Die Rückkehr der Seifenstücke: Warum Weltverbesserung in unseren Händen liegt
Seifenstück oder Seifenspender? Mehr Nachhaltigkeit und der Verzicht auf Plastik lässt feste Seife gerade eine Renaissance erleben. Immer mehr Hersteller wissen den Trend zu nutzen.
Die Herstellung handwerklicher Dinge, die Schönheit und Nutzen in die Welt bringen, erleben derzeit eine Renaissance. Das fein verpackte Stück Seife, das so etwas wie die „Urform der Körperpflege“ ist, wird gerade zum neuen Statussymbol in privaten Badezimmern. Der Philosoph Ralph Waldo Emerson sagte, dass uns die Frage nach der Schönheit weg von den Oberflächen und hin zum Nachdenken über die grundlegenden Eigenschaften der Dinge führen würde. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn wir uns auf unsere alten Wurzeln des Selbermachens besinnen, denn die Beherrschung eines Handwerks bedeutete eine Partnerschaft mit Werkzeugen, Materialien und Abläufen.
Greifbare Geschichte
Vielleicht funktionieren die „neuen“ Seifenstücke gerade wegen ihrer Verbindung zum Althergebrachten, denn Seifensiederei ist ein traditionsreiches Handwerk mit Geschichte: Seifen, wie wir sie heute kennen, gab es bereits im 7. Jahrhundert nach Christus in Aleppo: Handwerkern der Region gelang es, die bis dahin gängige Schmierseife weiterzuentwickeln. Sie verkochten Olivenöl in großen Kesseln mit Lauge und fügten Lorbeeröl hinzu. Nach dem Sieden wird die Paste auch heute noch gleichmäßig in flache Becken gegossen und auf dem Boden verteilt, wo sie erhärtet. Dann werden die Seifenblöcke von Hand geschnitten und mit einem Stempel des Herstellernamens versehen. Anschließend werden die Blöcke gestapelt und bis zu neun Monate getrocknet. Das macht sie fester, ergiebiger und lagerfähig. Dann ist die Seife an der Oberfläche ockerfarben, im Inneren jedoch weiterhin olivgrün. Theoretisch kann die Seife dann Jahrzehnte trocken gelagert werden, ohne an Qualität zu verlieren.
Von Aleppo aus kamen die festen Seifenstücke zunächst zum angrenzenden Orient, dann nach Europa und schließlich in die ganze Welt. Im frühen 20. Jahrhundert gab es einen wirtschaftlichen Einbruch, weil der arabische Markt mit Massenware aus Europa geflutet wurde. Erst mit dem Trend zu Bioprodukten und Naturkosmetik wurde die Aleppo-Seife, die ohne Palmöl oder künstliche Inhaltstoffe hergestellt wird, von den Europäern wiederentdeckt. Sie ist heute in deutschen Naturkostläden, in Bio-Läden, Reformhäusern, Apotheken und Drogerien erhältlich.
Kaum ein anderer Ort steht für den Krieg in Syrien wie die Region und gleichnamige Stadt Aleppo. Es ist die Heimat von Talal Anis und seinem Bruder Feras. Beide betreiben dort in dritter Generation eine Seifensiederei. Talal floh allerdings 2012 mit seiner Familie nach Gaziantep, das auf türkischem Bodenliegt, geografisch jedoch zur Region Aleppo gehört. Hier hat er eine alternative Seifensiederei aufgebaut, wo er unter anderem für die Naturkosmetik-Marke Finigrans Haarseifen herstellt. Feras Anis führt in Aleppo das Familiengeschäft unter schwierigsten Bedingungen fort. 2010 gab es in Aleppo etwa 150 bis 200 Seifensieder, inzwischen sind die meisten traditionellen Handwerkstätten zerstört oder geschlossen, weil die Inhaber entweder tot oder im Exil sind. Es werden jedoch weiterhin Container mit Aleppo-Seifen an den deutschen Handelspartner Treibholz exportiert.
Festseife war niemals ganz verschwunden
In Deutschland gab es nach dem Krieg etwa 200 Seifenhersteller. Mittlerweile gibt es nur noch wenige bekannte Hersteller, darunter die M. Kappus GmbH & Co. KG oder die Firma Klar Seifen aus Heidelberg, die einer der wenigen verbliebenen Traditionsbetriebe ist, die Seifen nach alten Verfahren und teils noch in Handarbeit fertigen. Auch wenn an den Waschbecken der funktionelle Pump-Behälter in den vergangenen Jahren dominierte, so war Festseife niemals ganz verschwunden – schon gar nicht in Großbritannien, wo Marken wie Penhaligon's, Creed oder Bronnley immer präsent waren und sind. In Südfrankreich blüht die Herstellung der Marseiller Seife.
