US-Präsident Trump, Tesla-Gründer Musk: Unheilvolle Allianz. Foto: REUTERS
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Die unheilvolle Symbiose von digitaler und staatlicher Macht

Nicht die Anführer, nicht die Zahl ihrer Panzer und auch nicht ihre Handelsmacht entscheiden über das Schicksal von Nationen. Es ist die Technologie, die ökonomische und geopolitische Dominanz erzeugen kann.

Es gibt sie, jene denkwürdigen Momente, in denen sich Zeitgeschichte in kleinen Symbolen ausdrückt, Weltgeschehen zu Konzentrat gefriert.

Einer dieser Momente war, als ein Mann, der zwar unglaublich reich und innovativ ist, aber seinerzeit weder ein politisches Amt besaß noch demokratisch in irgendeiner Weise legitimiert war, plötzlich vor den Augen der Weltöffentlichkeit wie aus dem Nichts über Krieg und Frieden entscheiden durfte.

Ob Elon Musk sein Satellitennetzwerk Starlink abschalten würde, davon schien plötzlich das Schicksal der Ukraine abzuhängen, die sich bereits seit mehr als drei Jahren einer russischen Invasion erwehrt. Im vergangenen Jahr drohte der Milliardär, der plötzlich die Nähe zu Russlands Präsidenten Wladimir Putinsuchte, wiederholt, das ukrainische Militär von der Satellitenkommunikation abzuschneiden. Etwas später, da war er schon „Effizienzbeauftragter“ des US-Präsidenten, brüstete sich Musk dann mit der Aussage, dass sein satellitengestütztes Kommunikationssystem „das Rückgrat der ukrainischen Armee“ sei  – und dass „ihre gesamte Front zusammenbrechen würde, wenn ich es abschalte“.

Der Skandal war weniger, dass Musk, der Kiew noch zu Beginn des Krieges kostenlos mit Starlink-Technik ausgestattet hatte, die Seiten gewechselt zu haben schien. Der Skandal bestand vor allem darin, dass der demokratisch nicht legitimierte Tech-Oligarch offenbar kriegsentscheidende Macht besaß.

Die Abhängigkeit der Ukraine von den US-Geheimdiensten war ebenso bekannt wie wenig überraschend. Dass allerdings mit Musk ein Tech-Milliardär geopolitische Fakten schaffen konnte, die aus sicherheitspolitischer Perspektive für Europa relevanter kaum sein konnten, setzte die Europäer unter Schock. Zu Recht, muss man heute sagen, auch wenn Musk seine Drohungen nie vollumfänglich wahr machte.

Denn diese Episode offenbart die geopolitische Ohnmacht Europas, die vor allem auch der Tatsache geschuldet ist, dass der alte Kontinent in vielen technologischen Bereichen vollkommen abhängig von anderen Mächten ist.

Es gab einen weiteren Moment in jüngerer Zeit, der von der entscheidenden Kraft der Technologie im geopolitischen Kontext zeugte – dieses Mal auf der anderen Seite der um die Weltherrschaft kämpfenden Großmächte: in China.

Trotz der geballten innovativen Kraft des Silicon Valley reichte die Erfindung eines nahezu unbekannten Unternehmens aus der recht unbekannten chinesischen Stadt Hangzhou, um die Ausgangslage im sino-amerikanischen Technologiekrieg neu zu definieren.

Deepseek hatte aus der Not eine Tugend gemacht und wegen des US-Exportverbots für Hochleistungschips, die für KI-Modelle bis dahin als unverzichtbar galten, andere Wege gesucht – und gefunden.

Das chinesische Sprachmodell war nicht nur leistungsfähiger als das viel gelobte Wunder-Sprachwerkzeug ChatGPT, mit dem der jüngste globale Hype um Künstliche Intelligenz (KI) einst begann. Es beruht vor allem auch auf einem dezentralen Ansatz, ist wesentlich energiesparsamer  und vor allem: Es ist zu einem Bruchteil der Kosten des amerikanischen Modells von OpenAI entstanden. Marc Andreessen, US-Investor und Silicon-Valley-Autorität, sprach neidlos von einem chinesischen „Sputnik-Moment der KI“.

