Die digitale Lieferkette
Neu: Dieser Artikel ist jetzt kostenlos – für Premium-Mitglieder.
Unternehmen sehen neue Technologien in der Supply Chain häufig nur als Möglichkeit, Kosten zu sparen. Dabei können die Innovationen auch dabei helfen, schneller auf Nachfrage zu reagieren, genauer zu planen und Umsätze zu steigern.
Von****Kai Hoberg, Knut Alicke, Jürgen Rachor
Roboter, die eigenständig durchs Lager fahren, Maschinen, die selbst Nachschub bestellen, oder Container, die laufend ihren Standort mitteilen – die Digitalisierung verändert die Lieferketten vieler Unternehmen. Die sogenannte Supply Chain 4.0 bietet ganz neue Möglichkeiten, die Produktion zu planen, Lager zu organisieren, Mitarbeitern die Arbeit zu erleichtern oder die Nachfrage vorherzusagen. Wenn Pharmahersteller wissen, in welchen Regionen gerade besonders viele Menschen an der Grippe erkranken, können sie vor Ort die Vorräte aufstocken. Und wenn eine Waschmaschine eigenständig Waschpulver nachbestellt, kann der Hersteller Supermärkte aus der Lieferkette drängen. In diesem Beitrag möchten wir aufzeigen, welche Chancen die neuen Technologien bieten. Wir haben 118 Supply-Chain-Experten aus verschiedenen Branchen zu den Technologien befragt, beson-ders hoch sind ihre Erwartungen an Supply Chain Analytics, Prozessautomatisierung und Internet- of-Things-Anwendungen. Insgesamt sehen 67 Prozent der Befragten die Vorteile vor allem darin, Kosten zu sparen. Dabei ist das nur ein Punkt unter vielen. Wertschöpfungshebel gibt es unserer Analy- se nach in vier Bereichen: die Steigerung der Effizienz (die heute schon von vielen Managern erkannt wird), die Steigerung der Agilität, die Steigerung der Validität sowie eine bessere Kommerzialisierung. Häufig lassen sich die hohen Investitionen in Technologien nicht allein durch einen Wertschöpfungshebel rechtfertigen. Manager müssen verstehen, wie sie die Technologie in vielerlei Hinsicht einsetzen können und dadurch sowohl auf der Kosten- als auch auf der Umsatzseite profitieren.
Viele neue Technologien haben zum Ziel, die Lohnkosten zu senken. Die Abläufe im Lager werden schon lange immer weiter optimiert, um den Aufwand der Mitarbeiter zu verringern, besonders in der Kommissionierung (der Zusammenstellung eines Auftrags aus den Einzelkomponenten – Anm. d. Red.). Gemessen wird die Effizienz daran, wie viele Artikel pro Stunde gepackt werden ("Picks pro Stunde"). So wird mit der Reihenfolge der zu packenden Artikel, speziellen Zonen für langsam- oder schnelldrehende Artikel oder Technikunterstützung experimentiert. Pick-by-Voice-Systeme zum Beispiel (die mit dem Mitarbeiter per Kopfhörer und Mikrofon interagieren) beschleunigen hier die Abläufe.
Amazon hat schon relativ früh die Bedeutung neuer Technologien zur Effizienzsteigerung im Lager erkannt und im Jahr 2012 das Start-up Kiva übernommen, um die Laufwege der Mitarbeiter zu verringern. Im klassischen E-Commerce-Lager liegen oft Hunderttausende unterschiedliche Artikel über große Flächen verteilt. Mitarbeiter müssen relativ viel laufen, um die Artikel nach und nach aus den Regalen zu holen ("Mensch zur Ware"). Kiva hat einen vergleichsweise einfachen Transportroboter entwickelt, der unter ein Regal fährt, es anhebt und zum Kommissionierer bringt ("Ware zum Menschen"). Der Mitarbeiter greift dann das Produkt und legt es in einen Zielbehälter. Mit diesem Verfahren lässt sich die Effizienz eines Mitarbeiters oft um über 30 Prozent steigern. Der "Butler" ist immer verfügbar, im Mehrschichtbetrieb und rechnet sich deshalb schnell. Amazon hat inzwischen schon mehr als 100.000 Kiva-Roboter im Einsatz, und auch Wettbewerber wie Gray Orange oder Swisslog bieten ähnliche Systeme an.
