Die größten Insolvenzen 2023: BenK.O., Peek & Pleite und die Hölle der Löwen
Modische Fehlschläge, gesundheitliche Aussetzer, automobile Pannen und der Absturz eines Immobilienkönigs: Das waren die wichtigsten Insolvenz- und Sanierungsverfahren 2023.
Die frohe Botschaft erreichte die Beschäftigten des Glasherstellers Weck wenige Wochen vor Weihnachten: Das Unternehmen, das mit seinen Einmachgläsern den Begriff „Einwecken“ prägte, ist gerettet. Vorerst jedenfalls. Die Kultfirma, die im Juni Insolvenzantrag gestellt hatte, bekommt einen neuen Eigentümer. Er will die Marke weiterentwickeln und Weck so einen Weg aus der Krise bahnen.
Einfach wird das nicht. Hohe Energiepreise, eine schwächere Nachfrage und Fehlentscheidungen des Managements hatten zur Insolvenz geführt. Es ist der typische Dreiklang des Niedergangs. Ein Sound, der 2023 in vielen Unternehmen zu hören war und der durch verschiedene Faktoren noch verstärkt wurde. Die Folge: Bis Ende des Jahres könnte die Marke von 260 Großinsolvenzen erreicht werden, erwartet Tillmann Peeters, Partner der Sanierungsberatung Falkensteg. Im Vorjahr zählten die Berater 227 Großverfahren, also Insolvenzen von Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als zehn Millionen Euro.
Ein Grund für den Anstieg: „Das höhere Zinsniveau ist ein Faktor, der inzwischen Unternehmen in fast allen Branchen belastet“, sagt Oliver Kehren, Managing Director bei Morgan Stanley und Vorstandsvorsitzender der Restrukturierervereinigung TMA Deutschland. „Die Refinanzierung ist deutlich teurer geworden – und nicht alle Geschäftsmodelle sind in der Lage, diese höheren Kosten auch zu erwirtschaften“, so Kehren.
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Die Immobilienkrise
Wohl nirgendwo sind die Folgen der Zinswende sichtbarer als in der Immobilienwirtschaft. Dort sorgte 2023 vor allem der Absturz des österreichischen Unternehmers René Benko und seiner Signa-Gruppe für Schlagzeilen. Signa hatte während der jahrelangen Niedrigzins-Phase kräftig expandiert. Steigende Zinsen und Baukosten, gewagte Finanzierungen, ein Mangel an Transparenz und Zweifel an Signa-Gründer Benko haben die Gruppe jedoch in Schieflage gebracht.
Die Holding des Immobilien- und Handelskonglomerats startete am 29. November in Wien ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. In Deutschland haben kleinere Signa-Töchter in Berlin ebenfalls Insolvenzanträge gestellt.
Kurz vor dem Jahreswechsel kündigten dann die Signa Prime Selection AG und die Signa Development Selection AG, die wichtigsten Immobiliengesellschaften der Gruppe, Insolvenzanträge in Österreich an. „Trotz erheblicher Bemühungen in den vergangenen Wochen konnte die erforderliche Liquidität für eine außergerichtliche Restrukturierung nicht in ausreichendem Maße sichergestellt werden“, teilte Signa mit.
Offen bleibt vorerst, was aus Signas Großprojekten wie dem Bau des Hamburger Elbtowers wird und wie es mit der Warenhaustochter Galeria Karstadt Kaufhof weitergeht. Das Benko-Beben fiel zwar besonders heftig aus, blieb aber nicht die einzige Erschütterung im Markt.
Schon zuvor hatten Gesellschaften wie Euroboden in München, die Nürnberger Project Immobilien und die Düsseldorfer Immobilienunternehmen Gerch, Centrum und Development Partner Insolvenz angemeldet. Und in „in den kommenden Monaten werden wir sicherlich weitere Immobilieninsolvenzen sehen“, erwartet Project-Insolvenzverwalter Volker Böhm.
Die Konsumkrise
Auch im Einzelhandel ist keine Trendwende in Sicht. Einer der größten Insolvenzfälle betraf die Verbrauchermarktkette Real, die 62 Filialen im Bundesgebiet betreibt. Rund 5000 Mitarbeiter waren zuletzt in den SB-Warenhäusern tätig. Ein kleiner Teil der Filialen wird von Wettbewerben weitergeführt, für die meisten Standorte gibt es aber offenbar keine Zukunft. Real ist allerdings eine Ausnahme im sonst recht stabilen Lebensmittelhandel. Deutlich angespannter ist die Lage in der Bekleidungsbranche.