I. Die neuen Determinanten globaler Machtpolitik

Die Stargate-Episode und die Deepseek-Überraschung – was beide denkwürdigen Momente gemein haben: Sie unterstreichen die zentrale, ja schicksalhafte Rolle der Technologie im geopolitischen Kontext und sie offenbaren einmal mehr das technologische Nischendasein und die machtpolitische Ohnmacht Europas.

Dass die Geschichte von Schwellenmomenten geprägt ist, in denen  technologische Innovationen eine entscheidende Rolle spielen, und dass die bestehende globale Wirtschaftsordnung dabei zur Disposition stehen kann, ist nicht neu.

Neu ist, dass eine Symbiose von digitaler und staatlicher Macht eine entscheidende Rolle dabei spielt. Es sind nicht mehr im Wesentlichen Xi Jinping, Donald Trump oder auch Wladimir Putin, die über das Schicksal ihrer Nationen entscheiden. Für die ökonomische Dominanz ist nicht mehr essenziell, welches Land wie viele Container voller Waren über die Weltmeere in andere Regionen schickt. Und auch die Panzer und Raketen sind nicht mehr die Determinanten der globalen Machtpolitik.

Ein wesentlicher Faktor ist die technologische Dominanz – und vor allem, wie sich diese im symbiotischen Verhältnis zum Staat entwickelt. Die USA und China kommen hier aus völlig anderen Welten, wobei sich seit der Trump’schen Revolution, jener ebenso eigenartigen wie sich auf den ersten Blick widersprechenden autoritär-libertären Mixtur, erstaunliche viele Parallelen zeigen. Europa beschreitet derweil einen dritten Weg, an dessen Ende entweder die völlige Selbstmarginalisierung oder eine Art emanzipatorische Selbstbehauptung stehen kann.

II. Die Analogien der Tech-Symbiose in den USA und China

Die Führungsmacht des freien Westens wendet sich in der Ära Trump ausgerechnet von jenen Werten ab, die Amerika groß gemacht haben. Werten, auf denen letztlich auch der überragende Erfolg amerikanischer Tech-Konzerne beruht: Freiheit, Rechtssicherheit, Chancengleichheit oder noch präziser: gleiche Wettbewerbsbedingungen.

Dass diese Abkehr gerade auf der widersprüchlichen Allianz zwischen den Techno-Libertären um Musk und Co und Autoritären um Trump beruht, ist nur auf den ersten Blick verwunderlich. Denn das libertäre Gedankengut des Silicon Valley gipfelt in der These etwa des Paypal-Mitgründers Peter Thiel, dass „unternehmerische Freiheit und repräsentative Demokratie nicht vereinbar“ seien. Soll heißen: Zur Sicherung seines Wohlstands muss Amerika in ein postdemokratisches Zeitalter eintreten.

Nicht nur zentrale demokratische Elemente legt die libertäre Schule ad acta, sondern gleich auch den freien Wettbewerb – ebenfalls ein konstitutives Element offener und freier Gesellschaften: Für den Liberalen ist der Wettbewerb Voraussetzung für den Wohlstand einer Volkswirtschaft. Für den Libertären stellt das Kartellrecht eine illegitime Beschränkung seiner Freiheit dar. Der Libertäre hat nichts gegen Monopole. Im Gegenteil: Sie sind ausdrückliches Ziel jeglichen Unternehmertums. „Wettbewerb ist etwas für Verlierer“, sagt Thiel.

Insgesamt finden sich in der Ideologie des autoritär-libertären Pakts Spuren totalitären Gedankenguts, das auch Funktionäre der chinesischen KP nicht besser hätten formulieren können.

