Die Donut-Ökonomie: Warum wir ein neues ökonomisches Denken brauchen
Aus der Biologie ist bekannt, dass ein System einige Zeit ohne Schwierigkeiten wachsen kann. Doch es gibt eine kritische Grenze, deren Überschreitung ein System nicht überlebt. Der Biochemiker, Systemforscher und Umweltexperte Frederic Vester bemerkte, dass es auch Krebszellen zunächst einmal prima geht: „Sie wachsen munter drauf los (nach dem Motto: Warum an morgen denken, Hauptsache der Umsatz steigt!), bis sie den Wirtsorganismus so belasten, dass dessen Funktionen geschädigt werden und er zusammenbricht – und mit ihm die Krebszellen.“
Wie viel ist genug?
Unendliches Wachstum ist auch für den Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel in einer endlichen Welt nicht möglich. Das Unbehagen am Paradigma des endlosen Wirtschaftswachstums belegt nicht nur sein Buch "Exit", sondern zeigen auch die Longseller von Ernst Ulrich von Weizsäcker („Faktor Fünf“), Harald Welzer ("Selbst Denken“) und Ralf Fücks „Intelligent wachsen“). Angela Merkel brachte vor einigen Jahren den Begriff „nachhaltiges Wachstum“ ins Gespräch. David Cameron sprach von „ausgewogenem Wachstum“, Barack Obama bevorzugte „langfristiges, dauerhaftes Wachstum“. Der frühere Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, setzte sich für „kluges, nachhaltiges, einschließendes und robustes Wachstum“ ein. Die Weltbank versprach „inklusives grünes Wachstum“. Der österreichische Chocolatier Josef Zotter spricht in seinem Buch „Kopfstand mit frischen Fischen“ von natürlichem Wachstum: „Schon möglich, dass irgendwann auch der Tag kommt, an dem das Wachstum zum Stillstand kommt, der Prozess abbricht. Ist es nicht überall so? Für alles kommt irgendwann der Tag, an dem es aufhört, verschwindet, stirbt. Wie im Leben. Das ist der Zyklus.“ Den Wirtschaftspropheten, die behaupten, dass man wachsen muss, um nicht unterzugehen, steht er skeptisch gegenüber. Logisch, sagt er, „weil alles auf Pump aufgebaut ist. Darauf, dass du dir mit geliehenem Geld Wachstum erkaufst. Mit der Folge, dass du immer weiterwachsen musst, damit du dir dein Wachstum leisten kannst...“
Allerdings ist „Nullwachstum“ auch keine realistische und wünschenswerte Perspektive angesichts der Massenarmut in der Welt. Doch ein „Weiter so“ geht auch nicht. Für die dritte Option, nachhaltiges, sozial-inklusives Wachstum, plädiert das Buch von Ralf Fücks. Der Schlüssel für nachhaltiges Wachstum liegt für ihn in einer Entkopplung von Wertschöpfung und Naturverbrauch. Nur darf Ökologie nicht mit dem Gestus „Du darfst nicht“ daherkommen. Er verweist dabei auf Gunter Pauli, einen Vordenker der neuen Ökonomie, für den die Antwort auf die ökologische Krise in einer „zweiten grünen Revolution“ besteht. Sie beginnt im Kopf: vom Denken in linearen Produktionsketten zum Design von Stoffkreisläufen. Endloses Wirtschaftswachstum, das vielen als Voraussetzung für Wohlstandsmehrung, Fortschritt und Wohlbefinden gilt, ist auch für den Sozialphilosophen Edward Skidelsky sinnlos. Die Unersättlichkeit der wohlhabenden westlichen Welt müsse eingehegt werden. Mit seinem Sohn, dem britischen Wirtschaftshistoriker Robert Skidelsky schrieb er das Buch "Wie viel ist genug?“
