Die digitalen Top-Trends 2022

Das Ende einer Krise ist immer eine Zeit des Aufbruchs. Man will nichts mehr zu tun haben mit dem, was die Krise angerichtet hat, aber auch mit der Stimmung, die in solchen Zeiten entsteht, man will aufbrechen, losrennen, Dinge verändern.

Deshalb glauben wir bei kpunktnull, dass 2022 ein Jahr des Übergangs wird. Schon tauchen die ersten Ideen am Horizont auf, sei es auch altes Zeugs in neuer Verpackung. Über manches werden wir schon mittelfristig nicht mehr reden, doch einiges wird uns auch erhalten bleiben.

Wie in jedem Jahr beginnen wir auch dieses mit einer Vorausschau auf die Top-Trends aus dem digitalen Raum und ihrer Bedeutung für das Marketing.

1. Purpose & Politik

Das vielleicht überraschendste Ergebnis der „Trust Barometer“-Umfrage der Kommunikationsberatung Edelman war, dass Verbraucher von der Wirtschaft erwarten, eine führende Rolle beim nötigen Wandel in der Welt einzunehmen.

Und das passiert: 2022 werden wir sehr viele Projekte und Aktionen von Unternehmen sehen, die auf eine Lösung der Probleme unserer Welt und unserer Gesellschaft zielen – Stichwort: Purpose.

Es beginnt beim Durchleuchten der internen Prozesse auf Nachhaltigkeit, geht weiter über den Druck von Investoren, die Verpflichtungen zu Umwelt- und Sozialstandards fordern, und es endet bei Tech-CEO, die ein wenig öffentlichen Druck von sich nehmen möchten, indem sie die öffentliche Debatte weg von Datenschutz und hin zu Umwelt ziehen. Viele von ihnen werden jede technische Innovation im Bereich Umwelt – zum Beispiel das Ausfiltern von CO2 aus der Luft – feiern und mit Investments unterstützen.

Eine weitere Motivation, so zu handeln, ist der Kampf um Mitarbeiter. In der gesamten westlichen Welt suchen Unternehmen quer über alle Hierarchiestufen Personal: LieferfahrerInnen, Dialogmarketingkaufleute, Köche, VerkäuferInnen, ProduktmanagerInnen, Head of Schnickischnacki. Der Großteil der Stellen richtet sich an die Mitglieder der Millennial- und Generation-Z-Generation. Wer heute darüber überrascht ist, dass Menschen dieser Altersklassen anders ticken als ihre Vorgänger, der hat die vergangenen Jahre unter extrem gut arbeitenden Noise-Reduction-Kopfhörern verbracht. Schon 2016 war auf der SXSW klar erkennbar: Unternehmen werden sich verändern müssen, wollen sie den Ansprüchen dieser Generationen genügen.

Ein dominierender Bereich ist die Sinnsuche: Die Vertreter dieser Generationen ziehen Unternehmen vor, die einen Wert für die Gesellschaft liefern. Deshalb ist auch der Wille zur Startup-Gründung bei so vielen von ihnen so stark: Sie finden in klassischen Unternehmen zu wenig Purpose, um dieses Buzzword zu verwenden, weshalb sie eigene Unternehmen gründen.

Aus diesem Blickwinkel heraus sind auch Fortschritte im Bereich der Inklusion zu bewerten. Wenn Lego jüngst ankündigte, dass es keine Unterschiede mehr mache zwischen Spielzeugen für Jungen und Mädchen, so ist dies aus KundInnensicht kein großes Ding – es wird kaum auffallen. Doch die PR rund um diesen Schritt macht Lego eben interessant als Arbeitgeber mit Purpose.

Allerdings: Oft werden Unternehmen nicht so viel Wohlwollen ernten, wie sie dies gern hätten. Denn es gibt in jeder Facette des politischen Spektrums in Deutschland ausreichend Akteure, die Unternehmen grundsätzlich dämonisieren. Unternehmen, die sich einem Purpose verschreiben, müssen damit rechnen, gerechtfertigt oder ungerechtfertigt attackiert zu werden und sich rechtfertigen zu müssen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die externe Kommunikation ebenfalls politischer wird und die Freiheit haben muss, klar Stellung beziehen zu können.