Ein anderes Beispiel für die Steigerung der Effizienz ist der Einsatz von Robotic Process Automation (RPA) in der Verwaltung. Damit ist es möglich, komplexe manuelle Prozesse wie die Pflege von Stammdaten oder die Zusammenstellung von Kundenbestellungen, die heute noch über mehrere verschiedene Systeme durchgeführt werden, zu automatisieren. Das ist vor allem dann sinnvoll, wenn es sich um repetitive Tätigkeiten handelt.
Die Entwicklungsabteilung eines Unternehmens hat beispielsweise eine neue Variante eines Produkts erstellt; die Nummern der neuen Teile landen in einer Excel-Tabelle und müssen nun in das System zur Ressourcenplanung überführt werden. Normalerweise würde ein Mitarbeiter viel Zeit aufwenden müssen, um alle Änderungen manuell und für jeden Artikel einzeln einzutragen. Mit automatisierten Abläufen geht es deutlich schneller, zudem werden Fehler bei der Dateneingabe vermieden. Die operative Effizienz steigt um bis zu 66 Prozent, und die Mitarbeiter in der Planung können ihre Zeit für wichtigere Aufgaben nutzen.
Ein Business Case basierend auf Kosteneinsparungen ist oft relativ einfach aufzustellen, da sowohl Mensch als auch Roboter am gleichen Ort arbeiten. Komplexer wird der Fall, wenn neue Technologien auf einer Stufe der Wertschöpfungskette Effizienz schaffen, aber höhere Kosten auf einer anderen Stufe anfallen – hier ist es notwendig, ganzheitlich zu denken. Im stationären Lebensmittelhandel entfallen bis zur Hälfte der Logistikkosten auf die Logistik innerhalb der Supermärkte. Edeka hat teilweise bereits die automatisierte Kommissionierung im Regionallager eingeführt. Industrieroboter vereinzeln dazu Paletten mit Ketchupflaschen, Erbsendosen oder Nudeln bis auf die Umverpackungskartons und stellen diese für jeden Supermarkt wieder neu zusammen. Dabei wird individuell für jede Filiale sortiert – die Paletten spiegeln die Reihenfolge der Regale in den Filialen wider. Mitarbeiter müssen beim Einräumen in die Regale weniger laufen, schließlich liegen die Artikel schon in der richtigen Reihenfolge vor ihnen. Diese Effekte müssen natürlich auch gemessen und im Business-Case berücksichtigt werden. Entscheidend ist auch die Frage, ob tatsächlich Arbeitsplätze wegrationalisiert werden oder nur dringend benötigte Arbeitskräfte für andere Aufgaben frei werden.
Für viele Unternehmen sind Lieferzeiten und Time-to-Market kritisch – sowohl auf strategischer Ebene für Produktneueinführung wie auch auf operativer Ebene bei der Lieferzeit. Selbst in Branchen, die weniger auf den Endkonsumenten ausgerichtet sind, wird eine höhere Geschwindigkeit oft als kritischer Erfolgsfaktor erkannt und kann deutliche Wettbewerbsvorteile liefern. Das Paradebeispiel für hohe Agilität ist ohne Zweifel Amazon: Der Onlinehändler hat hier mit Konzepten wie Next-Day, Same-Day, Next-Hour oder Predictive Shipping Trends gesetzt, denen sich andere Unternehmen nicht entziehen können. Erst kürzlich hat Amazon angekündigt, dass alle Amazon-Prime-Kunden in den USA Bestellungen spätestens nach einem Tag erhalten sollen. Dafür müssen die Produkte dann schon in einem nahe gelegenen Lager vorrätig sein.
Ein Zauberwort ist das Thema Demand Sensing, also die Vorhersage der Nachfrage in Echtzeit. Unternehmen nutzen Analytics und neue Datenquellen, um möglichst früh Nachfrageentwicklungen zu erkennen und auf diese zu reagieren. Ein Bekleidungshersteller verfolgt zum Beispiel laufend Produktbewertungen, Blog-Einträge oder Trends in sozialen Netzwerken, um Produktion und Distribution den neuesten Erkenntnissen anzupassen. Konsumgüterhersteller wie P&G und Unilever konnten durch Demand Sensing ihre Sicherheitsbestände (der Warenbestand, der zum Ausgleich von Nachfrageschwankungen vorgehalten wird – Anm. d. Red.) um bis zu 10 Prozent reduzieren und erhebliche Cashflow-Effekte erzielen. Eine andere interessante Anwendung für Demand Sensing ergibt sich aktuell durch die von der EU verordnete Serialisierung von Medikamenten. Jede Arzneimittelverpackung wird eindeutig gekennzeichnet, damit illegale Imitate sofort erkannt werden können. Für Pharmaunternehmen bietet diese Vorschrift aber weitere Vorteile: Sie können die Daten, die beim Scan in der Apotheke gesammelt werden, auch dafür nutzen, die Nachfrage in Echtzeit zu verfolgen. Es lässt sich bis auf die Packung genau nachverfolgen, welche Medikamente wann und wo verkauft werden, und so beispielsweise erkennen, in welchen Regionen es gerade besonders viele Grippeinfektionen gibt. So können vorsorglich in den regionalen Lagern die Bestände erhöht werden.
