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Die Rückkehr des Schneidebretts: Eine Liebeserklärung an analoge Zeiten

„Wie es auf deinem Schneidebrett aussieht, so sieht es in deinem Kopf aus“, sagt der Rezeptentwickler, Kochbuchautor und Foodblogger Stevan Paul. Das Schneidebrett ist heute weitaus mehr als eine zweckmäßige Arbeitsunterlage, auf der Brot, Gemüse oder Fleisch geschnitten werden. In der modernen (Hightech-)Küche, die das neue Statussymbol der Deutschen ist, dient es heute häufig „als Prestigeobjekt mit Bodenhaftung“ (Marten Rolff).

Je komplexer unser Alltag wird, desto größer die Sehnsucht nach einer greifbaren kleinen Gegenwelt. Massives Holz hat nicht nur eine warme Ausstrahlung und ist sehr langlebig – wenn wir es in den Händen halten und damit arbeiten, entspricht dies auch unserem Bedürfnis nach Individualisierung, denn unser haptischer Alltag ist heute vor allem von glatten und hochpolierten Oberflächen geprägt - mit einem hohen Anteil an synthetischen Materialien. Dies folgt einer historisch gewachsenen Bearbeitungslogik, weil glattes Material für technologische Entwicklung steht.

Unsere „emotionale Haut“ wird im Kontakt mit rauen Materialien wie Holz dünner. Kaum ein Material kommt heute dem ausgeprägten Wunsch nach Individualität und Naturverbundenheit mehr entgegen als Holz. Auch auf Designmessen finden sich zahlreiche Umdeutungen des Schneidebretts. Gehobene Anbieter dringen mit Frühstücksbrettern in Preissegmente vor, „die früher handbemalten Porzellantellern vorbehalten waren“ (Martin Rolff). Die Kosten für teure Pflegeöle noch nicht eingerechnet.

Vor einigen Jahren sorgten Johannes und Joseph Schreiter, zwei Brüder aus Offenbach, mit der Weiterentwicklung des klassischen Schneidebretts im Internet für Begeisterung: Sie sammelten auf der US-amerikanischen Crowdfunding-Plattform Kickstarter für ihren Prototypen innerhalb kürzester Zeit 3600 Unterstützer und fast eine Dreiviertelmillion Euro ein. Johannes testete das Brett vorab, indem er es mit zur Arbeit in die Restaurantküche nahm. Zuerst wurden die Abläufe auf einem herkömmlichen Schneidebrett betrachtet, dann wurden Arbeitszonen, Arbeitsrichtungen und Probleme benannt, und anschließend wurde das gleiche mit der Weiterentwicklung, dem so genannten Frankfurter Brett, getan, und die Ergebnisse miteinander verglichen.

Es ist nicht nur ein Schneidebrett, sondern auch ein gut organisierbarer Arbeitsplatz für die Küche: Mit Hilfe eines patentierten ausziehbaren Bügelsystems lassen sich Behälter für Abfall, Schnittgut, Zutaten und Küchenwerkzeuge befestigen. Dieser Trend zu „handgreiflicher“ Arbeit mit Küchenutensilien ist in gewisser Weise auch ein Reflex auf das digitale Zeitalter. Am Beispiel des Frankfurter Bretts zeigt sich besonders deutlich, dass die Verknüpfung von digitaler und analoger Welt (digital wurde die Investition gesichert und analog das Produkt gefertigt) zu beidseitigem Nutzen eine simple und gute Idee ist, die sich erfolgreich umsetzen lässt.

Kunden legen heute Wert auf Qualität und Nachhaltigkeit. Viele setzen auf klassische Schneide- und Frühstücksbrettchen aus massiver, FSC-zertifizierter Buche (das FSC-Umweltzeichen kennzeichnet Produkte, für deren Herstellung Holz aus umwelt- und sozialverträglich bewirtschafteten Wäldern verwendet wird), deren Holzoberfläche auf Pflanzenbasis geölt ist. Durch die hohe Materialstärke „erhält das Brett eine sehr langlebige Qualität und eine griffige Handhabung mit exzellenter Haptik“, sagt Claudia Silber, Leiterin Unternehmenskommunikation der memo AG.

Produkte aus Kunststoff mögen zwar pflegeleicht sein, aber sie werden aus Erdölprodukten hergestellt und stellen dadurch eine stärkere Belastung für unsere Umwelt dar. Auch in zahlreichen Untersuchungen schnitten bezüglich des Materials Holzbretter besser ab als Plastikbretter (Quelle: memolife). Laut Studien haben bestimmte Hölzer antimikrobielle Eigenschaften, die Bakterien abtöten können. Plastik besitzt diese Eigenschaft nicht.

Wem der hygienische Aspekt besonders wichtig ist, vertraut auf die antibakteriellen Eigenschaften von Kiefer. Eiche ist wegen ihrer Großporigkeit und des hohen Gerbsäureanteils eher ungeeignet für Schneidebretter. Profis setzen häufig auf besonders feinporige Rotkernbuche, Teak oder Olive gelten als besonders robust, enthalten allerdings Silizium (was die Messer stumpf macht).

Um unregelmäßiger Abnutzung vorzubeugen, sollten Schneidebretter regelmäßig gewendet und möglichst ebenmäßig benutzt werden. Wenn sie Gerüche (z.B. Knoblauch oder Zwiebeln) aufnehmen, kann aus dem Saft einer frischen Zitrone und normalem Salz im betroffenen Bereich direkt auf dem Brett eine sämige Paste hergestellt werden, die mit einem Topfschwamm auf die betroffenen Regionen verteilt und abgeschrubbt werden kann. Wenn dies über Nacht durchgetrocknet ist, empfiehlt sich eine Schicht Öl für das beanspruchte Holz.

Wenn Beziehungen auseinanderbrechen, Menschen sterben oder fortgehen, bleiben oft symbolische Alltagsgegenstände übrig. Was sie so besonders macht, sind die Geschichten, die buchstäblich daran „hängen“. Auch Schneidebretter gehören dazu: Wann immer mit ihnen gearbeitet wird, können sie das Vergangene lebendiger aufleben lassen. Sie sind heute nicht nur eine Liebeserklärung an das Kochen, sondern auch an analoge Zeiten, bevor es virtuelle Träume im Internet gab. Ein messerscharfer Verstand weiß beides klug zu nutzen. Das zeigt sich auch auf dem Schneidebrett.

Weiterführende Informationen:

Martin Rolff: Gut Holz. In: Süddeutsche Zeitung (23./14./25./26.12.2017), S. 57.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Küchen-Kultur und Lebensart: Warum Verantwortung nicht zwischen Herd und Kühlschrank aufhört. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Von Lebensdingen: Eine verantwortungsvolle Auswahl. Amazon Media EU S.à r.l.Kindle Edition 2017.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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