Anfang März 2023 meldete der Düsseldorfer Modefilialist Peek & Cloppenburg (P&C) Insolvenz an und hat sich mittlerweile über ein Schutzschirmverfahren neu aufgestellt. Ganz anders verlief die Pleite von Reno, einst der zweitgrößte Schuheinzelhändler in Deutschland. Die meisten der 180 Reno-Filialen wurden geschlossen, Hunderte Beschäftigte verloren ihre Jobs.
„Hintergrund für die wirtschaftliche Schieflage vor allem des stationären Handels waren das zurückhaltende Konsumverhalten in der Energiepreiskrise sowie die Verlagerung in den Online-Bereich“, bilanzierte vor Kurzem der Bonitätsdaten-Dienstleister Creditreform. Diese Negativentwicklungen „führten auch bei anderen Vertretern der Branche zur Insolvenz“. Darunter etwa der Modeanbieter Hallhuber mit rund 1100 Beschäftigten, der Herrenmodehersteller Ahlers oder die Gerry Weber Retail GmbH.
Aber: „Die Konsumkrise trifft nicht nur den stationären Einzelhandel, sondern auch E-Commerce-Anbieter“, sagt Dorothée Fritsch vom Beratungsunternehmen FTI-Andersch. „Sie haben in der Coronazeit zwar einen Boom erlebt, geraten nun aber unter erheblichen Anpassungsdruck.“
Kommen dann noch hausgemachte Probleme hinzu, wird es schnell brenzlig. Das zeigte sich im Juli, als der Investor und frühere Juror der Fernsehshow „Die Höhle der Löwen“, Georg Kofler, für seine börsennotierte Online-Handelsplattform The Social Chain Insolvenz anmelden musste. Aber auch die in die Jahre gekommenen Modeversandhändler Klingel, Peter Hahn und Madeleine erwischte es. Zudem wirkten sich die Signa-Turbulenzen auch im Handelsbereich aus.
Nachdem die Österreicher im Herbst eine Finanzierungszusage zurückgezogen hatten, musste der Online-Sporthändler Signa Sports United mit Marken wie fahrrad.de und Tennis Point Insolvenz anmelden. Auch eine Übernahme des zur Signa-Holding gehörenden Sportartikelhändlers SportScheck platzte. Das Unternehmen mit bundesweit 34 Filialen und rund 350 Millionen Euro Jahresumsatz ist inzwischen ebenfalls insolvent.
Die Gesundheitskrise
Neben Handel und Immobilienzunft kam es 2023 auch im zuvor unauffälligen Gesundheitssektor zu zahlreichen Havarien. Die beiden Kernprobleme der Branche waren der Personalmangel sowie Kostensteigerungen, die nur teilweise und mit Verzögerung weitergegeben werden können.
So meldeten nach Zahlen der Deutschen Krankenhausgesellschaft in den vergangenen zwölf Monaten mehr als 30 Krankenhäuser Insolvenz an, beispielsweise der Flensburger Betreiber Diako, die Imland-Kliniken in Rendsburg und Eckernförde, oder die Paderborner St. Vincenz Krankenhaus GmbH. Dazu kamen zahlreiche Pflegeheiminsolvenzen von Branchenschwergewichten wie der Curata-Gruppe, des Bremer Pflegeheimbetreibers Convivo, der Oldenburger Hansa-Gruppe und Teilen der Pflegegruppe Doreafamilie. Auch der Bezirksverband Ostwestfalen-Lippe der Arbeiterwohlfahrt mit 4300 Mitarbeitern und über 200 Einrichtungen will sich im Rahmen einer Insolvenz in Eigenverwaltung neu aufstellen.
Die Autokrise
An Krisenkandidaten herrscht auch in der Autoindustrie kein Mangel. Im Juni meldete etwa der baden-württembergische Autozulieferer Allgaier Werke Insolvenz an. Kaum ein Jahr zuvor hatte die chinesische Westron Group das Unternehmen von der Familie des ehemaligen Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt mehrheitlich übernommen. Allgaier fertigt unter anderem Karosserieteile, ist aber auch im Bereich Verfahrenstechnik aktiv. „Die Insolvenzanträge wurden sicherlich nicht zu früh gestellt“, sagte Insolvenzverwalter Michael Pluta im Sommer der WirtschaftsWoche und fügte hinzu: „Allgaier wurde zuletzt sehr sparsam geführt.“ Ähnliches gilt für andere insolvente Unternehmen, die eng an der Autokonjunktur hängen: das Eisenwerk Hasenclever & Sohn etwa oder der Dachboxenspezialist Kamei.
