Die Natur macht es vor: So entwickeln Sie eine positive Fehlerkultur im Unternehmen
Die beste Mitarbeiterin erkrankt schwer und fällt monatelang aus. Ein Change-Projekt scheitert am Widerstand der Mitarbeiter. Die vielversprechende Neubesetzung im Vorstand erweist sich als Vollkatastrophe.
Unschöne Szenarien, die Unternehmen in ernste Schwierigkeiten bringen können. Umso wichtiger ist es, für den Fall der Fälle einen Plan B in der Hinterhand zu haben. Glauben Sie mir: Sie werden ihn brauchen. Denn eines ist klar: Shit happens, Fehler passieren. Sie tun gut daran, diese nicht um jeden Preis vermeiden zu wollen, sondern sie zu erwarten – und sich proaktiv auf Fehler vorzubereiten. Denn nur so lässt sich eine Fehlerkultur entwickeln, die Ihr Unternehmen als Ganzes widerstandsfähiger macht. Ein Blick in die Natur – genauer gesagt in unseren eigenen Körper – zeigt Ihnen, wie Sie dabei vorgehen können. Denn mit dem Blutgerinnungssystem verfügen wir über einen unglaublich effektiven Mechanismus, der Fehler und Unfälle einkalkuliert – und im Notfall blitzschnell Gegenmaßnahmen einleitet.
Dieser Beitrag gehört zu meiner 6-teiligen Natur-Reihe. Hier zeige ich Ihnen, wie die Natur – das erfolgreichste Unternehmen der Welt – als Vorbild für erfolgreiche Unternehmensführung dienen kann. Sie möchten noch tiefer ins Thema einsteigen? Am 16. Oktober 2025 erscheint mein neues Buch „Nature, Inc. – das erfolgreichste Unternehmen der Welt“. Hier beleuchte ich viele weitere Best Practice Beispiele aus der Natur – und zeige Ihnen, wie diese Ihren Führungsalltag bereichern können.
Blutgerinnung – der Überlebensmodus der Natur
Der menschliche Körper ist ein echtes Wunder. Besonders fasziniert mich, als studierte Biologin, seit jeher die Arbeit des Blutgerinnungssystems. Kommt es zu einem unvorhergesehenen Unfall, werden sofort Notfallmaßnahmen eingeleitet, um das Überleben zu sichern. Wobei: „unvorhergesehen“ ist das falsche Wort. Denn die Natur lässt sich von Unfällen oder Fehlern nicht überraschen. Sie kalkuliert sie ein. Das Blutgerinnungssystem ist einzig dafür da, blitzschnell auf Verletzungen reagieren zu können. Schon ein kleiner Schnitt – etwa beim Gemüseschneiden – setzt den komplexen Mechanismus in Gang. Sehr vereinfacht heruntergebrochen passiert jetzt Folgendes:
Mit dem Blut werden Krankheitserreger und sonstige Fremdkörper aus der Wunde gespült.
Die Muskulatur der geschädigten Gefäßwand zieht sich zusammen, sodass die Wunde so klein wie möglich bleibt.
Blutplättchen sammeln sich und bilden ein Pfropfen, um das Loch in der Gefäßwand provisorisch zu stopfen.
Bestimmte Proteine – die Gerinnungsfaktoren – sorgen letztlich dafür, dass sich ein Netz aus Fibrinfasern bildet. Dieses verschließt die Wunde dauerhaft.
Der Prozess der Blutgerinnung wird gestoppt und der Köper schaltet wieder in den Normalmodus.
Von der Blutgerinnung zur positiven Fehlerkultur im Unternehmen
Das Blutgerinnungssystem ist ein Paradebeispiel für einen produktiven Umgang mit Fehlern. Genau deshalb greife ich auch in meinem Führungskräfte-Coaching gerne veranschaulichend auf diesen Prozess zurück. Nämlich immer dann, wenn ich merke, dass sich Klienten auf das Vermeiden von Fehlern versteifen – und am Ende heillos überfordert sind, wenn doch mal etwas schiefgeht. Und seien wir ehrlich: Gerade wir Deutschen neigen zum Perfektionismus. Auch viele C-Level, Geschäftsführer und Vorstände planen Projekte und Aufgaben gerne bis ins kleinste Detail. Und sitzen dabei dem – in der Praxis doch eigentlich immer wieder widerlegten – Irrglauben auf, eine perfekte Planung führe auch zu einer fehlerlosen Umsetzung. Am Ende kommt es dann, wie es kommen muss. Passiert ein Fehler, sind die entstehenden Mehrkosten, die zusätzliche Arbeitszeit, der höhere Aufwand nicht eingeplant. Im schlimmsten Fall kann dieser fehlende Puffer sogar existenzbedrohend werden.
