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Die Kraft der Verantwortung

Frau Dr. Schmidt, was macht verantwortliches Handeln aus, und inwiefern kann das philosophische Denken dabei eine wichtige Hilfestellung bieten?

Verantwortliches Handeln zeigt sich in dem ernsthaften Bemühen, in einer konkreten Situation aus zur Verfügung stehenden Optionen die Bestmögliche verwirklichen zu wollen und die eigene Auswahl auf Basis guter Gründe rechtfertigen zu können. Dabei geht es immer um ein Handeln in einem bestimmten Beziehungskontext: Wir sind für etwas oder jemanden verantwortlich und müssen dies gegenüber einer dritten Instanz zum Ausdruck bringen.

Das klingt erstmal ziemlich theoretisch, aber Verantwortung zeigt sich immer dann, wenn es darum geht, in seinem Handeln sichtbar zu werden, eine Position oder eine Überzeugung zu vertreten, oder aber einer selbstgewählten Rolle gerecht zu werden. Es geht um eine ethische Positionierung, die uns als verantwortliche Personen erkennbar macht, um sich im Kontext einer konkreten Situation wirklich verantwortungsbewusst verhalten zu können. Dabei kann die Philosophie helfen, indem sie für Orientierung sorgt, und anleitet, uns in unserem Denken selbst zum Thema zu machen.

Was bedeutet es überhaupt, Verantwortung zu tragen, zu übernehmen oder zu übertragen?

Verantwortung bedeutet also zunächst, sich dem zu stellen, was an Fragen an uns gerichtet ist und Antworten zu formulieren oder zumindest zu suchen. Meist dann, wenn es nicht eindeutig oder einfach ist, auf eine bestimmte Situation zu antworten. Das gilt für Einzelpersonen genauso wie für Organisationen, Unternehmen oder Regierungen. Außerdem unterscheiden wir bestimmte Formen von Verantwortung wie persönliche, institutionelle, rechtliche oder auch moralische Verantwortungen, die auch zeitlich anders ausgerichtet auf die Vergangenheit oder auf die Zukunft ausgerichtet sein. Damit ist also der erste Schritt jeder verantwortungsvollen Handlung, diese Ebenen zu differenzieren und zu klären, wo und wie ich für etwas und vor jemanden Verantwortung zum Ausdruck bringen kann. Verantwortliches Handeln geht also immer über uns hinaus, wir alle spielen eine Rolle in irgendeiner Form von Gemeinschaft - selbst wenn wir passiv in der Ecke stehen, macht das etwas mit anderen. Das ist angesichts der weltweiten Krise, die wir gegenwärtig erleben, nur allzu deutlich geworden.

Welche Bedeutung nehmen im Kontext der Verantwortung Kopf und Bauch, Vernunft und die innere Stimme des Gewissens ein? Und was verbinden Sie mit der inneren Stimme?

Verantwortung zeigt sich als eine besondere Form einer sozialen Praxis, die am Guten ausgerichtet normativ auf eine Zukunft ausgerichtet ist, in der sie etwas zum Besseren verändern möchte oder etwas erhalten will, was sie für gut hält. Um diese Abwägungen im täglichen Leben aber auch ganz grundsätzlich bei der eigenen ethischen Ausrichtung in den Blick zu nehmen, braucht es zum einen die Fähigkeit, sich als vernunftbegabtes Wesen auf rationale Weise mit den Gründen für das eigene Tun auseinanderzusetzen. Nicht umsonst sprechen wir bis heute in rechtlichen Belangen von der „Tatherrschaft“, die gegeben sein, muss, damit wir einer Person zusprechen können, dass sie wusste, was sie tat – beispielsweise im Falle eines Verbrechens.

Dieses kognitive Umgehen mit den Gründen für das Treffen von Entscheidungen geht aber in Fragen der Verantwortung oft mit dem einher, was der Philosoph David Hume schon vor einigen Jahrhunderten einen „moral sense“ nannte. Also das menschliche Empfinden, das uns eine andere Form von Gewissheit ermöglicht, wenn es um die Beurteilung von richtig oder falsch, gut oder böse ermöglicht. Dieses „Verantwortungsgefühl“ ist unterschiedlich ausgeprägt, aber doch in uns Menschen angelegt und über Emotionen bzw. das, was wir als „Stimme des Gewissens“ erleben, Teil unserer Erfahrungswelt. Daher ist es zentral, wenn wir über Verantwortung als sozialer Praxis sprechen wollen, diese beiden menschlichen Qualitäten zusammenzuführen, und das Spiel von Rationalität und Empfinden nicht als Gerangel zweier sich ausschließender Dualitäten miss zu verstehen.