Verkürzte Lieferzeiten durch höhere Geschwindigkeit können bei Unternehmen auch zu höheren Margen führen. Besonders B2B-Kunden sind oft bereit, einen Aufpreis zu zahlen oder den Anbieter zu wechseln, wenn sie Waren schneller bekommen können. Schon durch einfache Prozessoptimierungen kann sich der Annahmeschluss von Bestellungen für die garantierte Auslieferung am nächsten Tag nach hinten schieben, etwa vom späten Nachmittag auf den Abend. Bei Kunden wie Handwerkern, die die Produkte dringend am nächsten Tag benötigen, kann eine solch kleine Änderung einen deutlichen Unterschied machen – und im Zweifel dafür sorgen, dass sie den Anbieter wechseln.
Ungleich schwieriger wird eine schnellere Lieferung, wenn nicht allein die eigene Logistik dafür verantwortlich ist, sondern die ganze Lieferkette inklusive Produktion betroffen ist. Allerdings versuchen immer mehr Unternehmen, segmentierte Lieferzeiten zu ermöglichen. Beispielsweise kann eine Chemikalie mit einer Standardlieferzeit von vier Monaten zusätzlich als Expresslieferung innerhalb von vier Wochen angeboten werden. Um dies reibungslos in der Produktion zu ermöglichen, benötigt das Unternehmen ganzheitliche neue Planungsphilosophien, hervorragende Datenqualität für die eigenen Standorte, den Datenaustausch mit Supply-Chain-Partnern und eine hohe Rechenleistung, um alle Lieferzeitanfragen in Echtzeit zu bewerten.
Viel zu häufig treffen Supply-Chain-Manager falsche oder zumindest nicht optimale Entscheidungen. Neben schlechten Planungsverfahren und veralteten Prozessen liegt dies zumeist an fehlender Transparenz: Manager verfügen oft nicht über alle Informationen, wenn sie Entscheidungen über Einkaufsmengen, Produktionsaufträge oder Kundenpriorisierungen treffen.
Ersatzteildisponenten haben beispielsweise zu entscheiden, welche der Hunderttausenden Ersatzteile mit beschränkter Verfügbarkeit von wo an welche Kunden geliefert werden sollten. Falls nun zwei Kunden gleichzeitig den letzten verfügbaren Artikel anfragen, muss der Planer genau verstehen, wann welcher Kunde das Ersatzteil wirklich braucht, was die jeweilige Marge ist, welche Folgekosten entstehen und so weiter. Oft kommt es zu Fehlentscheidungen, weil der Planer nicht alle Daten hat. Er kann so nicht entscheiden, welcher Kunde zuerst bedient und welcher Preis verlangt wird.
Genauso ist oft nicht ersichtlich, wie hoch die Bestände beim Lieferanten sind, wann ein Lkw mit dringend benötigten Komponenten wirklich ankommt oder wie lange Teile überhaupt noch genutzt werden können. Diese Echtzeitinformationen sind wichtig und in den Unternehmen häufig bereits vorhanden, allerdings werden sie oft nicht geteilt. Dafür könnten Cloud-Plattformen genutzt werden oder vernetzte Internet-of-Things-Geräte, die dank eines Sensors den Ort, die Temperatur oder den vorhandenen Lagerbestand kennen und weiterleiten.
Das mexikanische Unternehmen Lala, der Marktführer bei Milchprodukten in Lateinamerika, hat gerade alle seine Lkw mit GPS-Tracking sowie einer Vielzahl weiterer Sensoren ausgestattet. Die Fahrzeuge können in Echtzeit verfolgt und Touren besser geplant werden, Disponenten können auf Ausfälle oder Staus frühzeitig reagieren. Zusätzlich kann das Unternehmen verfolgen, ob Fahrer die geplante Reihenfolge einhalten oder Fahrzeuge privat genutzt werden.