2. Die distanzierte Gesellschaft

Eine unaufgeregte Debatte über gesellschaftliche Themen ist im öffentlichen Raum kaum noch möglich – gerade in Deutschland. Selbst in früheren Zeiten vernünftig Argumentierende sind in substantieller Menge für Argumente, die den ihren nicht entsprechen, unerreichbar geworden. „Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere recht haben könnte", sagte der Philosoph Hans-Georg Gadamer. Doch der inzwischen größere Teil der Gesellschaft hält diese Möglichkeit für ausgeschlossen.

Die allerallermeisten Menschen haben irgendwo in ihrem Umfeld einen Verschwörungsschwurbeler oder Impfnegierer. Wie soll man mit diesen Personen umgehen, wenn die Pandemie vorbei ist? Eine Normalität mit jemandem, der nicht nur das eigene Leben, sondern auch das anderer gefährdet hat? Schwierig. Deshalb wird der vernünftigere Teil der Gesellschaft in Deutschland nicht wütend debattieren, sondern sich in Stille distanzieren.

Die Kluft ist so groß geworden, dass die Zahl der familiären wie freundschaftlichen Beziehungen sinken wird. Das Ergebnis ist keine Abschottung, aber doch eine Homogenisierung des persönlichen Umfeldes – und das ist einer Gesellschaft nicht zuträglich in einem Moment, da sie überlebenswichtige Herausforderungen gemeinsam angehen sollte.

Allerdings wird es auch drei Extremausprägungen der Distanzierung geben, die für Unternehmen erhöhte Relevanz haben werden:

Karen und Dennis nennt man in den USA Personen, die aus einer scheinbar privilegierten Haltung heraus Aggressionen entwickeln – auch in der Öffentlichkeit –, wenn es nicht nach ihrem Willen geht. Auf TikTok oder Instagram sind sie längst zum Meme geworden, egal ob sie aus einem Flugzeug geworfen werden, weil sie keine Maske tragen wollen, oder eine Verkäuferin attackieren, weil sie sich schlecht behandelt fühlen. Dieses Verhalten werden wir 2022 häufiger in Deutschland sehen – und Unternehmen müssen sich durch Schulungen und klare Regeln für ihre MitarbeiterInnen darauf einstellen.

Verlust der Unschuld

Jedes Thema, mit dem Unternehmen in die Kommunikation gehen, muss auf Konfliktpunkte in Bezug auf aktive Communities geprüft werden, egal ob es um Geschlechterstereotype geht, Minderheitendiskriminierung oder einfach politische Positionierung. Viele Themen haben dabei ihre Unschuld verloren. Wer 2022 mit Karneval werben will, muss sich Vorwürfe in Sachen Pandemie gefallen lassen. Wer dies 2023 tut, aber ebenfalls; dann wird die Kritik lauten: "Karneval war eine Virenschleuder, die zur Verlängerung der Pandemie beitrug."

Der neue Terrorismus

Schon vor zwei Jahren prophezeiten wir eine neue Form von Terrorismus, der sich nicht an klassischen, politischen Einstellungen festmacht, sondern an Lebensstilen. Diese grundsätzliche Gereiztheit mischt sich nun mit der Aggression der Coronamaßnahmen-Gegner. Herauskommen wird eine Querfront punktueller Gewalt, die sich auch gegen Unternehmen richten wird, wenn diese scheinbar auf der „falschen Seite“ stehen.

3. Der Handel wird phygital

Keine Branche wird sich dauerhaft durch die Pandemie so stark verändern wie der stationäre Handel. Denn einerseits erlebt er Umsatzeinbrüche, andererseits gibt es ein weites Feld seines Geschäftsgebietes, bei dem die Argumente fehlen, warum es nicht durch Onlineangebote ersetzt werden sollte.

So gewöhnen sich in den Städte Menschen daran, dass Lebensmittel relativ flott vor die Haustür geliefert werden können. Die Zuverlässigkeit und der Kundenservice großer Onlinehändler übertrifft oft den der stationären Geschäfte. Und dann sind die Preise häufig niedriger...

Foto: Thomas Knüwer
Foto: Thomas Knüwer

Das betrifft Deutschland besonders stark. Die Dienstleistungsqualität ist in weiten Bereichen schlechter als in anderen Ländern, die Preissensitivität der Verbraucher aber höher. Gleichzeitig sind wir digitales Drittweltland, weshalb viel zu viele Geschäfte vollständig offline sind.

Die Pandemie aber mischt vieles neu und deshalb wird 2022 ein Jahr der Innovationen für die Branche. Es wird zahlreiche, innovative Pilotprojekte im Handel geben. Natürlich werden die von den großen Handelsmarken kommen und auf mehr Erlebnis setzen, auf mehr Service und auf eine Verschränkung mit der Lieferung nach Hause.