Daher lautet mein Appell an Sie: Nehmen Sie sich ein Beispiel an Ihrem Körper – und etablieren Sie in Ihrem Unternehmen oder Team ein eigenes Blutgerinnungssystem. Soll heißen: Entwickeln Sie eine positive Fehlerkultur, die nicht auf Perfektion setzt. Sondern Fehler vorausschauend einkalkuliert. Das Beste: Bei der Umsetzung können Sie sich ganz einfach die Arbeit des Blutgerinnungssystems zum Vorbild nehmen.
Positive Unternehmenskultur etablieren – in 3 Schritten
Der Mechanismus des Blutgerinnungssystems ist hochkomplex. Letztlich laufen dabei 18 Schritte ab, die alle miteinander in Wechselwirkung stehen. Im Kern lassen sich die Prozesse und Ablauffolgen aber auf drei grundlegende Schritte reduzieren:
Fehler werden erwartet, statt vermieden.
Das höchste Ziel wird bestimmt.
Das höchste Ziel wird abgesichert.
Dieses Notfall-Prinzip können Sie ohne Weiteres als Blaupause für die Etablierung einer positiven Fehlerkultur im Unternehmen nehmen.
1.) Erwarten Sie Fehler, statt sie zu vermeiden
In so gut wie jedem Projekt passieren Fehler. Und das ist auch gut so. Der Psychologe, Autor und Professor Laurence Johnston Peter, Erfinder des berühmten Peter-Prinzips, drückte es mal folgendermaßen aus:
„Fehler vermeidet man, indem man Erfahrung sammelt. Und Erfahrung sammelt man, indem man Fehler macht.“
Besser hätte ich es nicht formulieren können. Letztlich geht es darum, konstruktiv und offen mit Fehlern umzugehen. Das heißt:
Gehen Sie davon aus, dass Fehler passieren. Immer.
Bereiten Sie sich auf Fehler und Störungen vor, in dem Sie den Worst Case durchspielen.
Erarbeiten Sie die Grundlagen für ein Sicherheits- und Reparatursystem, sodass Ihr Team/Projekt/Unternehmen bei Fehlern nicht „verblutet“.
Fallbeispiel: Wenn der wichtigste Mitarbeiter ausfällt
Dass es für die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens essenziell sein kann, mit Unvorhergesehenem zu rechnen, musste auch eine Klientin von mir feststellen. Hannah A., die Leiterin eines IT-Unternehmens, musste plötzlich eine schwerwiegende Erkrankung ihres besten Mitarbeiters verdauen. Ein Herzinfarkt sorgte für einen monatelangen Ausfall. Damit war auch das Beratungsteam, das er führte, auf einen Schlag handlungsunfähig. Zudem begann ein Großkunde, der von dem Mitarbeiter betreut wurde, Druck zu machen und zu drohen. Nach vielen Krisengesprächen schließlich fand Hannah einen geeigneten Ersatz für ihren bis dato besten Mann – und brachte ihr Unternehmen damit wieder auf Kurs. Ihr Learning:
„Zukünftig werde ich bei jedem Projekt regeln, wer im Notfall einspringen kann, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert.“
2.) Bestimmen Sie das höchste Ziel
Wenn irgendwo im Unternehmen ein Fehler passiert, neigen Entscheider zu einem höchst zweifelhaften Vorgehen. Fast nahtlos werden Fehler haarklein analysiert. Es werden Schuldige gesucht. In der Führungsebene wird sich die Schuld gegenseitig in die Schuhe geschoben. Und im Zweifelsfall wird ein Sündenbock gefunden. Das alles kostet Zeit. Zeit, in denen Ihr Unternehmen langsam verblutet.
Würde die Natur genau so reagieren, würde uns schon ein einfacher Schnitt beim Gemüseschneiden das Leben kosten. Blutstropfen für Blutstropfen. Gut also, dass es der Natur ziemlich egal ist, ob Sie sich beim Schnippeln haben ablenken lassen. Oder, ob womöglich das Messer einen Produktionsfehler hatte.
Im Falle eines Fehlers, der zu einer plötzlichen Krise führt, sollten Sie es genauso handhaben. Vergessen Sie die mühsame Suche nach „Ursachen“ oder „Schuldigen“. Dafür haben Sie später noch genug Zeit. Stattdessen konzentrieren Sie sich JETZT! auf das höchste Ziel: Überleben!