Einen anderen Weg gehen Unternehmen wie das Bostoner Start-up Tive, das kostengünstige GPS-Tracker anbietet, die nach Bedarf flexibel in Pakete gelegt oder an Paletten angebracht werden. Die kleinen Boxen liefern regelmäßig Daten zur Sendungsverfolgung und informieren den Nutzer damit permanent über Standort, Temperatur, Lichteinfall oder Erschütterungen. Auf diese Weise können Unternehmen verfolgen, ob Medikamente mit der richtigen Temperatur gelagert wurden, wann Sendungen unbefugt geöffnet wurden oder welcher Dienstleister für Schäden verantwortlich ist.
Die großen Mengen an Daten, die diese Geräte liefern, müssen im besten Fall direkt in das zentrale Planungssystem der Unternehmen einfließen. Hier gibt es in vielen Anwendungen noch erhebliche Defizite. Idealerweise gibt es einen Control Tower, der analog zum Kontrollturm am Flughafen alle wichtigen Entscheidungen steuert. Alle Informationen sind zentral verfügbar und können dabei helfen, alternative Szenarien durchzurechnen. Falls beispielsweise die Produktion eines Werks gestört ist, können Manager schnell die beste Vorgehensweise analysieren: Sollte man die Produktion eines anderen Werkes erhöhen, sofern ausreichend Kapazitäten und Rohmaterialien vorhanden sind? Sollte man die Produkte aus einem anderen Kontinent einfliegen, da sie dort ohnehin nicht dringend benötigt werden? Oder sollte man eine geplante Preisaktion verschieben, sodass die vorhandenen Mengen ausreichen? Nach Bedarf müssen die internen Unternehmensdaten zudem durch weitere externe Daten wie Verkehrsdaten, Lagerbestände von Lieferanten oder Preise von Wettbewerbern ergänzt werden, die bei der Entscheidungsfindung helfen könnten.
Der Modehändler Zalando nutzt Wettervorhersagen zur Verbesserung der Mitarbeitereinsatzplanung im Lager. Analysen haben gezeigt, dass bei Regen und Kälte deutlich mehr Bestellungen eingehen als bei Sonnenschein, da die Kunden ihre Freizeit eher zum Onlineshopping nutzen. Um auch bei erhöhtem Bestelleingang kurze Lieferzeiten einzuhalten, müssen dafür rechtzeitig mehr Lagermitarbeiter eingeplant werden. Dank guter Wetterprognosen werden Arbeitsspitzen schon Tage im Voraus erkannt und die Mitarbeiter entsprechend eingeplant, um Überstunden und kurzfristige Personaleinsätze zu vermeiden.
Für das Topmanagement sind besonders solche Technologien interessant, die das Unternehmen wachsen lassen, zum Beispiel mit zusätzlichen Services oder neuen Produkten. Ein bekannter Wachstumsmarkt sind individualisierte Produkte. Schon seit Jahren können Kunden von Sportartikelherstellern online Turnschuhe individuell gestalten.
Ursprünglich konnten sie nur zwischen verschiedenen Farben für Laschen, Seitenteile oder Sohlen aus einer vorgegebenen Auswahl wählen. Die Lieferzeiten waren nur Standardwerte, die sich meist nicht aktualisierten, wenn es Lieferengpässe oder besonders viele Bestellungen gab. Inzwischen bieten Unternehmen deutlich mehr Möglichkeiten an. Dank digitaler Produktionsverfahren kann man heute auch eigene Unterschriften im Webinterface hochladen, die auf das Produkt aufgebracht werden, oder den Schuh ergonomisch nach einem Fußscan für sich passend fertigen lassen. Lieferzeiten werden dynamisch berechnet und richten sich nach realen Bedingungen, wobei die Produkte weiterhin günstig an asiatischen Standorten hergestellt werden.
