Deutschland: Viele Deutsche ahnen noch nichts vom heftigen CO2-Preis-Schock ab 2027
Heizen und Tanken werden bald erheblich teurer, sagt auch der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz. Viele Verbraucher sind darauf nicht vorbereitet.
So viel Klarheit hätten sich wohl viele schon im Wahlkampf gewünscht. „Wenn uns der Umwelt- und Klimaschutz etwas wert ist, dann wird es teurer“, sagte der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bei einem TV-Gespräch mit Caren Miosga vergangene Woche. Mit „es“ meinte er die Kosten fürs Heizen und Tanken. Schon in 20 Monaten könnte der Liter SuperE10 nämlich nicht mehr 1,70 Euro kosten, sondern 2,30 Euro. Für Gaskunden drohen Kostensteigerungen von 1000 Euro im Jahr.
Hintergrund dieser Entwicklung ist der europäische Zertifikatehandel. Ab 2027 wird der Preis für eine Tonne CO2 nicht mehr staatlich reguliert, sondern an einer Börse frei gehandelt werden. Aktuell liegt er bei 55 Euro pro Tonne. Manche Experten erwarten dann einen sprunghaften Anstieg auf bis 100 bis 200 Euro pro Tonne; andere sogar auf 300 Euro pro Tonne.
Das betrifft vor allem zwei Sektoren, die im Bereich Klimaschutz in Deutschland seit Jahren die Klimaziele verfehlen: Wohnen und Verkehr. Die Kosten fürs Tanken und Heizen sollten steigen, „damit die Bürger einen Anreiz haben, damit sparsamer umzugehen“, sagte Merz. Der CO2-Preis wird damit zu einem zentralen Hebel der Klimapolitik – und zum finanziellen Risiko für Millionen Haushalte. Denn viele Deutsche sind auf höhere Preise nicht vorbereitet.
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Nur fünf von 100 Deutschen schätzen Mehrkosten realistisch ein
Zwar haben viele Deutsche schon von CO2-Preisen gehört, aber Detailwissen darüber ist selten. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Umfrage, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt: Das schwedische Clean-Energy-Unternehmen Aira hat 1000 Menschen in Deutschland zu ihren Erwartungen befragt und mit einem Szenario von 200 bis 300 Euro pro Tonne CO2 im Jahr 2030 kalkuliert. Das Ergebnis: Nur fünf Prozent der Befragten schätzen die potenziellen Mehrkosten für ein Einfamilienhaus mit Gasheizung von bis zu 1400 Euro realistisch ein. 23 Prozent erwarten weniger als 500 Euro, 33 Prozent liegen zwischen 500 und 800 Euro, und 20 Prozent trauten sich eine Schätzung erst gar nicht zu.
Dass der Wille zur Veränderung grundsätzlich vorhanden ist, zeigt die Umfrage ebenfalls: Rund ein Drittel der Befragten möchte handeln, fühlt sich aber machtlos – sei es aus finanziellen Gründen oder weil sie zur Miete wohnen. „Viele unterschätzen, was der CO2-Preis für das eigene Zuhause bedeutet", sagt Daniel Särefjord, CEO von Aira Deutschland. Zwar liege das zugrunde liegende Szenario im oberen Bereich wissenschaftlicher Prognosen, es soll jedoch bewusst aufzeigen, welche Belastungen bei ausbleibendem Klimaschutz realistisch möglich sind. „Wer heute noch mit Öl oder Gas heizt, muss sich auf dauerhaft steigende Belastungen einstellen", warnt Särefjord.
Klimageld? Vielleicht. Irgendwann.
Einige Ökonomen wie Achim Wambach, Präsident des Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, plädieren deshalb inzwischen dafür, den CO2-Preis langsamer steigen zu lassen als geplant – und die Öffentlichkeit besser zu informieren. Auch in der deutschen und europäischen Politik wachsen die Bedenken. Die Gefahr besteht, dass die wirksamen, aber hohen Preisaufschläge die Regierungen so stark unter Druck setzen, dass sie einknicken, intervenieren und lieber den Klimaschutz aushöhlen.
Dieses Szenario droht umso mehr, wenn die seit Jahren diskutierten Entlastungen für die Bürger wie ein Klimageld oder sozial gestaffelte Ausgleichsmodelle lange auf sich warten lassen. Darauf angesprochen äußerte sich Friedrich Merz bei Caren Miosga alles andere als klar: Zwar sollen die Einnahmen des Zertifikatehandels auch den Bürgern zugutekommen. Wann und auf welche Weise, sei aber „noch zu besprechen“, sagt er. Viel Zeit bleiben ihm und seiner künftigen Regierung dafür nicht mehr.
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