Wolf-Dietmar Unterweger

Die Menschheit braucht lokale Antworten auf globale Probleme

Gute Geschichten, die Sinn stiften, sind das Feuer, das wir einander überreichen. Ihr Wert liegt in der Bedeutung, die sie generieren. Sie sind überzeugender und nachhaltiger als Daten und Fakten. Junge Menschen kennen vielleicht Bilder von Bauernhöfen, wissen aber oft nichts über den Kontext. Da sie nicht von einer Welt geprägt werden, die auf dem Erzählen von Geschichten basiert, ist es ihnen kaum möglich, den Dingen „auf den Grund“ zu gehen und die Zusammenhänge zu verstehen.

2015 plädierte die Journalistin Tanja Busse in ihrem Buch „Die Wegwerfkuh“ dafür, die kollektive Sehnsucht nach einem intakten Landleben, die sich in einem Bauernhof manifestiert, mit zu „verkaufen“: „Nicht als aufgesetztes und durchschaubares Marketing, sondern – vorgelebt.“ Statt eines inszenierten Werbefilms, sollte eine wahrhaftige Geschichte glaubhaft erzählt werden. Denn Fakten allein können unser Herz nicht erreichen – und das ist besonders wichtig, wenn es darum geht, uns und andere zu bewegen: „Wir brauchen starke Bilder im Kopf, wie wir uns Ernährung und Landwirtschaft in der Zukunft vorstellen und welche Rolle wir alle dabei spielen möchten.“

Das ist auch ein wichtiges Anliegen des Projekts „Ab jetzt rette ich die Welt! Kinder übernehmen Verantwortung“: Der Dudenverlag, der VfL Wolfsburg und die memo AG haben kürzlich ein kostenloses Sonderheft aus der Duden-Reihe „Weltenfänger“ herausgegeben. Das 40-seitige Heft erklärt Kindern ab acht Jahren, wie sie ihren Alltag nachhaltiger gestalten können und bietet dazu leicht umsetzbare Anregungen. Unter anderem widmet es sich auch dem „Leben an Land“. Darin heißt es beispielsweise: „Oft werden auf den Feldern über Jahre immer nur die gleichen Sorten angebaut. Um die Pflanzen vor Schädlingen zu schützen, werden Pflanzengifte gespritzt. Dadurch sammeln sich Schadstoffe im Boden an und viele Pflanzen und Tiere sind vom Aussterben bedroht.“ Gezeigt wird, dass es auch Bäuerinnen und Bauern gibt, die einen anderen Weg gehen.

Ein solcher Weg in Bildern wird auch im Buch „ECHTE BAUERN retten die Welt!“ präsentiert. Anspruch ist es auch hier, den freien, kindlichen Forschergeist zu wecken, der nach John Steinbeck „das wertvollste Gut der Welt ist.“ Das Buch bewertet und rechtfertigt nicht, sondern erzählt Geschichten über die nachhaltige tausendjährige Bauernkultur und lässt ihre emotionale Wirkung durch die großformatigen Bilder des Naturfotografen Wolf-Dietmar Unterweger nachhallen. Er reist seit über 30 Jahren durch Europa und fotografiert Spuren einer bäuerlichen Landwirtschaft, die er so vor der "Agrar-Industrialisierung" in den 1960er-Jahren kannte. Aus 400.000 Bilden wurden nun die eindrücklichsten herausgearbeitet.

Präsentiert werden aber auch Knechte, Mägde, ländliche „Originale“ und Bauern, die noch mit Zugtieren pflügen und die Ernte einbringen. Ihre Arbeiten im Jahreskreis stehen ebenso im Mittelpunkt wie das Tierleben auf dem Hof, die Bauernhäuser, Bauerngärten, Streuobstwiesen, Feldraine, Hecken, die ganze bäuerliche Kulturlandschaft und Wohnkultur: „Gebäude, die sogar im Verfall noch mehr Würde und Schönheit besitzen, als all das, was uns die industrielle Architektur liefert und als Zukunft verkauft. Wie werden die Wellblechverhaue, Würfel und Klötze wohl aussehen, wenn die synthetischen Dämmstoffe aus Ritzen hervorquellen, wenn der Wund an den Kunststofffenstern rüttelt, die Plastikleisten zersplittern, vergilben und von Wind und Wetter unverrottbar in der Landschaft verteilt werden?“

Schönheit und Nachhaltigkeit sind hier ein wichtiger Aspekt – ganz im Sinne des britischen Malers, Architekten, Dichters, Kunstgewerblers, Ingenieurs und Druckers William Morris, der hat einmal gesagt hat: „Habe nichts in deinem Haus, von dem du nicht glaubst, dass es nützlich oder schön ist.“ Die Bilder werden durch Texte von Philipp Unterweger ergänzt: Sie verbinden traditionelles Wissen mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Er interessierte sich schon während seiner Schulzeit für Biologie, Ökologie und Gartenbau. Sein Zivildienst auf einem Biolandbauernhof verstärkte seine Überzeugung in der Arbeit mit ökologischen Zusammenhängen. Er studierte Biologie, Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität Tübingen und beschäftigte sich auf vielen Exkursionen und Reisen mit der biologischen Vielfalt in Schutzgebieten und in vom Menschen genutzten Kulturlandschaften und Ökosystemen.