Die Sortimente des stationären Handels werden sich erweitern: Kleine Marken, teilweise im Web geboren, werden auftauchen. Spitz auf spezifische Zielgruppen positionierte Handelsmarken werden entstehen, teilweise auch nur für eine begrenzte Zeit. Während die Sortimentsbreite zunimmt, wird die Tiefe abnehmen. Sprich: Es wird normal sein, in einem Modeladen nicht mehr die Größe zu bekommen, die einem passt – sie wird dann aber unkompliziert nach Hause geliefert werden. Ja, das ist mehr Aufwand, aber so kann sich das Geschäft wieder rechnen.

Kaufhäuser erleben eine Neugeburt. Die Serie „Mr. Selfridge“ sollte jeder gesehen haben, der im Bereich Handel oder Markenartikel unterwegs ist. Sie erzählt, wie der Gründer des Londoner Kaufhauses die Branche völlig veränderte und Kaufhäuser zu einem Ort machte, an dem Menschen sein wollten. Dieses Erlebnis werden Highend-Kaufhäuser wieder schaffen. Gleichzeitig wird es Popup-Konzepte geben, die für eine begrenzte Zeit eine bunte Auswahl von Waren mit Entertainment mischen werden.

Bei all dem werden digitale Instrumente dazu dienen, das physische Kauferlebnis zu verstärken. Aus Cross Channel-Vertrieb wird dann ein "phygitales" Modell, ein Begriff, der sich aus den Vokabeln "Physical" und "Digital" zusammensetzt.

Allerdings: Im Jahr 2022 werden Handelsketten gewinnen und kleine Händler verlieren, denn nur die Größen können es sich leisten, bei diesen Trends mitzugehen.

4. Pop-up poppt up

Der Anteil der deutschen Händler und Gastronomen, die während der Pandemie aufgeben mussten, ist weitaus niedriger, als im Frühjahr 2020 erwartet worden war. Doch gibt es natürlich mehr Leerstände, als dass sie im normalen Wirtschaftsleben zu füllen wären – weshalb auch relativ kurz angelegte Verträge möglich sind. Folge: Gastronomen und Händler werden leere Immobilien mit kurzfristig angelegten Popup-Konzepten füllen.

Diese zielen einerseits auf das menschliche Bedürfnis ab, bei einem verknappten Gut zum Zug zu kommen und sich so von anderen abzusetzen. Andererseits erfüllen sie das Bedürfnis nach neuen Erlebnissen. Und schließlich sind sie wirtschaftlich attraktiv und bieten die Chance, ein Konzept mit überschaubarem Risiko zu testen.

Rund um Popup-Konzepte könnte dann auch eine Service-Wirtschaft entstehen, zum Beispiel mit spezialisierter Immobilienvermittlung, Website-Dienstleistern, Personalvermittlung oder Lagerdienstleistungen.

5. Boom der Abo-Modelle

Die Zahl der Marken hat in der Welt des Social Web grotesk hohe Ausmaße angenommen. Die Folge ist eine drastisch sinkende Markenbindung. Viele Unternehmen werden sich deshalb 2022 an Abo-Modellen versuchen.

Sie können nicht nur sinnvoll sein für Güter und Dienstleistungen, die VerbraucherInnen in regelmäßigen Abständen benötigen. So sind auch Abos viel versprechend, in denen gegen eine monatliche Gebühr ein Preisnachlass auf den Kauf gewährt wird: „Zahle 10 Euro im Monat und erhalte 10% bei jedem Kauf“. Sie funktionieren dann wie die Mitgliedsgebühr im Fitnessstudio: Der Anbieter verdient, wenn der Abonnent nicht kommt. Gut kalkuliert können diese Modelle ein finanzielles Fundament bieten.

Ein gutes Beispiel für unerwartete Abo-Modelle liefert die amerikanische Fastfood-Kette Taco Bell. Sie startete ein Programm, bei dem Kunden für 10$ im Monat jeden Tag einen Taco kaufen können. Der Gedanke dahinter: Einer allein macht nicht satt. Auch die Salatkette Sweetgreens experimentiert mit einem vergleichbaren Modell.

