Die neue Sinnstiftung: Haben Glaubensästhetik und Warenästhetik denselben Anspruch?
Die Zukunft der Gotteshäuser
Konferenzraum, Restaurant, Lounge-Bildergalerie, Business- und Conference-Center, Bar und Café, Konzertsaal, Modeboutique? Die Zukunft und künftige Nutzung von Gotteshäusern, dessen Erhalt viele Kirchengemeinden wegen des dramatischen Rückgangs der Kirchensteuereinnahmen nicht mehr finanzieren können, ist heute vielfältig. Doch was tun mit den Gebäuden? Schlagzeilen wie „Kirchensterben - Deutschland schleift seine Gotteshäuser“ oder „Gott zieht aus“ häufen sich. Viele Kirchen wurden aufgrund von Gläubigen- und Priestermangel oder einer veränderten Bevölkerungsverteilung zwischen Stadt und Land bereits aufgegeben. Eine normale Weitervermietung ist nicht möglich. Die Profanierung (von lateinisch profanus, "vor dem Heiligtum") beschließt der Bischof mit Zustimmung des Kirchenrats. Sie geschieht nach einer Messe, in der das Dekret des Bischofs verlesen wird. Die Gemeinde zieht als Prozession aus. In der evangelischen Kirche gibt es keine Profanierung, weil Räume nicht geweiht werden. Hier wird von „Entwidmung“ gesprochen, die ebenfalls nach Gottesdienst und Auszug der Gemeinde erfolgt.
Ende November 2018 organisierte der Vatikan einen internationalen Kongress mit dem Titel „Wohnt Gott hier nicht mehr?“, der sich mit der Aufgabe von Kirchengebäuden und einem nachhaltigen Umgang mit kirchlichen Kulturgütern befasste. Im Vorfeld wurden Gläubige eingeladen, umgewidmete Kirchen, die auf positive Weise genutzt werden, zu fotografieren und die Bilder auf der Fotoplattform „Instagram“ hochzuladen. Damit verbunden war der Wunsch, Möglichkeiten vorzustellen, „wie die historische, gesellschaftliche und sakrale Bedeutsamkeit der ehemaligen Kirchengebäudeerhalten werden kann.“ Ergebnis des Kongresses sind 14-seitige Leitlinien des Päpstlichen Kulturrats, die darauf zielen, dass ehemalige Kirchen nicht zu Nachtklubs oder Restaurants werden sollten. Neben einer angemessenen Weiternutzung wird auch empfohlen, die Umnutzung gemeinsam mit der Kirchengemeinde zu planen. Verkauf sollte nur als letzte Lösung in Betracht gezogen werden.
Wenn das Gebäude profaniert ist, verliert die Kirche ihren heiligen Status - und Religionsbehörden verlieren ihre Kontrolle darüber
Kirchenvertreter verweisen darauf, die sakralen Gebäude nicht zu behandeln wie eine gewöhnliche Immobilie. Denn jede Kirche ist „Ad Majorem Gloriam Dei“ gebaut und stiftet als religiöses Abbild Sinn. Ernst Bloch sagte einmal, dass es beim Kirchenbau um die Ästhetik des Erhabenen und „den Glanz dahinter“ geht. Das unterscheidet Gotteshäuser von vordergründigen Zweckbauten wie Warenhäuser oder Kinos. Bei der Umnutzung und Neuinterpretation sollte deshalb dieser „Mehrwert“ berücksichtigt werden.
Kirchen üben aufgrund bestimmter architektonischer Spezifika konkrete Wirkungen auf die menschliche Wahrnehmung und speziell das Gehirn aus. Das hat die Hirnforschung erkannt und macht es sich für die Umnutzung bestehender Kirchen für kommerzielle Zwecke zunutze. „Reinkommen und wohlfühlen“, das ist laut Werbeaussagen stets das Ansinnen von Geschäften, Restaurants und Hotels. Dabei geht es auch um die Frage, welche Lösungswege am besten passen (z.B. Corporate Design, Ladenlayout, Interior, Sinne und Wahrnehmung, Lichtkonzeption, Audiokonzeption, Duftkonzeption, haptische Konzeption). Mit allen Sinnen zu handeln ist eine zentrale Aufgabe und Chance in der Bemühung um positive Kundenentscheidungen. Die katholische Kirche ist dabei wegweisend. So werden beim Betreten einer Kirche sofort alle Sinne angesprochen (Musik, Weihrauch, Kunst, Riten), und es werden wesentliche Elemente des modernen Marketings genutzt: „Testimonials“, die die Markenbotschaft verbreiten, das Kreuz als einprägsame erfolgreiche „Marke“.
