Deutsche Autoindustrie schmiedet Software-Allianz gegen Google, Apple und Co.
Mit Unterstützung des Automobilverbandes VDA soll mehr Geschwindigkeit in die Software-Entwicklung – um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Mehr als zwei Millionen Fahrer eines elektrischen Mercedes erlebten eine angenehme Überraschung: Bei der Reiseplanung inklusive der nötigen Ladepausen zeigte das Navi nicht mehr nur eine Route, sondern machte zudem verschiedene Vorschläge – mit weniger Verkehr, schöneren Strecken oder dem kürzesten Weg. Möglich war der neue Service dank eines Softwareupdates, das Mercedes-Modelle wie der EQA, EQE oder EQS „over the air“, also per Mobilfunk aufgespielt bekamen.
Regelmäßige Updates – bei Tesla Standard seit dem Model S
Over-the-Air-Updates sind ein zentraler Baustein auf dem Weg zum Software-defined Vehicle (SDV), einer Technologie, die deutsche Autokonzerne lange Zeit sträflich vernachlässigt hatten. Während Tesla solche permanenten Verbesserungen schon seit dem ersten Model S (2012) anbietet, bekommen Fahrzeuge aus Deutschland erst seit Kurzem Updates, und das auch meist nur für das Infotainment. Tesla bietet sie hingegen für alle Fahrzeugfunktionen an, auch für Bremsen, die Batteriesteuerung oder automatisiertes Fahren.
Die deutsche Industrie muss aufholen, will sie bei der Software im Auto nicht vollends abgehängt werden. Vergangene Woche vereinbarten darum elf deutsche Autohersteller und Zulieferer, Software künftig in Form von „Open Source“ gemeinsam zu entwickeln. Das heißt, die Codes der Software sind für jedermann einsehbar. Künftig muss nicht jeder Hersteller das Rad immer wieder neu erfinden. Grundlegende Funktionen werden nur einmal entwickelt und stehen dann allen beteiligten Unternehmen offen. Open Source heißt, dass jeder den Code der Programme einsehen kann. So will sich die Industrie dem Vorwurf entziehen, ein Kartell zu bilden.
Zulieferer wie Bosch, Continental und ZF sind ebenfalls dabei
„Ein beträchtlicher Umfang der Fahrzeugsoftware ist für den Nutzer nicht direkt erlebbar und damit nicht differenzierend“, heißt es beim Verband der Automobilindustrie (VDA), der die Software-Allianz koordiniert hat. Die Entwickler der VW-Gruppe, von Porsche, Mercedes oder BMW können sich dann auf solche Funktionen konzentrieren, mit denen sie sich vom Wettbewerb unterscheiden. Neben den genannten Herstellern beteiligen sich auch auch Zulieferer wie Bosch, Continental und ZF daran.
Für Insider ist klar, warum sich die deutschen Wettbewerber, eigentlich Konkurrenten, plötzlich zusammentun. Es sind die Techgiganten aus den USA wie Alphabet (Waymo, Google), Apple oder Amazon, die verstärkt ins Auto wollen, automatisiertes Fahren entwickeln und dem Fahrer lukrative Angebot machen. Das Problem: Drängt sich ein Dritter zwischen die deutschen Autobauer und ihre Kunden, drohen die stolzen Marken aus München, Stuttgart und Wolfsburg zu austauschbaren Hardwarelieferanten zu werden – wie im Geschäft mit Computern, wo das Geschäft mit der Software gemacht wird.
Vor allem Google droht mit Android Auto eine dominierende Position zu besetzen: Volvo, Ford und General Motors nutzen es bereits und geben dem Datensammler aus dem Silicon Valley so Zugriff auf den zentralen Bildschirm im Auto. Google ist mit Waymo auch einer der führenden Entwickler fürs autonome Auto.
Die Vision vom automatisierten Fahren
Bereits 2026 will die vom VDA geschmiedete Allianz deshalb eine Softwareplattform für automatisiertes Fahren anbieten. Damit will man nicht nur Google Paroli bieten. Tief sitzt der Schock, den die Ankündigung von BYD ausgelöst hat: Der chinesischen Autoriese will seinen Kunden automatisiertes Fahren per Softwareupdate ermöglichen.
Solche Funktionen nur durch eine neue Software nachträglich ins Auto bringen zu können, zeigt, wie wichtig das „Software-defined Vehicle“ wird. Es funktioniert wie ein Smartphone auf Rädern. Wurde früher ein Auto definiert durch seine Motorleistung, das Fahrverhalten oder das Design, wird heute die Rechenleistung und die dort laufende Software immer wichtiger. Auch fürchten Autohersteller, dass sich ihre Fahrzeuge als Gebrauchtwagen nur noch schwer verkaufen lassen, wenn die Software nicht permanent auf dem neuesten Stand gehalten wird.
Updates eliminieren „Kinderkrankheiten“
Ähnlich wie bei einem Smartphone laufen auf den Autos der Zukunft stetig verbesserte und neue Programme und bieten dem Nutzer neue Funktionen. Auch Volkswagen ist auf dem Weg zum Software-defined Vehicle schon vorangekommen: Die ID-Modelle des Konzerns bekommen regelmäßig neue Software aufgespielt. Damit werden auch Fehler behoben, die in der hastigen Entwicklung der Elektrofahrzeuge eingebaut wurden.
So konnten die ersten Käufer eines VW ID.3 nicht den Ladezustand ihrer Batterie in Prozent sehen – eine nicht unwichtige Information bei einem Elektroauto. Zudem stürzte die zentrale Infotainment-Einheit gern ab, der Bildschirm blieb schwarz. Diese Fehler wurden erst mit Updates behoben.
Mit dem jüngsten Softwareupdate können die ID-Modelle von Volkswagen sogar bidirektional laden. Das heißt, die Antriebsbatterie kann nicht nur Strom aufnehmen, sondern auch wieder abgeben – zum Beispiel um das Stromnetz zu stabilisieren oder das Haus des Eigentümers zu versorgen. Das Auto wird zum kleinen Kraftwerk, gesteuert von einer neuen Software, die es beim Bau des Fahrzeugs noch gar nicht gab.
