber sieht hier noch ein weiteres Problem, das er die Teilzeitfalle nennt. „Viele Frauen, die wegen der Kinderbetreuung kürzergetreten sind, arbeiten in reduziertem Umfang weiter“, sagt er. Auch wenn die Kinder älter sind. Und auch qualitativ gehe die berufliche Entwicklung oft nicht weiter voran. „Das halte ich für das zentrale Problem“, sagt Weber: „Da sind andere Länder deutlich besser als wir.“

In Skandinavien gebe es von Anfang an eine deutlich stärkere Förderung der Kinderbetreuung. In Deutschland würden die Möglichkeiten derzeit zwar auch ausgebaut. Gerade im Westen bestehe aber großer Nachholbedarf.

Wege aus der Teilzeitfalle

Unternehmen können hier ansetzen, sagt Tobias Zimmermann:  „Flexibilität bei Zeit und Ort, Unterstützung beim Thema Kinderbetreuung und eine Kultur, die Karrieren von Eltern fördert, sind entscheidende Aspekte.“

Das sollte auch ein gesellschaftlicher Ansporn sein, findet der Arbeitsmarktexperte. Um den Wohlstand in Deutschland zu halten, brauche es alle verfügbaren Menschen auf dem Arbeitsmarkt. „Je mehr Menschen wir in Vollzeit bringen, desto besser“, sagt Zimmermann.

Gleichzeitig sei es aber besser, wenn Menschen in Teilzeit arbeiten, anstatt gänzlich aus dem Erwerbsleben auszuscheiden: „Wer Angehörige pflegt oder Kinder betreut, übernimmt eine enorm verantwortungsvolle Aufgabe, für die wir als Gesellschaft alle Unterstützung bieten sollten.“

Das bedeutete auch, mit einer reduzierten Stundenanzahl Karriere machen zu können. Die Auswertung von Stepstone zeigt, dass das selten der Fall ist. Denn auch die Vollzeitkräfte wurden befragt: Welche Gründe sprechen für sie gegen eine reduzierte Arbeitszeit?

Am häufigsten wurde ein zu geringes Einkommen genannt. Jeder Fünfte sagte jedoch auch, seine Position ließe sich nicht in Teilzeit ausführen. Und jeder Vierte sagte, der Arbeitgeber erwarte von Führungskräften Vollzeit. Rund 14 Prozent glauben, eine Teilzeitstelle wirke sich negativ auf die Karrierechancen aus.

Tobias Zimmermann versteht zwar, dass es in höheren Positionen schwieriger wird, Stunden zu reduzieren. Dennoch gebe es mittlerweile zahlreiche flexible Lösungen – zum Beispiel Job-Tandems, bei denen man sich eine Rolle zu zweit teilt.

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