6. Qualitätsführer setzen auf Content-Marketing

Die Digitalisierung der Vermarktungs- und Vertriebsprozesse sorgt für eine Polarisierung. Einerseits sind da die Preisführer, andererseits die Qualitätsführer – die Mitte bricht weg. Allerdings ist heute Preistransparenz vorhanden, die es vor den Zeiten des Netzes nicht gab. Somit sind hochwertige Marken noch stärker gezwungen an Qualität und Image zu arbeiten, um ihren höheren Preis zu rechtfertigen.

Simon Schmidt für Paul Smith.
Simon Schmidt für Paul Smith.

Für die digitale Kommunikation bedeutet das: Hochwertige Marken bis in den Luxusbereich werden 2022 auf Content Marketing setzen. Dieses wird einen Fokus setzen auf das Erzählen menschlicher Geschichten: So werden Unternehmen – auch im Rahmen der oben beschriebenen Politisierung – Aktivisten fördern, indem sie auf ihren Kanälen Reichweite liefern. MitarbeiterInnen werden stärker in der Kommunikation auftauchen, genauso wie Testimonials und Influencer. Auch wird die Zahl von Erklärbeiträgen zu komplexeren Themen, beispielsweise im Finanzsektor, zunehmen.

Erste Beispiele für diesen Trend sind der Podcast aus dem Haus Gucci oder die punktuellen Kooperationen von Paul Smith zum Thema Kreativität. Oben zum Beispiel der freie Kreative Simon Schmidt, der in Videos durch die Shops der britischen Modemarke führt.

7. Buzzword des Jahres: web3

Noch ist die Vokabel web3 in Deutschland vor allem in IT-Fachkreisen ein Begriff – das wird sich aber im Laufe des Jahres ändern.

Die Idee dahinter ist eine Kritik an der Entwicklung des Internets. Dieses sei kommerzialisiert und zentralisiert auf wenigen Plattformen und deshalb soll ein dezentralisiertes Web die Zukunft sein. Technologien wie Blockchain und NFT sollen nun dafür sorgen, dass die Nutzer die Hoheit haben und nicht mehr große Konzerne. Auch die Idee einer dezentralisierten Finanzwelt mit Kryptowährungen fällt unter web3.

Doch warum ein neuer Begriff? Rex Woodbury, Principal beim Venture Capital Geber Index, schrieb dazu jüngst in seinem Newsletter:

„Web3 connotes progress and innovation, whereas crypto connotes complexity, speculation, and a dozen other negative associations that have (unfortunately) calcified over the past decade and now threaten to derail the movement. Web3 may be a necessary rebranding.“

Nun erträumen sich viele Im Silicon Valley ein weiteres Ausschalten von Intermediären. So müsste bei einem Hauskauf kein Notar mehr an Bord sein, der Smart Contract würde ausgehandelt, alle zu erfüllenden Bedingungen würden von den Parteien eingegeben (Abnahme, Überweisung, etc.) und wenn diese erfüllt sind, würde eine digitale Besitzurkunde vom Verkäufer zum Käufer wandern.

Die Dezentralisierung wird in gewissen Kreisen zu einer Art kommunistischer Revolution stilisiert. Die Finanzwelt werde sich ändern, Banken würden verschwinden, Kulturschaffende würden sich freimachen vom Joch der Verleger, Galeristen und Musikkonzerne, Kryptowährungen und digitale ID machten Staatsgrenzen zunichte.

Vor allem durch Investoren wird die Idee eines web3 derzeit gepusht – denn es ist viel Geld im Markt, das keine Anlaufstelle hat. Doch gibt es als Gegengewicht auch Kritiker wie den deutschen Informatiker und Technik-Philosoph Jürgen Geuter, besser bekannt unter seinem Alias „Tante“. Er schrieb jüngst in einem der besten Blogtexte des Jahres:

„Web3 is a deeply morally offensive project.

The promise of the Internet of giving people access to information and potentially the power of publication is supposed to be replaced with an unregulated casino that literally burns our planet to the ground. I can hardly come up with anything this despicable.

Nobody is an island but the Web3 crowd wants to further individualize us, turn everything about our digital and ideally analog selves into objects for speculation with semi-automated trading of assets replacing politics. The full financialization and depoliticization of life with no regard for the ecological consequences.

This is not a utopian vision. This is a declaration of war against a lot of the political and social progress of the last decades.“

8. Krypto-Crash

Die Blockchain-Technologie ist eine spannende Innovation für sehr spezifische Anwendungen. In Gestalt von Bitcoin, Ethereum und anderen Kryptowährungen aber ist sie ein Schneeballsystem. Die Szene ist durchzogen von Betrug und fragwürdigen Figuren. Ein Beispiel: Tether-CEO Jean-Louis van der Velde, über den Bloomberg jüngst eine sehr unterhaltsame Story schrieb. Im Laufe des Jahres 2022 wird das Ausmaß der Regulierung zunehmen und infolgedessen einen Crash der Kryptowährungen auslösen.