„Maßhalten ist das Beste“, sagten bereits die alten Griechen. In der Maori-Kultur umfasst das Konzept des Wohlbefindens geistiges, ökologisches, soziales und wirtschaftliches Wohlergehen. In den Anden-Kulturen ist das buen vivir („gut leben“) eine Weltsicht, in der „die Fülle des Lebens in Gemeinschaft mit anderen und mit der Natur“ große Wertschätzung erfährt. Welche Modelle eines gelingenden Zusammenlebens oder adäquater Mensch-Natur-Verhältnisse sollten wir entwerfen, und worin finden sie ihre Basis? Wie wirken sich die jeweiligen Bilder auf die Gestaltung und Planung der Gegenwart und Zukunft aus? Bilder verankern sich im geistigen Auge und formen unsere Weltsicht neu. Das Bild, das wir von uns selbst zeichnen, beeinflusst maßgeblich, wer wir werden, schreibt Kate Raworth in ihrem Buch „Die Donut-Ökonomie“. Deshalb sei es wichtig, dass die Wirtschaftswissenschaft ein neues Bild des Menschen entwirft. „Wenn wir unsere Komplexität besser verstehen, können wir die menschliche Natur fördern und entwickeln und unsere Chancen verbessern, in den sicheren und gerechten Raum des Donuts zu gelangen.“
Komplexitätsdenken ist heute von entscheidender Bedeutung für das Verstehen und die Gestaltung der Welt. Bereits in den 1970er-Jahren bemerkte der österreichische Ökonom und Sozialphilosoph Friedrich Hayek, dass sich die Ökonomen weniger als Handwerker verstehen sollten, die ihre Arbeit beherrschen, sondern eher als „Gärtner, die sich um ihre Pflanzen kümmern.“ Leider, kritisiert Raworth, werden wir noch heute vielfach in einer Geisteshaltung erzogen, die aus Lehrbüchern aus den 1950er-Jahren stammt, die auf den Theorien von 1850 beruhen. „Aufgrund des sich rasend schnell verändernden Wesens des 21. Jahrhunderts bahnt sich damit eine Katastrophe an.“ Selbst schlug sie zunächst den klassisch akademischen Weg über ein Wirtschaftsstudium in Oxford ein, war aber schon bald enttäuscht: Die Modelle schienen ihr veraltet und den Herausforderungen der Gegenwart nicht gewachsen. So wurde sie zum „Bad Girl“ der anglo-amerikanischen Ökonomie mit einem globalen Netzwerk. Heute lehrt sie Ökonomie in Oxford und Cambridge.
Mit dem Donut in der Hand fegte sie buchstäblich ihre alten Lehrbücher vom Tisch und suchte nach überzeugenden Ideen, erforschte das neue ökonomische Denken aufgeschlossener Studenten, fortschrittlicher Wirtschaftsführer, innovativer Wissenschaftler und moderner Praktiker. In ihrem Buch werden sieben Ansätze vorgestellt, die es ermöglichen, wie ein Ökonom des 21. Jahrhunderts zu denken (und zu zeichnen!). Nach Raworth eignen sich diese sieben Wege am besten dazu, damit anzufangen, das alte ökonomische Modell zu beseitigen:
Das Ziel ändern (Der Donut)
Das Gesamtbild erfassen (Eingebettete Ökonomie)
Die menschliche Natur pflegen und fördern (Sozial anpassungsfähiger Mensch)
Den Umgang mit Systemen lernen (Dynamische Komplexität)
Auf Verteilungsgerechtigkeit zielen (Von vornherein Verteilungsgerechtigkeit anstreben)
Eine regenerative Ausrichtung fördern (Von vornherein regenerativ ausrichten)
Eine agnostische Haltung zum Wachstum einnehmen (Agnostisch gegenüber Wachstum).
