Klimaneutralität: Die Airline muss aufpassen, bei Investoren nicht zu einem „toxischen Asset“ zu werden. - Getty Images, dpa (2), unsplash, Reuters
Premium

Die Lufthansa kämpft um die grüne Zukunft – das sind die drei Hauptrisiken

Wie wird ein Konzern klimaneutral, wenn die Technologie es eigentlich nicht hergibt? Für Europas größte Airline-Gruppe ist das eine Überlebensfrage.

Frankfurt. In der Brust von Carsten Spohr schlagen zwei Herzen. Sosehr der Lufthansa-Chef, Pilot und Wirtschaftsingenieur beim Blick auf neue Jets ins Schwärmen gerät, so nüchtern analysiert der 54-Jährige die Chancen, schon bald Flugzeuge mit CO2-neutralem Antrieb kaufen zu können. Auf absehbare Zeit werde es diese nicht geben, ist der Manager überzeugt. Und damit steckt die Lufthansa in einem Dilemma.

Klimaneutralität – kein anderes Thema beherrscht die Diskussionen in den Führungsetagen der Unternehmen stärker. Viele Branchen haben Hebel gefunden, um dieses Ziel zumindest theoretisch erreichen zu können – die Autobranche etwa die E-Mobilität. Die Stahlbranche setzt auf grünen Wasserstoff, um künftig ihre Hochöfen zu befeuern. In der Luftfahrt fehlt diese klare Alternative. Batterien sind zu schwer und zu wenig leistungsfähig für Verkehrsflugzeuge mit 100 Passagieren und mehr.

An Wasserstoffantrieben für Jets arbeiten Hersteller wie Airbus zwar, aber selbst wenn sich die vielen technischen Probleme lösen lassen: Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis die ersten Wasserstoffjets in Serie gehen. Nicht rechtzeitig, um die Klimaziele zu erreichen: Bis 2030 will die Lufthansa ihren CO2-Ausstoß halbieren, bis 2050 komplett klimaneutral werden, hat Konzernchef Spohr vorgegeben.

Für die Manager von Fluggesellschaften ist das ebenso eine heikle Situation wie für ihre Mitarbeiter und Aktionäre. Noch kann die Branche argumentieren, man sei nur für weniger als drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Aber was ist, wenn die meisten anderen Industrien in einigen Jahren auf nachhaltige Technologien umgestellt haben? Plötzlich ist die Luftfahrt dann einer der großen verbleibenden Verschmutzer. Und zwar ohne technische Alternative, mit der sich das bisherige Kerngeschäft klimaneutral betreiben lässt.

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

Von Tag zu Tag wächst der Druck. Auch Investoren achten verstärkt darauf, dass sie ihr Geld „klimaneutral“ anlegen und ihre Investitionen die sogenannten ESG-Kriterien erfüllen, also bestimmte Standards bei den Themen Soziales, Umwelt und gute Unternehmensführung. „Wenn die Airline-Industrie nicht sehr bald mit Konzepten um die Ecke kommt, mit denen sie es Investoren weiterhin ermöglicht, ESG-konform zu investieren, wird die Industrie ein echtes Problem bekommen“, warnt Peter Smeets, Gründer und CEO der auf Flugzeugfinanzierung spezialisierten 360 Aircraft Finance GmbH (360AF).

Diese Flugzeuge bestellt die Lufthansa

Quelle: Unternehmen
Quelle: Unternehmen

Die Lufthansa muss aufpassen, bei Investoren nicht zu einem „toxischen Asset“ zu werden und in einer Riege mit Tabakkonzernen und den Betreibern von Kohleminen zu landen. „Wir werden die Lufthansa wie alle anderen Unternehmen in Zukunft auch daran messen, wie glaubwürdig und verlässlich sie die Transformation in eine nachhaltige Wirtschaft gestaltet“, machte Michael Gierse, Fondsmanager Union Investment, auf der Hauptversammlung des Konzerns im Mai unmissverständlich deutlich.