Ähnliches gilt für NFT, jene digitalen Besitzzertifikate. Auch sie sind für spezifische Anwendungen sinnvoll. Doch die irrwitzigen Preise, die derzeit auf digitalen Börsen und auf Auktionen gezahlt werden, sind nicht haltbar. Auch hier wird es einen Crash geben.

9. Flugtaxi-Bruchlandung

Es war die ehemalige Digital-Staatssekretärin Doro Baer, die Flugtaxis immer wieder hochjubelte. Dabei hatten sie nie die Substanz um mehr zu sein, als ein Spielzeug für Superreiche: Sie sind laut (und das hat nichts mit dem Motor zu tun, sondern mit dem Durchschneiden der Luft durch die Rotorblätter), unfallgefährdet, brauchen mehr Platz zum Landen als andere Verkehrsmittel und können nur geringe Lasten tragen: Eine dreiköpfige Familie mit Koffern auf dem Weg in den Urlaub bräuchte kein Flugtaxi – sondern einen Hubschrauber.

Foto: Thomas Knüwer
Foto: Thomas Knüwer

Trotzdem sind Investoren und Journalisten dem gehypten Thema in erschreckendem Maße hinterhergelaufen. 2022 wird sich das Thema Flugtaxis erledigen. Mit Volocopter steht der erste Anbieter vor dem Aus – der Rest wird als Dominoeffekt folgen.

10. Heiße Luft des Jahres: Metaverse

Wo der Unterschied zwischen Augmented (AR) und Virtual Reality (VR) liegt, hat ein großer Teil der Nicht-Tech-Affinen nie verstanden (obwohl das gar nicht so schwer ist). Nun gibt es, gepusht durch Mark Zuckerberg, das wolkige Konstrukt des Metaverse.

Daten sollen sich vermischen mit der physischen Welt, am Ende sollen wir uns alle aber über weite Teile des Tages in einer virtuellen Umgebung bewegen – oder besser: nicht bewegen, denn mit einer Virtual Reality-Brille sollte niemand umherlaufen, die Gefahr gegen eine Mauer zu rennen ist, zu groß.

Natürlich gibt es für AR und VR auch Nischenanwendungen, zum Beispiel die Steuerung von Maschinen oder einen kleinen Teil von Videospielen. Doch nicht einmal Zuckerberg fällt als Use Case für das Metaverse mehr ein, als sich bei einem Meeting weniger offensichtlich unhöflich zu verhalten: „Although I do think that for augmented reality, for example, one of the killer use cases is basically going to be you’re going to have glasses and you’re going to have something like EMG on your wrist and you’re going to be able to have a message thread going on when you’re in the middle of a meeting or doing something else and no one else is even going to notice.“

Innovationen setzen sich immer dann durch, wenn jemand eine Idee hat oder ein Problem lösen möchte und dies mit Technologie tut. Das Metaverse ist eine Technologie, die keine Idee hat und kein Problem löst. Virtual Reality sei das reiche, weiße Kind, schrieb die „Wired“ im Sommer: Obwohl viel Geld investiert werde, unterbiete es doch immer die Erwartungen.

2022 wird viel über das Metaverse geredet werden. Doch am Ende des Jahres wird sich nichts Wesentliches getan haben, was dieses Thema in den Massenmarkt bringt. Selbst Apple wird 2022 möglicherweise eine Brille auf den Markt bringen, sieht diese aber nach Informationen von Bloomberg als Nischenprodukt.

Kurz: Das Metaverse ist das Hornberger Schießen für Digitale – es wird laut donnern, aber nichts Bedeutsames dabei herauskommen.

Und nun freue ich mich über eine Diskussion in den Kommentaren.

Thomas Knüwer schreibt über Marketing & Werbung, Wirtschaft & Management, Konsumgüter & Handel, Tourismus

Gründer der Digitalberatung kpunktnull Marketing- & Medien-Blogger auf Indiskretion Ehrensache Food-Podcaster bei Völlerei & Leberschmerz Mitgründer und -ausrichter des Influencer-Preises Die Goldenen Blogger Ex-Handelsblatt-Journalist und Gründungschefredakteur der deutschen Wired

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