Hier folgt die westliche Führungsmacht inzwischen der chinesischen Logik: Tech-Herrschaft bedeutet am Ende Weltherrschaft. Alles andere wird ihr untergeordnet – auch demokratische Werte.

III. Die Differenzen der Tech-Symbiose

Und doch gibt es große Unterschiede zwischen beiden Rivalen. Während Technologie und vor allem die KI aus Sicht Pekings vor allem ein perfektes Repressionsinstrument der Herrschenden zur Absicherung und Erweiterung der Macht darstellen – nach innen wie nach außen übrigens –, ist die Sache in den USA komplizierter: Dort bemächtigt sich einerseits der Volksrepublik nicht unähnlich die Politik der Technologie, gleichzeitig aber bemächtigt sich die Technologie der Politik. Oder präziser: Musk und Co haben offenbar beschlossen, den Staat zu erobern, statt sich von ihm regulieren zu lassen.

Auch hier liefern die libertären „Techno-Utopisten“ um Musk, Thiel und andere das theoretische Gedankengebäude gleich mit. Technologie könne die träge und lästige Politik überwinden, sie sogar überflüssig machen.

Seit der Machtübernahme am 20. Januar stutzt Musk als Doge-Chef radikal Behörden zusammen. Er schließt ganze Institutionen, entlässt unzählige Staatsbedienstete. Von den Einsparungen von bis zu zwei Billionen Dollar, die Musk versprach, lieferte er bislang allenfalls einen Bruchteil. Trotzdem ist die Spur der Verwüstung im Staatsapparat  geschichtsträchtig.

Wie in der Volksrepublik fusionieren in den USA technologische und staatliche Macht. Aber anders als in China richtet die libertär-autoritäre Allianz die demokratischen Institutionen neu aus, unterwirft sie den kommerziellen und strategischen Kalkülen der Tech-Utopisten und ihrer Unternehmen.

Der demokratisch nicht legitimierte Musk und seine Leute haben Zugriff auf vertrauliche Daten des Finanzministeriums, der Einwanderungs- und Gesundheitsbehörden sowie des Sozialversicherungssystems. Man darf davon ausgehen, dass sie die Unmengen von sensiblen Daten zu nutzen wissen, sie möglicherweise in KI-Modelle einspeisen, um sie entweder zu kommerzialisieren oder sogar politisch zu missbrauchen.

Freilich handelt es sich nicht um einen zentralistischen, planwirtschaftlichen Ansatz, sondern um einen marktwirtschaftlichen, was die Sache allerdings noch kritischer machen könnte. Der informelle Wahlkampf-Deal, finanzielle und mediale Unterstützung gegen ein Stück Staat dürfte sich auszahlen. Denn jetzt führen jene Tech-Utopisten, die sonst KI entwickeln, digitale Infrastruktur aufbauen und schon jetzt den politischen Diskus mit ihren Social-Media-Plattformen weitgehend bestimmen, die Hand des Präsidenten, wenn er seine Dekrete unterschreibt. Das heißt, sie gestalten die politischen Rahmenbedingungen, unter denen sie ihre Geschäfte betreiben, mit.

Und es gibt noch eine zweite Motivation der Libertären für ihren neuen techno-autoritären Ehrgeiz. Die neuen Schlüsseltechnologien – von KI über Bio- bis zur Quantentechnologie – sind extrem kapitalintensiv, sie brauchen in großen Teilen staatliche Unterstützung, um Skaleneffekte erzielen zu können. Auch das weckt Interesse an staatlicher Macht. Der Staat wiederum braucht die Technologie-Ikonen, um im Kampf der Nationen um die Weltherrschaft zu bestehen.

Es ist nicht auszuschließen oder sogar wahrscheinlich, dass diese Symbiose zunächst einmal neue ökonomische Energien freisetzt. Ebenso sicher aber ist: Zentrale demokratische Werte drohen auf der Strecke zu bleiben. In dieser Hinsicht gleichen China und die Vereinigten Staaten sich an. Das anhaltende Freiheitspathos der amerikanischen Tech-Apologeten ist vor diesem Hintergrund nicht mehr und nicht weniger als „Fake News“, um es mit den Worten Donald Trumps zu formulieren.