Aber auch der Nachhaltigkeitsaspekt spielt heute eine wichtige Rolle, denn das Ökosystem des Körpers ist mit dem übergreifenden Ökosystem verbunden: Immer mehr Menschen achten beim Kauf von festen Seifenstücken darauf, dass die Inhaltsstoffe natürlichen Ursprungs und am besten Bio sind. Greenpeace rät zu zertifizierter Naturkosmetik, die frei von Mikrokunststoffen ist. Da der Begriff Naturkosmetik rechtlich nicht definiert und geschützt ist, sind vertrauenswürdige Siegel umso wichtiger. Um sich abzugrenzen und den Markt für Verbraucher transparent zu halten, haben sich die fünf großen deutschsprachigen Naturkosmetikmarken 2008 zusammengeschlossen: Weleda, Logona, Lavera und Primavera gründeten das Siegel NaTrue, das neben Ecocert und dem BDIH zu den wichtigsten in Europa gehört. Eine Mindestbedingung ist, dass die Inhaltsstoffe natürlichen Ursprungs sein und 75 Prozent einer Naturkosmetikserie zertifizierbar sein müssen. Gute Naturseifen sind aus hochwertigen, pflegenden Ölen wie zum Beispiel Olivenöl und natürlichen ätherischen Ölen gemacht.
Hersteller von Naturkosmetik wissen den Trend zu nutzen
Die aus Großbritannien stammende Marke Lush bietet Seifen an, die frei von Tierversuchen, zu 83 Prozent vegan und zu 100 Prozent palmölfrei sind. Statt Plastik setzt das Unternehmen auf wasserlöslichen, essbaren Schimmer, auf Reispapierkonfetti oder Knallzucker. Damit möchte das Unternehmen insbesondere die Meeresbewohner schützen, die durch kleinste Plastikteile in ihrer Existenz bedroht sind. Lush wurde 1994 in Großbritannien gegründet und verfügt auch in Deutschland über viele Läden.
Schon Emanuel Bronner, der die Marke Dr. Bronner‘s vor fast 70 Jahren erfand und ursprünglich aus Heilbronn kommt, sah sich als Akteur der Nachhaltigkeit: Seine „Moral ABC“ genannten Botschaften (z.B. „We are all one – or none.“) stehen bis heute auf den Produkten. Das Unternehmen setzt konsequent auf Bio, fairen Handel und ist weltweit an Produzenten beteiligt, unter anderem an einer nachhaltigen Palmölplantage in Ghana. In den USA ist Dr. Bronner’s Marktführer bei Naturseife und bei Prominenten sehr beliebt. Vermarktet wird die Seife als Alleskönner mit 18 Anwendungsmöglichkeiten, unter anderem zum Desodorieren, Wäschewaschen oder für den Hausputz.
Natalie Richter nennt ihr Kosmetiklabel „Terrorists of Beauty“, mit der sie gegen die „Gesetze der Schönheitsindustrie“ mit all ihren Produkten kämpft: Ihrer Meinung nach reicht eine Seife (nachhaltig, vegan, unisex) von Kopf bis Fuß. Microbrands wie ihre sind vor allem bei jungen Menschen sehr beliebt, weil diese Marken mit ihnen sprechen.
Einen anderen Ansatz verfolgt Wolfgang Lederhaas, der Geistes- und Naturwissenschaften vereint. Er widmete sich in Graz, Wien und Berlin dem Studium der Philosophie, Psychologie, Germanistik sowie einer klassischen Gesang-Ausbildung und arbeitete als Assistent des Direktors der Diplomatischen Akademie, Botschafter Dr. Jiří Gruša. Inspiriert durch das Bild eines Renaissance-Menschen wendete er sich weiteren Studien der Pharmazie, Kosmetologie und Aromatherapie zu. 2011 gründete er die Premium Naturkosmetikmarke und das Creative Lab LEDERHAAS, wo er als Naturkosmetikentwickler und Parfumeur hauseigene wie externe Produkte konzipiert und kreiert.
Als Produzent lernt er von der Natur, was ihr auch der Chemiker Michael Braungart abschaut: „Die Natur produziert seit Jahrmillionen völlig uneffizient, aber effektiv. Ein Kirschbaum bringt Tausende von Blüten und Früchten hervor, ohne die Umwelt zu belasten. Im Gegenteil: sobald sie zu Boden fallen, werden sie zu Nährstoffen für Tiere, Pflanzen und Boden in der Umgebung.“ Diese Anforderung ist die Maxime der Marke LEDERHAAS. Seine Seifen stehen auch symbolisch dafür, dass es nicht darum geht, Vergangenes vertrocknet an sein Herz zu schließen, sondern es zu beleben und sich daran zu erfrischen. Sein unternehmerischer Ansatz steht für die Erkenntnis, dass sich Realismus und Möglichkeitssinn sehr wohl vereinbaren lassen, wenn wir im Sinne Jean Pauls Stiefel fürs Pflaster und Flügel der Phantasie haben. Was er mit allen Sinnen vermittelt, ist die Lebenskunst eines unabhängigen Geistes.