Fallbeispiel: Das „heiße Kartoffel-Spiel“
Ein Negativbeispiel für eine schädliche Fehlerkultur berichten mir Klienten in meinen Coachings immer wieder: Es sind Varianten des „heiße Kartoffel-Spiels“. So jedenfalls nannte es Albert U., der neu als Führungskraft ins C-Level aufgestiegen war. Er stellte fest, dass im Top-Management Fehler wie heiße Kartoffeln behandelt wurden. Wer die heiße Kartoffel in den Händen hält, hat Schuld. Und läuft Gefahr auch künftig der Sündenbock für ALLES zu werden. Deshalb will jeder die heiße Kartoffel so schnell wie möglich weiterreichen. Peter drückte es so aus:
„Sobald du die heiße Kartoffel in den Händen hältst, tut es weh. Es geht darum, sie schnellstmöglich wieder loszuwerden. Denn du willst auf keinen Fall verantwortlich sein. Das Problem ist nämlich, hast du einmal einen Fehler eingestanden und damit die Kartoffel in den Händen gehalten, wirst du künftig für jeden Mist verantwortlich gemacht.“
In dieser Zeit geht es also gar nicht um die Behebung des Fehlers, sondern um Schuld. Und dieser Prozess kostet wertvolle Ressourcen, die das Unternehmen teuer zu stehen kommen können.
3.) Sichern Sie das höchste Ziel ab
Zurück zur Natur: Sobald nach einer Verletzung das höchste Ziel bestimmt ist (Überleben!), geht es darum dieses Ziel mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu erreichen. Diesem Ziel wird alles untergeordnet und der Prozess der Blutgerinnung gestartet. Und zwar nicht irgendwie, sondern nach klar definierten Regeln bzw. 18 aufeinanderfolgenden Schritten.
Auch in einem Unternehmen braucht es zur Fehlerbewältigung klare Spielregeln. Das gilt auch für die Fehlerkultur im Unternehmen selbst. Eine mögliche Regel in diesem Zusammenhang könnte lauten:
„Fehler passieren und werden nicht unter den Tisch gekehrt. Passiert ein Fehler, wird dieser sofort dem Vorgesetzten mitgeteilt, sodass unverzüglich Maßnahmen getroffen werden können.“
Gute Führung bedeutet, Regeln wie diese in Ihrem Team zu etablieren. Und zwar so, dass sie wirklich ALLE Beteiligten aus dem EffEff beherrschen. Das klingt trivial. Schließlich wissen Sie als gestandene Führungskraft meist, was im Notfall zu tun ist. Für Ihre Mitarbeiter, die in ihrem Berufsalltag ganz andere Aufgaben haben, ist das allerdings meist nicht so offensichtlich.
Mein Tipp: Trainieren Sie ab und an den Ernstfall auf Basis der aufgestellten Regeln. Dann kommt Ihr Notfall-Mechanismus bald genauso schnell in Gang wie die Blutgerinnung.
Fallbeispiel: Wenn klare Spielregeln fehlen
Eine positive Fehlerkultur im Unternehmen ohne klare Spielregeln zu erreichen, ist fast unmöglich. Gerade den „Low Performern“ im Team, die in der Vergangenheit häufiger durch Fehler aufgefallen sind, mangelt es manchmal schlicht an eindeutigen Regeln. Das stellte auch meine Klientin Erika R. fest. Diese hatte ihre Stelle gerade neu angetreten und von ihrem Vorgänger eine „Abschussliste“ mit untauglichen Mitarbeitern bekommen. In persönlichen Mitarbeitergesprächen fand Erika allerdings heraus:
„Die sind extrem kompetent, doch sie kennen die Ziele nicht. Sie sind absolut verunsichert, weil sie gar nicht wissen, was man von ihnen erwartet.“
Also kommunizierte Erika in der Folge klare Ziele und Erwartungen und stellte eindeutige Spielregeln auf. Die Folge: Aus den Low Performern wurden echte Leistungsträger.
Herzliche Grüße
Gudrun Happich
P.S.: Zu genau diesem Thema erscheint am 16. Oktober 2025 mein neues Buch Nature, Inc. – Das erfolgreichste Unternehmen der Welt im Campus Verlag. Ich stelle Ihnen darin einen zukunftsweisenden Ansatz vor, der die Natur als Erfolgsmodell nutzt. Sichern Sie sich bereits jetzt Ihre kostenfreie Leseprobe: https://bit.ly/3GvOT0c
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