Wie kann das Verantwortungsgefühl gestärkt werden?

Ich bin überzeugt, dass es weniger darum geht, dieses Gefühl zu stärken, sondern darum, es uns nicht auszutreiben oder durch andere Motivationen zu verdrängen. Es kann ja nicht immer darum gehen, direkt konkret handlungsfähig zu werden oder eine Lösung zu entwickeln, Verantwortung bedeutet auch, die menschliche Reichweite zu begrenzen und den Glauben daran, für jedes Problem eine Lösung finden zu können, zu überdenken. Aber das Bedürfnis, kooperativ und gemeinsam auf ein gutes Ergebnis hin zu arbeiten, anderen Menschen zu helfen und sich darin großzügig zu zeigen, ist eine Seite, die wir in unserem Tun stärken können, ohne darin maßlos werden zu müssen. Es geht darum, sich zu fragen, wie wir auch in Fragen von Bildung, und Erziehung, in der Ausprägung eines sozialen Miteinanders und einer gelebten Kultur wieder dahin kommen, nicht allein an den Menschen als egoistischen und gierigen homo oeconomicus zu glauben, der sein Glück in Maximierung und Optimierung findet.

Welche Rolle spielt in Ihrem Buch das Thema Corporate Social Responsibility (CSR)?

Der Begriff selbst wird nicht näher erläutert, allerdings geht es ja, wie in den gerade geschilderten Gedanken darum, eine gelebte Kultur als verantwortungsvolle Praxis in jedem menschlichen Miteinander auszubilden, die in einem Unternehmenskontext als CSR wirksam werden könnte. Im Bereich des nachhaltigen – und damit verantwortungsbewussten – Wirtschaftens ist ja gerade der Gedanke der Abwägung verschiedener Interessen und Perspektive zentral. Wie gelingt es, ökologische, soziale und ökonomische Belange so ins Verhältnis zu setzen, dass wir es nicht mit Ausbeutung und Zerstörung zu tun haben, sondern in dem, was wir erwirtschaften, auf die Regeneration und die Erhaltung von Ressourcen auf eine Weise Rücksicht nehmen, dass sie auch zukünftigen Generationen zur Verfügung stehen können? Diese Frage muss konkret gestellt und beantwortet werden – in jedem Unternehmen, jeder Organisation und Gemeinschaft, die sich das Ziel gesetzt hat, nachhaltig zu handeln. Dafür gibt es kein 10-Punkte-Programm und die immer richtige Antwort, sondern es geht darum, eine Kultur zu schaffen, in der die Fragen gestellt werden, die notwendig sind, um gute Antworten finden zu können. Das sind komplexe Fragen, die immer wieder neu ausgerichtet werden und nicht mit einfachen Lösungen abgearbeitet werden können.

Weshalb wird heute die wichtige Unterscheidung von komplexen und komplizierten Prozessen viel zu wenig im Nachhaltigkeitskontext thematisiert? Ist diese Trennung für Unternehmensprozesse doch sehr zentral …

Diese Unterscheidung braucht die Unterscheidung eines mechanistischen und eines organischen Denkens – was vielfach schlicht ungewohnt ist. Komplizierte Apparate oder Abläufe lassen sich vereinfachen und damit überschaubarer machen, komplexe Prozesse nicht. Das ist oft unbequem, weil wir uns mit Prozessen konfrontiert sehen, die in ihrer Komplexität lebendig bleiben, uns beständig fordern und die Fähigkeit voraussetzen, ins Offene denken zu können, oft auf Basis unvollständigen Wissens. Bei komplexen Prozessen brauchen wir eine Form der Risikokompetenz, die uns den Umgang mit möglichen Folgen lehrt, auch wenn wir keine eindeutigen Prognosen abgeben können.

