Bild "Friendship" aus dem Goethe-Projekt der Fotokünstlerin Nicole Simon - Nicole Simon

Die hohe Kunst der Freundschaft

Freundschaft ist eine frei gewählte Beziehung, in der sich erlernen lässt, wie Beziehungen zwischen Menschen nachhaltig gestaltet werden können. Im Zuge der Digitalisierung und einer immer schneller und komplexer werden Welt hat sich das Bild der Freundschaft gewandelt. Eine oberflächliche Verbindung mit der ganzen Welt verhindert häufig eine tiefe Verbindung mit uns nahestehenden Menschen - und uns selbst. Die Bedeutung der Freundschaft hat schon Aristoteles festgehalten: Die „geistige Verbindung“ wird von ihm als die höchste Form der Freundschaft beschrieben: eine Freundschaft der „Trefflichen“. Sie hat auch damit zu tun, dass wir in unseren Werten und ethischen Überzeugungen einig sind und damit nach einem „tugendhaften“ Leben streben. Er sagte, dass wir mit unseren Freunden unser Leben teilen sollten („wohlwollende Anteilnahme“). Seine „Nikomachische Ethik“ ist der Grundlagentext der westlichen Tradition der Beschäftigung mit dem Thema. Der Philosoph entwickelt hier die Einteilung in drei Formen der Freundschaft: Der auf der Lust und der auf dem Nutzen basierenden Freundschaft steht die auf der Tugend beruhende gegenüber - Letztere gilt als die wahre (vollkommene) Freundschaft. Damit verbunden ist ein Leben „in der Verflochtenheit“, „denn der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen“.

Der Begriff „Freund“ stammt von der althochdeutschen Wurzel „fuint“ ab, die so viel bedeutet wie „Friede“ oder „frei“ - gleichzeitig aber die indogermanische Silbe „fri“ in sich trägt, mit der die Tätigkeit des „Liebens bzw. Hegens“ gemeint ist. Damit verbindet sich auch ein konkretes Bild: der irdische Garten, der bestellt und gehegt werden muss. Seine Pflege wird damit auch zu einem symbolischen Beitrag für die Debatten um den Wert von Freundschaft und Nachhaltigkeit. Für Hannah Arendt ist Freundschaft nichts weniger als die „Grundlage aller Menschlichkeit.“ Unser Leben würde wertvoller erscheinen, „wenn wir es konsumärmer, aber beziehungsreicher gestalten“. Diese Botschaft der Journalistin Susanne Lang zeigt zugleich, dass die Nachhaltigkeitsdebatte abstrakt und leer bleibt, wenn sie ohne Berücksichtigung des Freundschaftsthemas geführt wird: „Ich sorge mit der Pflege meiner Freundschaften für ein ebenso gutes Zukunftsfundament wie mit meiner Riester-Rente. Denn vor allem für das Alter, so lautet eine der großen Gesellschaftsprognosen, würden gute, langjährige Sozialkontakte immer wichtiger.“ Es findet sich bei ihr sogar eine sprachliche Nähe zur Energieversorgung, wenn sie darauf verweist, dass Freunde eine „erneuerbare Ressource“ sind. So ganz überzeugen kann sie dies allerdings nicht: Sie würde ihre Freunde nie als erneuerbare Ressource bezeichnen, weil sie alle für sich einzigartig sind. Interessant ist der Vergleich aber dennoch, weil es sich bei dieser Beziehungsform schließlich um einen „Treibstoff“ handelt, der eine Grundvoraussetzung für ein menschenwürdiges Leben ist.

Neuer Treibstoff ist für viele Menschen nicht notwendig, weil der vorhandene ausreicht. Vielleicht ist diese Einsicht aber auch zeitlich bedingt: Wer die längste Wegstrecke des Lebens hinter sich hat, geht mit der verbleibenden restlichen Energie anders um. Vielleicht werden überschaubare Freundschaften mit ihrer besonderen Qualität vor allem von Menschen gepflegt, die immer auch große Ziele im Auge haben und wissen, dass sie es nur erreichen können, wenn sich die Energien von gleichgesinnten, leidenschaftlichen und gesellschaftlich engagierten Menschen bündeln und sich der Fokus jedes Einzelnen überlagert. Eine solche sinngerichtete kleine Gemeinschaft muss sich um ihre Zukunft nicht sorgen.