Die Kirche als Gotteshaus, Versammlungsort der Gemeinde, des Gebetes und der Sinnsuche ist ein Ort geheimnisvoller Gegenwart – ein Raum, der Menschen aufnimmt und getrennt ist von üblichen Räumen und Orten. Dieser Ort ist so gestaltet, dass er den Besuchern hilft, sich dem „Anderen“ zu öffnen. Ein wesentliches Element ist dabei auch das Licht: das dunkle und mystische und das hell flutende. Es wird durch die Fenster eingelassen – nicht ungestaltet, sondern immer gefiltert. Die besondere Atmosphäre wird durch gegenständliche Bilder der Heilsgeschichte unterstützt. Hinzu kommt die Innenausstattung, zu der auch das Chorgestühl bzw. die Kirchenbänke gehören. Insgesamt lädt die Atmosphäre dazu ein, die innere Haltung und „Aufmerksamkeit des Herzens“ zu fördern und sich selbst zu erneuern. Was hier hervorgebracht wird ist „schön“ (von „schauen“), womit der Sinnesbezug angesprochen ist.
Glaubensästhetik und Warenästhetik haben denselben Anspruch, der auch in Läden genutzt wird
Produkte mit Emotionen zu verbinden, verbessert nicht nur die menschliche Wahrnehmung, sondern auch das Gedächtnis. Die Kirchenarchitektur mit ihrer verstärkenden Präsenz erzeugt Affekte und vermittelt Werte, die hier dauerhaft und bildhaft vorgeführt zu sehen. Ein Beispiel für die Umwandlung einer Kirche zu einer Shopping Mall ist Limelight in New York in den 1980-er Jahren: Hier flossen etwa 20 Millionen Dollar in den Umbau eines Kirchengebäudes. Architekt und Designer war James Mansour, dem sehr daran gelegen war, die ursprüngliche sakrale Architektur zu zeigen: Mit großem Aufwand wurden die Kalksteinwände freigelegt, sakrale Mosaik-Fenster erneuert, ein Lüster als Highlight integriert und der labyrinthähnliche Aufbau der Mall als typisches Kennzeichen kultiviert, damit der auf Abwechslung geeichte Metropolenkunde auch hinter jeder Ecke etwas Neues entdeckt.
Dass das Restaurantkonzept in einem Sakralbau funktionieren kann, zeigen folgende Beispiele: Im australischen melbourne baute das Architekturbüro Magnato eine Kirche aus dem Jahr 1892 in ein luxuriöses Wohnhaus um. In der ehemaligen evanglischen Kreuzkirche in Köln befindet sich seit 2010 eine Jugendherberge. In Maastricht nutzt das Kruisherenhotel das frühere Klostergebäude aus dem 15. jahrhundert. Das Konzept wurde von Designern wie Philippe Starck und Ingo Maurer erstellt. Das Restaurant „Hopper“ im Belgischen Viertel in Köln ist in einer früheren Kapelle untergebracht. 2005 entstand in Maastricht das „Kruisherenhotel“ aus einem ehemaligen Kreuzherrenkloster. Im gleichen Jahr wurde die die im neogotischen Stil erbaute ehemalige evangelische Bielefelder Martinikirche in das Sternerestaurant "Glückundseligkeit" umgewandelt. Es entstand ein einmaliges Gastronomieprojekt, das in verschiedene Bereiche gegliedert ist und dem Gast immer wieder neue Perspektiven bietet: Im Hauptschiff verbinden sich Modernität und Tradition im sakralen Raum zu einem stilvollen Ensemble. Im leicht erhöht gelegenen Chor am Ende des Hauptschiffes ist ein Loungebereich eingerichtet.
Wer die Nutzung eines Kirchengebäudes vor diesem Hintergrund nur als Dekoration wahrnimmt, hat das Konzept, das sich dahinter verbirgt, nicht verstanden. Denn Neuromerchandising gibt der emotionalen Nachhaltigkeit einen Rahmen, der Sinn und Sinne gleichermaßen umfasst. Glaube und Genuss müssen sich nicht ausschließen.