Mit der Speed-Factory, einer hochautomatisierten, roboterunterstützten Produktion, kann Adidas auf neue, kurzfristige Nachfrageentwicklungen reagieren (sie wurde mittlerweile nach Asien verlegt). Denkbar wäre, dass das Unternehmen die Technologie auch in den Stores einsetzt und neue Produkte praktisch sofort anbietet. Ein gern genutzter Business-Case ist der eines Turnschuhs, der von einem Superstar beim Super Bowl getragen wird und am nächsten Tag die Kunden in die Läden treibt. Hier lässt die extrem schnelle Produktion vor Ort leicht die höheren Produktionskosten rechtfertigen. Denn bis der Schuh mit traditionellen Lieferzeiten im Laden stehen würde, wäre der Hype vorbei.
Auch bei der additiven Fertigung (oft 3-D-Druck genannt) gibt es trotz sehr hoher Kosten bereits viele Anwendungen für neue Produkte und Services. So werden schon heute Leichtbauteile für den Flugzeugbau, auf Patientenbedürfnisse angepasste Produkte in der Medizintechnik wie Prothesen und Hörgeräte oder vom Kunden designte Dekorleisten im Innenraum des BMW Mini damit hergestellt. Ersatzteile sind ein besonders interessanter Fall. Sie werden normalerweise in großen Mengen und zu erheblichen Rüstkosten produziert und müssen dann teuer eingelagert werden, bis sie nachgefragt werden. Mit 3-D-Druck kann auch ein einzelnes Teil hergestellt werden, es muss also immer nur ein Teil auf Lager sein, um Kundennachfragen direkt zu erfüllen. Schließlich kann es sofort neu produziert werden.
Vernetzte Produkte erlauben bessere Services und höhere Umsätze. In der Landwirtschaft sorgen diese Geräte dafür, dass Dünger oder Pestizide punktgenau ausgebracht werden können. Wenn Kunden für diesen Service extra zahlen, lassen sich auf diese Weise auch ganz neue Geschäftsfelder für Unternehmen erschließen. Miele stattet beispielsweise seit einiger Zeit Waschmaschinen mit dem TwinDos-System aus. Kunden müssen nicht mehr vor jedem Waschgang neues Waschmittel einfüllen, die Maschine zieht eigenständig aus einem Tank die richtige Menge und misst gleichzeitig permanent den Füllstand. Sobald der Bestand niedrig ist, wird der Kunde per Mitteilung aufs Handy benachrichtigt und kann rechtzeitig nachbestellen. Das sogenannte Smart Replenishment bietet dem Betreiber viele Vorteile: Kunden werden über das geschlossene System an eine Marke gebunden ("Lock-in") und können nicht bei anderen Herstellern oder in Rabattaktionen kaufen. Zudem weiß der Lieferant zu jeder Zeit, wie der Verbrauch und Bestand beim Kunden ist, und kann somit selbst besser planen, wann er Nachschub liefert. Andere Gerätehersteller folgen mit ähnlichen Anwendungen wie Bosch für Spülmaschinen oder Brita für Wasserfilter. Der Versandhändler Otto ist so stark interessiert an Smart-Replenishment-Lösungen, dass er das Start-up OrderThis erworben hat, um die Verbindung zwischen Onlineshops und internetfähigen Haushaltsgeräten ("Otto-Ready") zu standardisieren und voranzutreiben.
Einen langfristigen Wettbewerbsvorteil bringen die neuen Supply-Chain-Technologien besonders dann, wenn Unternehmen diese relativ früh einführen und vor allem ihre grundsätzliche Arbeitsweise anpassen. Es reicht nicht, einzelne Innovationen für einzelne Prozesse einzuführen. Manager müssen umfassend denken: Es gilt die komplette Lieferkette zu digitalisieren sowie neue und agile Arbeitsweisen im Unternehmen zu verankern. Oftmals ist es essenziell, durch Leuchtturmprojekte zu zeigen, dass sich der Aufwand lohnt. Diese sollten sorgfältig ausgesucht werden, um die Transformation gezielt zu unterstützen und zum Laufen zu bringen. Nur so können Unternehmen identifizieren, welche Technologien ihnen langfristig weiterhelfen, und die vier Wertschöpfungshebel erfolgreich nutzen.
© HBM 2020
Die Autoren
Kai Hoberg ist Professor für Supply Chain und Operations Strategy sowie Department Head an der Kühne Logistics University in Hamburg. Knut Alicke ist Partner im Stuttgarter McKinsey-Büro und lehrt an der Universität Köln im Bereich Supply- Chain-Management. Jürgen Rachor ist Senior Expert für Supply-Chain-Management im Frankfurter McKinsey-Büro.