Gerade im Kontext von Nachhaltigkeit geht es darum, sich zu fragen, welche Folgen wir in keinem Fall verantworten können, denken wir an die „Kipppunkte“ unseres Ökosystems und irreversible Schäden, die wir durch ein Handeln in der Gegenwart möglicherweise noch verhindern können. Die Komplexität und das Zusammenspiel von Faktoren, die sich in ihren Auswirkungen unmöglich prognostizieren lassen, heißt eben nicht, dass wir uns deswegen nicht um sie sorgen können, sondern ganz im Gegenteil – es bedeutet, dass wir uns besonders aufmerksam darum kümmern müssen, auch wenn wir damit nicht die Garantie für irgendeine Lösung haben werden. In komplizierten Zusammenhängen lassen sich Prozesse vereinfachen, optimieren und erklären – wir können Regeln schaffen und uns auch durch Experten und Fachwissen einen Überblick verschaffen. Versuchen wir dieses Denken auf komplexe Strukturen anzuwenden, dann trivialisieren wir diese Zusammenhänge, denken zu kurz und zerstören das darin enthaltene Gleichgewicht – wie wir es auf globaler Ebene in unserem Ökosystem sehr deutlich zu spüren bekommen.

Was können wir zum Thema Verantwortung von Schiller lernen?

Um diesen Fragestellungen zu begegnen, sich also auch im Denken neu zu orientieren, brauchen wir nicht zwingend neu zu denken. Es geht nicht immer um ein Erkenntnisproblem, sondern die Frage, wie wir gewonnene Erkenntnisse umsetzen können, gerade, wenn sie unseren gewohnten Denkmustern, die so sehr an Leistungsprinzipien, Ergebnisse und Lösungen gewöhnt sind. Um komplexen Fragen begegnen zu können, brauchen wir die Offenheit, in Zusammenhängen und Beziehungen denken zu lernen, zuzuhören, nachzufragen, verstehen zu lernen, statt immer alles mit einer Erklärung zu beenden. Darin liegt wiederum die Gefahr, sich in einer Flut von Möglichkeiten und Optionen zu verlieren und notwendige Strukturen in haltlosen Relativismen aufzulösen.

Dabei hilft eine menschliche Haltung, die bereits bei Friedrich Schiller eine wesentliche Bedeutung für menschliches Handeln ausgemacht hat: die des Spiels. Spielregeln zu entwickeln, um handlungsfähig zu bleiben oder zu werden, erschließt gleichzeitig neue Räume des Denkens. Denn wir können uns auf die Suche nach Erkenntnissen und Antworten machen, Kontexte strukturieren und die Kraft der Emergenz nutzen, um einen Schritt vor den anderen zu tun, ohne dabei die Offenheit dessen zu vernachlässigen, wofür wir uns verantwortlich erklären. Ein Beispiel dafür ist die Verantwortung, die wir für zukünftige Generationen tragen: Wir wissen nicht mit Sicherheit, welche inhaltlichen Antworten und technischen Lösungen eine Welt der Zukunft für ein Leben in Freiheit, Gesundheit und Sicherheit braucht, aber wir können uns heute bereits Spielregeln geben, mit denen wir die Grundlage dafür schaffen, dass Menschen in der Zukunft diese Antworten finden können. Diesen Gedanken würde Schiller ganz sicher unterstützen und vielleicht sogar noch weiterführen, wenn er heute gefragt würde, welchen Spielregeln eine „ästhetische Erziehung“ des Menschen folgen sollte.

Ina Schmidt, geb. 1973, Studium der Angewandten Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg, Forschung und Lehre am Institut für Philosophie sowie Promotion über den Einfluss der Lebensphilosophie auf das Denken des frühen Martin Heideggers 2004. 2005 Gründung der denkraeume, einer Initiative zur Vermittlung philosophischer Praxis, in der in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt reflektiert und bearbeitet werden. Seit 2010 Autorin verschiedener philosophischer Sachbücher für Erwachsene und Kinder, zuletzt erschienen „So viele Fragen an die Welt“ im Carlsen Verlag (2020) sowie „Die Kraft der Verantwortung. Über eine Haltung mit Zukunft“ in der Edition Körber (2021).

Ina Schmidt ist Mitglied der Internationalen Gesellschaft für philosophische Praxis, Referentin des Expertennetzwerks der Liechtenstein Academy, Teil des Ideenrates am Zentrum für gesellschaftlichen Fortschritt in Frankfurt und Lehrbeauftragte der professional school an der Leuphana Universität Lüneburg. Außerdem arbeitet sie als Referentin für verschiedene Bildungseinrichtungen, u.a. in dem Projekt „Gedankenflieger“ am Hamburger Literaturhaus. Sie ist verheiratet, Mutter von drei Kindern und lebt mit ihrer Familie in Reinbek bei Hamburg.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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