Der Kabelbaumspezialist Leoni schrammte zwar knapp an einer Insolvenz vorbei, sorgte in der Restrukturierungsszene allerdings trotzdem für Aufsehen: Denn Leoni nutzte als erster großer börsennotierter Konzern das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – kurz: StaRUG – für eine vorinsolvenzliche Sanierung. Die Folge: ein radikaler Kapitalschnitt.
Der österreichische Unternehmer und Leoni-Großaktionär Stefan Pierer sicherte sich über eine von ihm allein gezeichnete Kapitalerhöhung den Besitz am Unternehmen und verdrängte die übrigen Aktionäre, da Leoni gleichzeitig den Rückzug von der Börse antrat. Für die Minderheitsaktionäre war die Entscheidung bitter, aber auch eine Insolvenz des Unternehmens hätte ihnen keine Vorteile gebracht. Längst waren sie als Eigentümer „aus dem Geld“, wie es in der Branche heißt. Kurzum: Der Kipppunkt der Finanzkraft war überschritten und die erforderlichen Investitionen, Umbaumaßnahmen und Verluste konnten nicht mehr aus eigener Kraft finanziert werden. Eine Verfassungsbeschwerde der Minderheitsaktionäre scheiterte denn auch.
„Der Fall Leoni zeigt, dass das StaRUG auch bei großen, internationalen Restrukturierungsprozessen funktioniert“, bilanziert Andreas Ziegenhagen, der die Europäische Praxisgruppe Restrukturierung der Wirtschaftskanzlei Dentons leitet und mehrere Banken als Schuldscheingläubiger von Leoni beraten hat. „Die Außenwirkung auf internationale Investoren und Gläubiger ist nicht zu unterschätzen.“ Er erwartet, dass angeschlagene Unternehmen die Möglichkeiten des StaRUG nun verstärkt für ihre finanzielle Restrukturierung nutzen werden, insbesondere im Immobilienbereich. Die Mehrzahl der Restrukturierungen betrifft indes nicht Konzerne wie Leoni, sondern Familiengesellschaften, mittelständische Unternehmen, teilweise auch Start-ups. Für sie spielt der Insolvenzgrund der Überschuldung bislang eine wichtige Rolle. Sie liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt und zugleich die Zahlungsfähigkeit im Rahmen der sogenannten Fortbestehensprognose mittelfristig nicht gesichert ist.
Über die Aussagekraft des Begriffs lässt sich allerdings streiten. „Die Überschuldung markiert einen im internationalen Vergleich sehr frühen Zeitpunkt, zu dem die Geschäftsführung Insolvenzantrag stellen muss“, sagt etwa Dorothee Prosteder, Mitglied im TMA-Vorstand und Partnerin der Kanzlei Noerr. „Damit werden die Restrukturierungsoptionen für die Geschäftsleitung auf das Insolvenzverfahren verengt“, während in anderen Ländern noch alternative Sanierungsinstrumente ergriffen werden können. Prosteder plädiert dafür, die Überschuldung im Gesetz nicht länger als Pflicht-, sondern nur noch als freiwilligen Insolvenzantragsgrund aufzuführen. Ob es dazu kommt? 2024 wohl eher nicht.
Denn auch wenn es wieder mehr Insolvenzen gibt und sich die konjunkturellen Aussichten eintrüben, ist eine „echte“ Pleitewelle bislang nicht in Sicht. Vielmehr normalisieren sich die Zahlen. Zum Normalfall gehört allerdings auch, dass nicht alle Unternehmen gerettet werden können. Nicht einmal, wenn sie Kultcharakter haben.
Nur wenige Tage nach der Insolvenz des Glasproduzenten Weck hatte der Hersteller des Römertopfs Insolvenzantrag gestellt. Seit den 1970er-Jahren wurden nach Unternehmensangaben über 50 Millionen Römertopf-Bräter verkauft. Zwar fand sich für die Markenrechte und das Warenlager des Unternehmens ein Käufer. Neue Römertöpfe will dieser künftig aber nur noch im Ausland produzieren.
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