Wie führt man ein Unternehmen in die Zukunft, das in absehbarer Zeit klimaneutral werden muss, aber das aus heutiger technischer Sicht gar nicht kann? Spohr setzt dazu auf drei Säulen, die er zunächst dem Aufsichtsrat und danach der Öffentlichkeit präsentierte: erstens die Technologie wie etwa modernes Fluggerät. Zweitens die Infrastruktur, womit vor allem die ausreichende Verfügbarkeit von synthetischem Treibstoff gemeint ist. Sowie drittens die Kompensation von CO2-Emissionen.

Christina Foerster, Vorständin für die Kundenbeziehungen, die IT und das Thema Corporate Responsibility, ist qua Amt für das Thema verantwortlich. Unterstützt wird sie dabei seit Kurzem von Annette Mann, Leiterin des extra geschaffenen Bereichs „Corporate Responsibility“. Detlef Kayser, Chief Operation Officer, kauft die neuen und effizienteren Flugzeuge. Harry Hohmeister, Chief Commercial Officer, steuert wiederum Dinge wie die enge Kooperation mit der Deutschen Bahn, die zunehmend Kurzstreckenflüge ersetzen soll.

Regelmäßig gibt es Workshops für die Vorstände und Manager. „Wir wollen auch bei diesem Thema in unserer Branche führend sein, nicht weil wir müssen. Nicht weil andere es wollen oder fordern. Sondern aus voller Überzeugung“, gibt Spohr die Richtung vor. Doch die Strategie birgt Risiken.

Risiko Nummer eins: Die Finanzierung

Der größte Hebel in Richtung Klimafreundlichkeit ist für Spohr modernes und effizientes Fluggerät. Das verbrennt zwar immer noch Kerosin, aber zumindest weniger davon. 177 Flugzeuge will der Konzern bis Ende 2029 neu in die Lufthansa-Flotte bringen, davon 67 Langstreckenjets. Allein der Flottenumbau bei den Langstreckenflugzeugen führe dazu, dass der Konzern in den nächsten drei Jahren rund 900.000 Tonnen CO2-Emissionen vermeiden könne, rechnet Spohr vor. Das wären immerhin knapp 13 Prozent der Emissionen des gesamten Passagierverkehrs der Lufthansa-Gruppe im vergangenen Jahr.

Doch der Plan ist teuer. „Man muss es sich leisten können“, weiß der Konzernchef. Gleichzeitig seien Hersteller wie Airbus und Boeing nicht mehr so rabattfreudig wie noch zu Zeiten, als die Pandemie den Luftverkehr nahezu komplett lähmte. Für Finanzchef Remco Steenbergen heißt das: Er muss aufpassen, dass die Lufthansa ausreichend Geld für den Kauf oder das Mieten von Flugzeugen parat hat. Bei einer Nettokreditverschuldung von rund neun Milliarden Euro keine einfache Aufgabe.

Der Konzernchef von Europas größter Fluggesellschaft setzt beim Thema Nachhaltigkeit stark auf modernes Fluggerät. - Foto: Reuters
Der Konzernchef von Europas größter Fluggesellschaft setzt beim Thema Nachhaltigkeit stark auf modernes Fluggerät. - Foto: Reuters

Dabei wird die Nachhaltigkeit für die Lufthansa schon ohne den Kauf von neuem Gerät teuer, sollten die Pläne der EU-Kommission für die Luftfahrt umgesetzt werden: eine Quote für die Beimischung von CO2-neutral erzeugtem synthetischem Treibstoff, teurere Emissionszertifikate, also CO2-Verschmutzungsrechte, und möglicherweise eine Kerosinsteuer. Bis 2035 werde das Mehrkosten von 15 bis 20 Milliarden Euro bedeuten, heißt es bei der Lufthansa. Zum Vergleich: Das Investitionsvolumen der Lufthansa in den ersten neun Monaten dieses Jahres betrug knapp eine Milliarde Euro.

