Finanzminister Lars Klingbeil (SPD; l.) und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) auf der Kabinettssitzung zum Bundeshaushalt | © dpa
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Die Koalition beschneidet Klimapolitik – ETS2 in Gefahr

Keine reduzierten Strompreise, Gassubventionen aus Klimafonds, Abschied von 2045 – Union und SPD bremsen bei der Klimapolitik. Das nächste große Streitthema wird ETS2, das Instrument der CO2-Bepreisung.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war einmal entschiedener Vorkämpfer der europäischen Klimapolitik, das Pariser Klimaabkommen auf beinahe patriotische Art auch seines. Die Zeiten ändern sich: Beim Brüssler EU-Gipfel plädierte Macron dafür, das neu zu bestimmende Zwischenziel abzuschwächen. Deutschland hatte schon in den Tagen zuvor erkennen lassen, welche Richtung die Koalition einschlägt: Bekenntnisse zu den Klimazielen, aber Schritte zurück.

Subventionen für Gaspreis

Indem die Gasspeicherumlage finanziert wird, ausgerechnet aus dem Klima- und Transformationsfonds, statt auf jeder Gasrechnung aufzutauchen, wird der Gaspreis subventioniert. Dagegen wird die Stromsteuer – obwohl hundertfach im Wahlkampf und im Koalitionsvertrag versprochen – nicht für jedermann um 5 Cent pro Kilowattstunde gesenkt, sondern nur für Industrie und verarbeitendes Gewerbe. Bedeutet: Besitzer einer Gasheizung werden entlastet, die einer Wärmepumpe nicht. Die Proteste waren massiv, aber sicher einkalkuliert. Wenn auch nicht in dieser Schärfe: Rasch wurde signalisiert, dass es Entlastung bei den Netzentgelten geben könne.

Reiches Abschied von 2045

Ebenfalls am Dienstag stellte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) auf einer Veranstaltung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) in den Raum, das Ziel der Klimaneutralität um fünf Jahre auf 2050 zu verschieben, begründet mit einer angeblichen „Harmonisierung“ mit internationalen Zielen. Reiche, vormals Managerin im E.ON-Konzern, legte noch weiter ihre Karten offen: Die Ausbauziele bei den Erneuerbaren seien „völlig überzogen“ gewesen, beim weiteren Zuwachs bei Wind und Sonne müssten die Betreiber sich an den Netzkosten beteiligen.

Heizung und Auto, jedermanns Geldbeutel

Der nächste Punkt, an dem sich die Klimapolitik beweisen muss, verbirgt sich hinter dem Kürzel „ETS2“, der zweiten Stufe des europaweiten „Emissions Trading Systems“. Anfang 2027 soll der Emissionshandel, nach Industrie und Luftfahrt, auch auf die Sektoren Gebäude und Verkehr ausgeweitet werden, so hat es die EU unter vielen Mühen und Kompromissen beschlossen. Dann geht es um Heizung und Auto, und damit um den Geldbeutel jedes Einzelnen. Umfragen zeigen, dass in der Bevölkerung weder die Mechanismen des Handels noch die zu erwartenden Kostensteigerungen bekannt genug sind.

Welche Kosten kommen

Zum 1. Januar stieg der nationale CO2-Preis, der 2027 in den ETS2 übergehen soll, von bisher 45 auf 55 Euro pro Tonne. Für das Jahr 2026 ist ein Preiskorridor mit einem Mindestpreis von 55 Euro pro Emissionszertifikat und einem Höchstpreis von 65 Euro festgelegt, das entspricht, grob überschlagen, jährlichen Mehrkosten von 200 bis 300 Euro je Familienhaushalt. Die ersten Jahre unter ETS2 könnten für die Verbraucher sogar günstiger werden, von nur 30 Euro ist die Rede.

Quelle: PIK (Abbildung), basierend auf Clear Blue Markets, Veyt und BNEF (mit Zustimmung der Urheber)

In den folgenden Jahren allerdings wird es massiv, und das ist genau die beabsichtigte Steuerwirkung. Die Höhe der kommenden CO2-Preise ist nur über Modellrechnungen zu prognostizieren und hängt von diversen Faktoren ab. Begründete Annahmen sehen schon in wenigen Jahren Tonnenpreise über 100 Euro. Es wird also – wenn nicht alles kippt – darum gehen, den Zorn über steigende Preise für Benzin, Öl und Gas auszuhalten. Oder aber der Wut derjenigen nachzugeben, die sich aus Überzeugung (oder schlecht beraten) eine neue fossile Heizung zugelegt haben. Verbrennerautos sind ein eigenes Thema, hier wirkt die Industrie ebenfalls auf eine Aufweichung hin.

Osteuropa und Frankreich

Gut möglich, dass sich die Aufregung um CO2-Preise rasch erledigt, wenn ETS2 nämlich auf europäischer Ebene entschärft oder verwässert wird. In dieser Richtung waren in der vergangenen Woche Signale des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu verstehen, der sich – ganz wie Merz und Reiche – auf das Wohlergehen der Industrie beruft. Macrons Verbündete sind die osteuropäischen Staaten, die von den Mechanismen des Zertifikatehandels überproportional betroffen wären. In Polen zum Beispiel ist der Anteil fossiler Energien noch höher und der Baubestand weniger saniert, was den Menschen dort höhere Lasten aufbürden würde.

Kollaps der europäischen Klimapolitik

Zwar sind Mechanismen angedacht, um Osteuropa zu entlasten, ebenso gibt es Pläne, über einen Klimasozialfonds innerhalb der Mitgliedsländer Härten abzufedern und vor allem den Wechsel auf Strom in Verkehr und Heizung zu unterstützen. Der Widerstand ist dennoch stark, mit Macron an der Spitze ist nicht abzusehen, wie weit die Bundesregierung sich anschließen wird. Offenbar sind viele Länder bereit, einen Kollaps der europäischen Klimapolitik zuzulassen, denn der Emissionshandel ist das Kernstück dieses Konzepts. Eine Analyse des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) urteilt über eine Aufweichung von ETS2: „Die neuen Geschäftsmodelle für klimafreundliche Technologien in der EU würden bedroht; damit einher ginge auch eine Unterminierung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit.“

Das „Geht auch später“-Mindset

Sollte es so weit kommen, erübrigt sich die Frage „2050 oder 2045“ weitgehend. Denn Katherina Reiches Vorstoß lässt sich nicht nur in die Milliarden Tonnen von Klimagasen umrechnen, die Deutschland dann zusätzlich produzieren würde. Er ist vielmehr ein Signal, das die ohnehin zunehmende Stimmung verstärkt: Später geht auch, warum jetzt schmerzhafte Schritte tun, was ist mit der Wirtschaft. Dieses Mindset wird sich in viele kleine Schritte auf kommunaler und auch persönlicher Ebene übersetzen.

Am EU-Standort Straßburg werden übrigens Mitte der Woche 35 Grad oder mehr erwartet. Die Räumlichkeiten sind aber gut klimatisiert.

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Raimund Witkop schreibt über Politik & Gesellschaft

Lange Erfahrung als Journalist, gern im Sport unterwegs (WamS, FAZ), aber auch im Bereich Technik und Wissenschaft. Energie und Umwelt sind, vor dem Hintergrund des Klimawandels, die wichtigsten Themen unserer Zeit - deshalb sind sie seit Jahren mein Schwerpunkt.

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