In seinem vielfach ausgezeichneten Forschungsprojekt „Initiative Bunte Wiese“ kombinierte er die praktischen Ansätze einer Nichtregierungsorganisation (NGO) mit den wissenschaftlichen Fragestellungen der Biodiversitäts- und Sozialforschung. Dabei lagen seine Schwerpunkte in der Akzeptanz von Naturschutzmaßnahmen bei der Bevölkerung und in der wissenschaftlichen Untersuchung von verschiedenem Grünlandmanagement auf die Insektenpopulationen.

Diese Forschung lieferte umfangreiche Ergebnisse, die die Wiesen in der Stadt und auf dem Land durch angepasste Pflege und optimierte Öffentlichkeitsarbeit zur Verminderung des Insektensterbens und zur Steigerung der biologischen Vielfalt optimieren können. Mit diesem Angebot möchte er Menschen ermutigen, sich an einer zukunftsfähigen Gesellschaft mit Mut, Idealismus und Herzblut zu beteiligen und die Welt friedlich, menschenfreundlich ökologisch und mit Respekt vor der Umwelt zu gestalten.

Dem Buch vorangegangen ist das dreibändige Monumentalwerk von Wolf-Dietmar Unterweger „Die Bauern“, aus dem Vater und Sohn einen gekürzten Band vorgelegt haben. Bestehende Fotografien aus „Die Bauern“ wurden mit neuen Fotos von Philipp Unterweger aus vielen europäischen Ländern ergänzt und erweitert. Das Buch steht für „eine Landwirtschaft in bäuerlichen und kleinbäuerlichen Strukturen mit vielfältigen Aufgaben als Produzent von Biodiversität, Schönheit, Kultur, Kunst, Arbeitsplätzen, lebensfreundlicher Umwelt, Tradition, Heimat, Gerechtigkeit, unbelasteten, gentechnikfreien Futter- und Lebensmitteln und als Garant einer sozial, wirtschaftlich, ökologisch nachhaltigen Lebensmittelversorgung und einer Zukunft ohne Hunger.“

Etwa 5000 weitere schließen derzeit jährlich – Tendenz steigend. Doch die Welt braucht regionale Lösungen, um die globalen Probleme richtig meistern zu können. Die Unterwegers sind davon überzeugt, mit ihrem Vater-Sohn-Generationenprojekt einen Beitrag dazu zu leisten und möchten Transformationsprozesse anstoßen und inspirieren. Und sie sind sich sicher, dass globale Herausforderungen für ein friedliches und gerechtes Zusammenleben auf diesem Planeten nur durch kleinbäuerliche Strukturen gewährleistet werden können – mit einem gesunden Boden, der die Grundlage aller Landwirtschaft ist.

Leider könnte das in den nächsten Jahren zum Problem werden, denn schwermetallhaltige Dünger, Pestizide, ein exzessiver Stickstoffeintrag, Rückstände von Antibiotika und anderen Medikamenten belasten unsere Böden. Zudem zielen seit Jahrzehnten die Akteure des industriellen Agrarmodells darauf ab, bäuerliche Saatgutsysteme durch industrielle Saatgutsysteme zu ersetzen, was mit einer Vereinheitlichung der Landwirtschaft verbunden ist und mit dem weltweiten Verlust der Kulturpflanzenvielfalt einhergeht. Die Konzentration der Konzerne richtet sich auf jene Arten, mit denen sie die größten Profite machen können. „Ernährungssouveränität setzt Nahrungsmittelvielfalt und diese Saatgutfreiheit voraus“, schreiben die Autoren, für die Kleinbauern Kultur- und Friedensstifter in einem Netzwerk der Menschlichkeit sind.

Weiterführende Informationen:

Echte Bauern

Interview mit Dr. Wolf-Dietmar Unterweger und Dr. Philipp Unterweger

  • Tanja Busse: Die Wegwerfkuh. Wie unsere Landwirtschaft Tiere verheizt, Bauern ruiniert, Ressourcen verschwendet und was wir dagegen tun können. Karl Blessing Verlag, München 2015.

  • Bobette Buster: Story. Wie man eine Geschichte richtig erzählt. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2018.

  • Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

  • Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gartenzeit: Wie wir Natur und Kultur wieder in Gleichklang bringen. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

  • Christiane Griffe: Die Letzten ihrer Art. In: DIE ZEIT (2.5.2019), S. 31.

  • Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.

  • Alan Moore: Design. Warum das Schöne wichtig ist. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2018.

  • Wolf-Dietmar und Philipp Unterweger: ECHTE BAUERN retten die Welt! Leopold Stocker Verlag, Graz 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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