IV. Europas Ohnmacht und die Suche nach einem dritten Weg

Die neue staatlich-technologische Hybridwelt – sei es amerikanischer Prägung mit einem politischen Machtzuwachs der Tech-Konzerne oder chinesischer Natur mit einer Machterweiterung der Kommunistischen Partei durch eine noch effizientere Bemächtigung des zunehmend innovativen Technologiesektors – zwingt der Rest der Welt zur Positionierung.

Das gilt für den globalen Süden und es gilt vor allem auch für Europa, das durch den Verlust des freiheitlichen Partners jenseits des Atlantiks zunächst eine Phase der Orientierungslosigkeit durchlebt, sich aber dennoch Hoffnung machen kann, so etwas wie einen dritten Weg einzuschlagen.

Dieser Anspruch wirkt auf den ersten Blick verwegen, weil erstens die europäische Wirtschaft alles andere als dynamisch ist und der Technologiesektor vor allem durch Innovationsschwäche auffällt. Und zweitens können inzwischen viele der europäischen Demokratien selbst den autoritär-populistischen Verlockungen des Zeitgeistes nicht widerstehen und hadern mit ihrem System, das im Vergleich zu den USA und China als entscheidungsschwach, ja sklerotisch, in jedem Fall aber unfähig, die Probleme der Zeit zu lösen, empfunden wird.

Dennoch: Gerade die autokratischen und in Teilen sogar imperialistischen Tendenzen der westlichen Führungsmacht bieten Europa zumindest die Chance, sich gegenüber Drittländern vor allem auch aus dem globalen Süden als zuverlässigerer Partner anzubieten. Als einer, der für demokratische Werte steht, sich für Rechtsstaatlichkeit einsetzt und zumindest versucht, den letzten Rest einer regelbasierten Weltordnung zu retten.

Noch verfügt die Europäische Union über einen gigantischen Binnenmarkt und damit auch über Marktmacht. Voraussetzung allerdings ist erstens die vor allem sicherheitspolitische, aber auch technologische Emanzipation von den USA. Voraussetzung ist zweitens eine ökonomische Gesundung des Kontinents. Das wiederum setzt ein technologisches Empowerment voraus, aber eben nicht am amerikanischen Vorbild ausgerichtet.

Vielmehr geht es darum, eine digitale Infrastruktur und KI-Architektur aufzubauen, die offen ist, demokratische Werte berücksichtigt und oligarchischen Verführungen standhält. Es geht darum, Europa Schritt für Schritt aus der digitalen Abhängigkeit von den USA zu befreien, ohne die Zusammenarbeit einzustellen.

Die Verheißungen der digitalen Revolution waren nahezu grenzenlos. Social Media sollte den politischen Diskurs auch in autokratischen Systemen demokratisieren (Arabischer Frühling), die Digitalisierung sollte der Weltwirtschaft einen Produktivitätsschub verleihen. KI sollte und soll Basis einer völlig neuen Ökonomie sein.

Nun, die Hoffnungen trogen – zumindest zum Teil. Die Entwicklungen in den USA zeigen, dass die Tech-Giganten die politische Öffentlichkeit endgültig zu feudalisieren drohen. Dass ein herrschaftsfreier Diskurs weiter denn je ins Reich der Illusionen zu verbannen ist. Dass demokratische Institutionen, Ideen wie die Rechtsstaatlichkeit und auch zentrale ökonomische Konzepte wie der Wettbewerb zur Disposition stehen.

Summa summarum: Dass die verhängnisvolle Symbiose zwischen digitaler Macht und Staatsmacht die Errungenschaften der emanzipatorischen Aufklärung gefährden. Der Korrekturbedarf ist also riesig – und Europa hat womöglich tatsächlich die Chance, hier einmal einen konstruktiven Beitrag zu leisten.

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