Sechs Romane und Erzählungen aus der Zeit um 1800 liegen den LEDERHAAS Seifenkompositionen zugrunde und inspirierten zu einer exklusiven Kollektion. Romantische Romane verliehen den Seifen ihren Namen passend zum jeweiligen Duft: Lucinde, Heinrich, Undine, Florentin, Eckbert und Hyperion.
Die memo AG, die seit ihrer Gründung nicht nur beim Sortiment, sondern auch in allen anderen Geschäftsbereichen, konsequent die Kriterien der Nachhaltigkeit verfolgt, präsentiert als Versandhandel ihr Sortiment über verschiedene Printmedien und drei Onlineshops. Alle Artikel sind gezielt nach ökologischen und sozialen sowie nach ökonomischen und qualitativen Kriterien ausgewählt. Viele davon tragen anerkannte Umweltzeichen und Labels, wie beispielsweise den Blauen Engel.
Claudia Silber, Leiterin der Unternehmenskommunikation bei der memo AG, verweist auf die memo Pflanzenölseife: „Die Endproduktion der Flüssigseife erfolgt in Deutschland. Der Hersteller betreibt innerhalb der Produktion einen geschlossenen Wasserkreislauf und arbeitet weitestgehend abfallfrei. Seinen Strombedarf deckt das Unternehmen durch eine Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach sowie den Bezug von 100 Prozent Ökostrom. Ein speziell entwickeltes Niedertemperaturverfahren reduziert den Energieverbrauch auf ein Minimum. Die geringen, nicht vermeidbaren Treibhausgasemissionen werden durch Investitionen in Waldaufforstungsprojekte ‚klimaneutral‘ gestellt.“
Die Flüssigseifen basieren hier auf reinen Bio-Ölen und werden nach den strengen Kriterien der international tätigen, unabhängigen Organisation „Ecocert“ hergestellt. Als Duftstoffe dienen ätherische Öle ausschließlich natürlichen Ursprungs. Im Onlineshop memolife werden aber auch feste Seifen von Sodasan sowie griechische Seifen für Haar und Haut geführt. Sie sind aus nativem, kaltgepresstem Olivenöl und von Hand gesammelten Kräutern aus den Bergen in Kreta gefertigt. Die Kräuter werden direkt vor Ort destilliert. Für sie werden keine separaten Felder angebaut. Sie wachsen wild und frei von Pestiziden. In der handgemachten Seife wird auch Olivenholz-Asche verwendet: Wenn im Winter die Olivenbäume zurückgeschnitten werden, nutzen die Einheimischen den anfallenden Holzabfall zum Heizen. Die dadurch entstehende Asche kommt bei der Herstellung zum Einsatz. Die feste Seife eignet sich aufgrund ihrer Form perfekt für die Mitnahme auf Reisen. Sie ist frei von Palmöl (Quelle: memolife).
Seifenstück und Flüssigseife liegen puncto Reinigungskraft gleichauf. Bei der Hautverträglichkeit kann es allerdings Unterschiede geben, denn chemisch gesehen gehört Flüssigseife im Unterschied zu den „echten“ Seifen zu den synthetischen Detergenzien, die beim Waschen milder zu empfindlicher Haut sein sollen.
Seifenstücke sind genauso gut wie Spender geeignet, Infektionen zu vermeiden.
Der hygienische Drückspender ist in der Küche oder in öffentlichen Toiletten besonders praktisch.
Auf Seifenstücken können sich allerdings mehr Mikroorganismen ansammeln als in einem Seifenspender.
Seifenstücke, die nicht gut gepflegt werden, können schon nach einiger Zeit unansehnlich sein (vermeiden lässt sich das, wenn das Seifenstück nicht im Wasser liegt und nach jeder Benutzung gut trocknen kann).
Im Gegensatz zu Flüssigseife enthält der Seifenbarren kaum Wasser, spart dadurch also Emissionen beim Transport und Verpackungsmaterial. Oft gibt es Seifenstücke ohne Umverpackung. Der Seifenspender dagegen enthält viel Kunststoff, und selbst wer auf Nachfüllpackungen zurückgreift, erzeugt noch zusätzlichen Müll.
Der Spender-Mechanismus der Flüssigkeife regt zuweilen zur Verschwendung an. Während das Seifenstück in den Händen nur so lange hin und her bewegt wird, bis die Menge Seife reicht, gibt schon ein einzelner Hieb auf den Spender weitaus mehr Flüssigseife, als zum Händewaschen nötig ist. Die Verschwendung treibt den höheren Preis für Flüssigseife noch weiter in die Höhe.
Nachhaltigkeit liegt in unseren Händen.
Weiterführende Informationen:
Michael Braungart und William McDonough: Intelligente Verschwendung. Auf dem Weg in eine neue Überflussgesellschaft. München 2013.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben von Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Kristina Gnirke, Alexander Kühn, Maria Marquart: Die greisen Riesen. in: DER SPIEGEL (8.6.2019), S. 67-69.
Anne Goebel: In Reinform. In: Süddeutsche Zeitung (2./3.9.2018), S. 58.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.