  • Distanz (Freiraum für sich)

  • gemeinsame Entwicklung

  • ähnliche Geisteshaltung

  • reale Gespräche

  • Persönlichkeitsbewusstsein

  • Selbstfreundschaft

  • Zuneigung

  • Gefühl der Zusammengehörigkeit

  • Reflexion von Denken, Fühlen und Handeln

  • Vertrauen in sich selbst, in andere und in die Welt

  • geistige Übereinstimmung

  • ähnliches Weltverständnis (auch bei abweichenden Meinungen)

  • Wohlwollen füreinander

  • Zuwendung zu sich selbst, um für Andere da sein zu können.

Wahre Freundschaften sind keine Zweckbeziehung, denn sie tragen ihren Zweck in sich selbst, sie entwickeln sich allmählich und stützen sich dann auch auf Erfahrungen, die im gemeinsamen Umgang gesammelt wurden. Dazu gehört auch, etwas „Ähnliches“ in einem anderen Menschen zu entdecken, das dafür sorgt, dass wir den anderen verstehen und uns durch ihn verstanden fühlen - eine Form der „Wahlverwandtschaft“.

Goethe verglich sich gern mit einem Gärtner, der hegt und pflegt und Unkraut jätet – Schiller verteidigte als Berufsschriftsteller seine Standesehre. Im Rückblick nannte Goethe die Freundschaft ein „glückliches Ereignis“. Die Polarität der Temperamente und Charaktere der beiden bewirkte bei Goethe und Schiller eine Stärkung ihrer schöpferischen Kräfte (bei Goethe vor allem in den ersten, bei Schiller in den letzten Jahren der Freundschaft). Weimar war ihre Welt, in die sie viele andere Welten hineinzuziehen vermochten. Der Werkbezug der beiden stand im Mittelpunkt ihrer Freundschaft: Sie beförderten und unterstützten sich wechselseitig und tauschten intensiv ihre Gedanken aus. Idee und Erfahrung, Freiheit und Natur, Begriff und Vieldeutigkeit zu vereinen war ihr gemeinsames Ideal (das Klassische). Goethe schreibt, dass „die wahre, die tätige produktive“ Freundschaft darin besteht, „dass wir gleichen Schritt im Leben halten, dass er meine Zwecke billigt, ich die seinigen, und dass wir so unverrückt zusammen fortgehen.“ Schiller nennt eine solche schöpferische Verbindung „ein auf wechselseitige Perfektibilität gebautes Verhältnis“. Goethe sagte, dass sie ihn „gefördert“ habe. Dabei hielt er sich allerdings immer an die Maxime (an Herder):

„Wenn wir immer vorsichtig genug wären und

Uns mit Freunden nur von einer Seite verbänden,

von der sie wirklich mit uns harmonieren,

und ihr übriges Wesen nicht in Anspruch nähmen,

so würden die Freundschaften weit dauerhafter

und ununterbrochener sein.