Die Herausforderung besteht darin, diese Denkansätze in der Praxis zusammenzuführen und viele weitere hinzuzufügen. Dabei hilft auch der Blick auf gut funktionierende Unternehmen, von denen sich lernen lässt, weil sie schon immer einen angemessenen Beitrag zur „Nachhaltigkeit“ leisten und auf Kreislaufwirtschaft setzen. Seit die Kommunikationsexpertin Claudia Silber bei der memo AG arbeitet (seit 2009) sucht sie nach alternativen Begriffen für den Begriff Nachhaltigkeit: „Im ursprünglichen Sinne soll er die Vereinbarkeit von Ökologie, sozialer Verträglichkeit und Ökonomie beschrieben werden. Aus der Forstwirtschaft kommend: Entnehme immer nur so viel Ressourcen wie auch immer wieder nachwachsen können. Leider wird der Begriff immer mehr missbraucht, vor allem von der Politik. Mittlerweile ist ‚Nachhaltigkeit‘ so ausgeleiert, dass viele Menschen abwinken.“ So geht es ihr auch. Auf der Unternehmensseite der memo AG steht deshalb als Überbegriff für alle ökologischen und sozialen Leistungen eben nicht "Nachhaltigkeit", sondern "Verantwortung". "Enkeltauglichkeit" oder "enkeltauglich" wird eher selten - und wenn dann in Anführungszeichen - verwendet. Silber findet den Begriff allerdings deshalb passend, weil er bildlich beschreibt, „wie wir leben und handeln sollten, nämlich so, dass auch die nachfolgenden Generationen eine lebens- und liebenswerte Welt vorfinden.“ "Enkeltauglich" sei auch deshalb passend, weil er eben nicht so abstrakt ist wie "nachhaltig". Auch sie verweist auf die Macht der Bilder – „auch die, die mit Worten gemalt werden.“
Es geht grundsätzlich um die Einsicht, dass man „den Einklang zwischen Wirtschaftlichkeit, sozialen und ökologischen Belangen schaffen kann“, sagt Katharina Reuter, Geschäftsführerin von UnternehmensGrün, dem Bundesverband der grünen Wirtschaft, dem es um dezentrale Wirtschaftsstrukturen, um die kleinen und mittleren Unternehmen geht, die regional verankert sind und Arbeitsplätze schaffen. Mitglieder sind auch bekannte Pioniere aus der Nachhaltigkeitsbranche wie etwa die GLS Bank, oekom, taz, EWS Schönau, Naturstrom oder die memo AG, die seit Jahren zu den „wahren Pionieren des Wandels“ (Ernst-Ulrich von Weizsäcker) gehört. Als Wähler ist jeder Mensch in der Verantwortung – als Konsument aber noch mehr, denn jeder einzelne Einkauf ist auch eine Stimme, ein persönliches Statement.
Der Donat weist in eine Zukunft, in der die Bedürfnisse jedes Menschen befriedigt werden, während zugleich die lebendige Welt geschützt wird. Er ist eine Visualisierung der sozialen und ökologischen Bedingungen, die das Fundament des allgemeinen menschlichen Wohlbefindens bilden.
• Die ökologische Decke stellt die äußere Grenze des Donuts dar, die durch den Druck des Menschen auf die lebensspendende Erde in gefährlicher Weise überschritten wird.
• Unterhalb des gesellschaftlichen Fundaments des Donuts liegen die Defizite und Unzulänglichkeiten, „die jene zu spüren bekommen, denen lebensnotwendige Güter vorenthalten werden (z.B. Nahrung, Bildung und Wohnen).
• Der innere Ring (das gesellschaftliche Fundament) stellt die grundlegenden zwölf Komponenten des Lebens dar: ausreichend Nahrung, sauberes Wasser und funktionierende sanitäre Einrichtungen, Zugang zu Energie und sauberen Kochgelegenheiten, Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung, angemessenes Wohnen, ein Mindesteinkommen und eine ordentliche Arbeit, Zugang zu Informationsnetzen und zu sozialen Unterstützungsnetzen.
Weiterführende Literatur:
Kate Raworth: Die Donut-Ökonomie. Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört. Carl Hanser Verlag, München 2018.
Claudia Silber und Alexandra Hildebrandt: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Circular Thinking 21.0: Wie wir die Welt wieder rund machen. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.