Zeichnung von Alfons Schweiggert, München - Alfons Schweiggert

Dich gibt’s nicht! Warum wir die Geschichten sind, die wir uns erzählen

Menschen erzählen Geschichten jeden Tag, jede Stunde, permanent. Indem wir Geschichten erzählen, erschaffen wir uns selbst. Ohne Geschichten gibt es uns nicht und gibt es nicht die Welt, wie wir sie sehen. Unsere Geschichten, was wir erzählen und wie wir das Was erzählen, vermitteln den anderen ein Bild von uns. Mit jeder erzählten Geschichte erschaffen wir ein Selbstbild von uns und von unserer persönlichen Sicht auf die Welt. Dabei wirken die Geschichten nicht nur nach außen auf andere, sondern ebenso tief in unser eigenes Innere und beeinflussen auch uns selbst. Gute Geschichten berühren die Menschen und können bewirken, was mit nüchternen Informationen allein niemals gelingt.

Seit es Menschen gibt, waren Geschichten stets ein Teil des Lebens und bestimmten es täglich. Schon von Kindheit an ist das Erzählen und Hören von Geschichten in uns angelegt. Geschichten konkretisieren komplizierte Sachverhalte, sind emotional erlebbar und auch unterhaltsam. Sie geben kulturelle Werte weiter und vermitteln Wissen. Sie geben Anlass zum Staunen, und überraschen oder erschrecken mitunter.

Es gibt viele Rezepte, was eine gute Geschichte angeblich alles haben muss, wie ein guter Krimi oder eine Gruselgeschichte aufgebaut sein sollte, welche Emotionen eine Liebesgeschichte oder ein Thriller auszulösen hat, was eine Science Fiction-Story spannend und glaubhaft macht, usw. Mit der Befolgung solcher Rezepte erhofft sich der jeweilige Erzähler vor allem eines, nämlich Erfolg beim Leser oder Hörer zu haben. Doch wer sich vorrangig auf die Befolgung von Geschichtenrezepten konzentriert und nach Erfolg giert, verliert dabei den eigentlichen Sinn des Geschichtenerzählens oft völlig aus dem Blick. Es geht vorrangig doch darum, etwas, was einem persönlich wichtig ist, mitzuteilen, auch wenn eine solche Geschichte nach dem allgemeinen Urteil dann nicht gut und somit auch nicht erfolgreich ist.

Ja, mit Geboten oder Rezepten für sogenanntes „gutes Schreiben“, wobei „gut“ eben oft nur „erfolgreich“ meint, kann ich nichts anfangen. Wer etwas erzählen will, sollte das tun, weil ihm die Geschichte persönlich auf der Seele brennt, ohne daran zu denken, was die Leser von ihr erwarten und ohne nach dem Erfolg zu schielen. Literaten der Weltliteratur taten das immer und scheuten sich nicht, mit ihren Geschichten die Leserinnen und Leser zu irritieren oder gar zu schockieren. Franz Kafka beispielsweise verfasste viele Geschichten, die von den Lesern zunächst abgelehnt wurden oder die sie ratlos machten, aber gerade diese Geschichten brannten sich auf die Dauer ins Bewusstsein ein und sind bis heute lebendig.

Es sind zunächst meist unklare Gedankensplitter, die sich nach und nach zu einer Idee fügen, die sich mit der Zeit zur Basis für eine Geschichte entwickeln kann. Ob daraus aber auch ein Text entsteht, den ich aufschreiben will, ist zunächst noch ungewiss. Erst dann, wenn es zu einer Verdichtung aller Elemente kommt und der Impuls, daraus auch eine Geschichte zu formulieren und sie aufzuschreiben stark genug ist, lasse ich mich zum Schreiben motivieren.

Ob meinen Geschichten das alles gelingt, entscheiden die Leserinnen und Leser letztlich selbst. Meine Geschichten sind lediglich ein Angebot, sich auf sie einzulassen und über sie mit mir und meinen Gedanken in Beziehung zu treten. Ob Zustimmung, Kritik oder Ablehnung erfolgt, bleibt der Leserschaft überlassen.

Jede Geschichte, die ich erzähle, erzähle ich zuerst mir selbst. Wir sind also die Geschichten, die wir uns erzählen. Ich bin aber nicht nur ich. „Ich“ sind auch die anderen und wir alle sind die Gesellschaft. Wenn es meinen Geschichten gelingt, mit anderen Menschen in Beziehung zu treten, Identität zu stiften und Gemeinschaft herzustellen, ist das erfreulich, aber erzwingen lässt sich das nicht. Was den einen fasziniert, langweilt den andern zu Tode.

Ja, das war der Fall, und ich war deshalb neugierig, ob er überhaupt Leser:innen finden würde. Als die Kritik dann diese Erzählung als „ein literarisches Denkmal für alle Bibliophilen und ein Buchschmankerl für alle Büchernarren“ bezeichnete „zwischen Kafka und Krimi, zwischen Märchen und Alptraum angesiedelt", habe ich mich natürlich gefreut, vor allem als es hieß: „Dieses Buch ist für den Autor ein Stück gelebtes Leben.“ So sollen Geschichten meines Erachtens auch sein: ein Stück gelebtes Leben.

Lesen ist ein Teil meines Lebens, kann horizonterweiternd, befreiend sein, das Denken erweitern und einem die Augen öffnen, es kann Spaß machen, einen aufrütteln und verändern. Wenn wir lesen, tauchen wir in neue Welten ein. Bücher beflügeln unsere Fantasie und unterhalten uns. Lesen macht aus der Arbeit anderer etwas Eigenes und ist für mich wie Atmen lebensnotwendig.

Alfons Schweiggert & Alexandra Hildebrandt: Dich gibt’s nicht! Short Stories, um sich selbst zu erschaffen. Kindle Ausgabe 2022.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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