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

Risiko Nummer zwei: Die Verfügbarkeit von synthetischem Treibstoff

Seit dem 4. Oktober läuft in Werlte im Emsland die erste Pilotanlage für die industrielle Fertigung von synthetischem Flugzeugtreibstoff, hergestellt aus Biomasse und mithilfe von Windenergie. Die Nonprofit-Organisation Atmosfair hat das Projekt initiiert, zusammen mit Partnern wie dem Energieversorger EWE und der Lufthansa.

Dorothea von Boxberg, die Chefin von Lufthansa Cargo, ist extra zur Eröffnung des Pilotprojekts in den Norden der Republik gereist: „Diese Anlage ermöglicht eine ganz andere Skalierung“, sagt sie in der Hoffnung auf eine großindustrielle Fertigung in naher Zukunft. Auf dem synthetischen Treibstoff ruhen große Erwartungen. Der Vorteil: An den Flughäfen muss dafür kaum etwas umgebaut werden, auch die meisten Triebwerke vertragen den Kerosinersatz.

Bei elf Projekten für synthetischen Treibstoff ist Lufthansa mittlerweile dabei. „Wir sind heute der größte Kunde von synthetischem Kraftstoff in ganz Europa“, betont Spohr. In den kommenden drei Jahren will der Konzern 250 Millionen Dollar in den Kauf des nachhaltigen Kerosins investieren.

Doch bisher gibt es viel zu wenig von dem alternativen Treibstoff. Die Menge, die Lufthansa aktuell abrufen kann, reicht gerade mal für 100 Langstreckenflüge – One Way. „So viele Flüge haben wir normalerweise allein an einem Tag über dem Nordatlantik“, rechnet Spohr vor.

Gleichzeitig versucht Lufthansa, große Unternehmen dazu zu bewegen, bei Dienstreisen künftig auf den synthetischen Treibstoff zu setzen. Mit der Beratungsgesellschaft Kearney hat sich in diesen Tagen ein erster große Kunden dazu bereiterklärt. Es ist die Aufgabe von Vorständin Foerster, mehr davon zu finden. Zum Beispiel mit dem speziellen Angebot „Compensaid Corporate Program“, bei dem Unternehmen ihre Dienstreisen ohne großen organisatorischen Aufwand klimaneutral stellen können, indem sie einen Aufpreis für den Kerosinersatz zahlen.

Das gute grüne Gewissen kostet. Ein Flug One Way von Frankfurt nach New York würde mit SAF zum Beispiel rund 200 Euro mehr kosten. Je mehr Firmen mitmachen, desto stärker kann die Lufthansa die Beimischung des deutlich teureren klimaneutralen Treibstoffs zum Kerosin erhöhen. Das ist wichtig, denn die EU will feste Quoten durchsetzen: 2025 sollen zwei Prozent des nachhaltigen Kerosins verpflichtend beigemischt werden, 2030 sollen es dann fünf Prozent und 2050 63 Prozent sein.

Quelle: Prognose IATA
Quelle: Prognose IATA

Noch ist genug synthetischer Treibstoff da, um interessierte Lufthansa-Kunden zu bedienen. Sollte jedoch ein Run auf das Compensaid Corporate Program einsetzen, könnte schnell ein Engpass entstehen, der für Frust bei umweltbewussten Kunden sorgt. „Wir werden sehen, was schneller steigt: die Nachfrage oder das Hochfahren der Produktion durch die Energieunternehmen. Das Rennen ist eröffnet und nennt sich Marktwirtschaft“, sagt Spohr. Dabei giert nicht nur Lufthansa nach dem Kerosinersatz. Weltweit stürzen sich die Airlines darauf.