Gewöhnlich aber ist es ein Jugendfehler,

den wir selbst im Alter nicht ablegen,

dass wir verlangen, der Freund solle gleichsam

ein anderes Ich sein, wolle mit uns nur

ein Ganzes ausmachen, worüber wir uns

denn eine Zeit lang täuschen,

das aber nicht lange dauern kann.“

Deshalb war er mit Schiller zunächst auch „nur von einer Seite“ verbunden – und Schiller war distanziert genug, die Freundschaft nicht zu sehr zu belasten. Öfter um ihn zu sein, hätte ihn nach eigenen Worten unglücklich gemacht, denn Goethe war nicht wirklich greifbar: „ … ich glaube in der Tat, er ist ein Egoist in ungewöhnlichem Grade. Er besitzt das Talent, die Menschen zu fesseln (…); aber sich selbst weiß er immer frei zu behalten. Er macht seine Existenz wohltätig kund, aber nur wie ein Gott, ohne sich selbst zu geben (…). Ein solches Wesen sollten die Menschen nicht um sich herum aufkommen lassen.“ Schiller schwankte zwischen Liebe und Haß: Die Liebe bezog sich auf das Werk des Meisters, der Haß auf die „vom Schicksal begünstigte Art, wie es zustande kam.“ Die gemeinsame Zeit war kurz, doch das künstlerische Schaffen der beiden bewahrt dauerhafte Spuren.

Das Goethe-Schiller-Denkmal, das 1857 vor dem Deutschen Nationaltheater auf dem Theaterplatz in Weimar eingeweiht wurde, schuf der Dresdner Bildhauer Ernst Rietschel. Dass er den Hofrat Goethe in formellerem Habitus darstellte als den Privatmann Schiller, sorgte einige Jahrzehnte später für Aufsehen: Der offene Knopf an Schillers Weste habe einen wahren Wettstreit der Epigonen erzeugt. Die jüngeren Schiller-Denkmäler hätten als Ziel vor Augen, "einander in der saloppen Darstellung seiner äußeren Erscheinung zu überbieten". Rietschel hat diese Tendenz vermutlich vorhergesehen. Das entdeckten Restauratoren allerdings erst viel später: Denn auch bei Goethe sind am rechten Hosenbein der Kniebundhose und an der Weste unter der Hand mit dem Lorbeer - zwei Knöpfe offen. Die Nahtstellen an den Armen und Köpfen sind jedoch nur für den Fachmann zu erkennen, auf den Laien wirken sie im Griff nach dem Lorbeer untrennbar vereint.

Die Fotokünstlerin Nicole Simon hat die Freundschaft der beiden in ein Bild verwandelt. Es zeigt Goethe und Schiller in Weimar, „dem kulturellen Zentrum, in dem ihre außergewöhnliche Freundschaft ihren Ursprung fand und die Epoche der Weimarer Klassik geprägt wurde“, so die Künstlerin. Mit diesem Bild möchte sie nicht nur an diese besondere Beziehung erinnern, sondern auch die zeitlose Bedeutung von Freundschaft hervorheben.

  • Nicole Simon: Goethe und Schiller: Eine außergewöhnliche Freundschaft

  • Deutsche Einheit und Kultur der Nachhaltigkeit

  • Goethes Fäuste: „Nimmer sich beugen, kräftig sich zeigen …“

  • Freundschaft. Hg. von Richard Riess. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2014

  • Susanne Lang: Ziemlich feste Freunde. Blanvalet Verlag 2014.

  • Rüdiger Safranski: Goethe. Kunstwerk des Lebens. Biographie. Carl Hanser Verlag, München 2013.

  • Janosch Schobin, Vincenz Leuschner, Sabine Flick, Erika Alleweldt, Eric Anton Heuser, Agnes Brandt. Freundschaft heute. Eine Einführung in die Freundschaftssoziologie (mit Gastbeiträgen von Andrea Knecht, Christian Kühner und Kai Marquardsen). Transcript Verlag, Bielefeld 2016.

  • Wilhelm Schmid: Vom Glück der Freundschaft. Insel Verlag Berlin, 2014.

  • Ina Schmidt: Auf die Freundschaft. Eine philosophische Begegnung oder Was Menschen zu Freunden macht. Ludwig Verlag, München 2014.

  • Olaf Schulze: Eine Radtour in Thüringen ist immer auch eine Tour zu den „Drei Gleichen“: über Stock und Stein mit und zu Goethe, Schiller, Luther … In: Zukunft Mikromobilität. Wie wir nachhaltig in die Gänge kommen. Ein Rad-Geber. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber. Büchner Verlag, Marburg 2022.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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