Schon 2014 habe man als erste Fluggesellschaft in den synthetischen Treibstoff investiert, heißt es zum Beispiel bei Cathay Pacific. Air France-KLM bezeichnet sich als „Vorreiter“ bei der Nutzung von SAF. Bei Lufthansa werden solche Aussagen müde belächelt. Man habe schon vor zehn Jahren die ersten Flüge zwischen Hamburg und Frankfurt mit einer synthetischen Beimischung durchgeführt, kontert Spohr. Zwischen den Fluggesellschaften ist nicht nur ein Wettrennen um den nachhaltigen Treibstoff entbrannt, sondern auch um das grünste Image – das wiederum darüber mitentscheidet, ob eine Airline vor ESG-bewegten Anlegern bestehen kann oder als toxisches Asset aus dem Aktienportfolio fliegt. Was dann womöglich dazu führt, dass nicht mehr genug Kapital für die klimafreundliche Flottenerneuerung zur Verfügung steht.

Risiko Nummer drei: Die umstrittene CO2-Kompensation

Selbst wenn Lufthansa wie geplant alle neuen Flugzeuge bekommt und es ausreichend synthetisches Kerosin geben sollte, für Spohr steht fest: „Das Ziel von Net Zero bis 2050 oder die Halbierung der Emissionen bis 2030 wird nur mit dem Hilfsmittel der Kompensation zu erreichen sein.“

Doch die Kompensation von klimaschädlichen Emissionen etwa durch das Pflanzen von Bäumen steht in der Kritik. Denn es ist ein bilanzieller Klimaschutz, kein echter, weil keine Emissionen reduziert oder vermieden werden. Bäume sterben und verfaulen irgendwann oder verbrennen. Dabei setzen sie das zuvor gebundene CO2 wieder frei.

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann Unternehmenskunden und Investoren diese Form des Ablasshandels nicht mehr akzeptieren werden. Spohr hält mit dem Verweis auf Ehrlichkeit gegen: „Wir müssen nun mal akzeptieren, dass Verkehrsflugzeuge mit 100 und mehr Sitzen auch in den nächsten Jahrzehnten mit Motoren betrieben werden, die Kerosin verbrauchen“, sagt er „Zwar ist zusätzliche Kompensation nicht das Gleiche wie Vermeidung von CO2-Emissionen, aber besser als nichts.“

Ob solche Argumente dauerhaft verfangen, ist offen. Brett Mitsch, Executive Director von Envest, einer auf Klimaschutzstrategien spezialisierten Beratung, spricht beim Thema Nachhaltigkeit mittlerweile von einer existenziellen Frage für Fluggesellschaften. Gemeinsam mit dem Marktforschungsunternehmen Centre of Aviation (CAPA) untersuchten die Experten von Envest die Emissionen von 52 Fluggesellschaften aus aller Welt und verglichen die Klimaschutzstrategien mit den Anforderungen etwa der Kunden.

Das erschreckende Ergebnis: Während viele Airlines wie auch Lufthansa erst bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden wollen, haben die 100 größten Unternehmen der Welt mit dem bisher meisten Geschäftsreiseverkehr festgelegt, dieses Ziel selbst schon zwischen 2025 und 2030 erreichen zu wollen. Die Autoren der Studie warnen: Fluggesellschaften, die ihre Emissionen nicht schnell genug reduzieren würden, könnten scheitern.

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

Mehr:Lufthansa-Chef Carsten Spohr: „Uns bleibt dreimal so viel Liquidität wie vor der Krise“

Die Lufthansa kämpft um die grüne Zukunft – das sind die drei Hauptrisiken

Premium

Diese Inhalte sind für Premium-Mitglieder inklusive

Der Zugang zu diesem Artikel und zu vielen weiteren exklusiven Reportagen, ausführlichen Hintergrundberichten und E-Learning-Angeboten von ausgewählten Herausgebern ist Teil der Premium-Mitgliedschaft.

Premium freischalten

Handelsblatt schreibt über Substanz entscheidet

Das Handelsblatt ist das führende Wirtschaftsmedium in Deutschland. Rund 200 Redakteure und Korrespondenten sorgen rund um den Globus für eine aktuelle, umfassende und fundierte Berichterstattung. Über Print, Online und Digital kommunizieren wir täglich mit rund einer Million Leserinnen und Lesern. NEU: Diese Seite bietet Premium-Mitgliedern eine Auswahl der besten Artikel vom Handelsblatt direkt hier.

Artikelsammlung ansehen