„Die USA haben uns eine Steilvorlage geliefert“
Im Handelsblatt-Interview erklärt die Forschungsministerin, wie sie Spitzenforscher anlocken, den Transfer in die Wirtschaft verbessern und mit der Raumfahrt durchstarten will.
Berlin. Noch nie zuvor war eine Forschungsministerin für die deutsche Wirtschaft wichtiger als nun Dorothee Bär. Die 47-jährige CSU-Politikerin trägt als Bundesministerin nicht mehr den Zusatz „für Bildung und Forschung“, sondern „für Forschung, Technologie und Raumfahrt“.
Namen sind mehr als Botschaften: Bär will den Transfer von Wissenschaft in die Wirtschaft verbessern und so für mehr Produkte „made in Germany“ sorgen. Sie will Mittelstand und Industrie mit Innovationsförderprogrammen unterstützen, die wachsende Raumfahrtbranche auf dem Weg vom Nischen- zum Volumenmarkt unterstützen und auch privates Kapital für Wissenschaft und Forschung gewinnen.
Wäre der Titel ihres Hauses nicht eindeutig, sie könnte als Wirtschaftsministerin gesehen werden. Im Gespräch bestreitet sie die neue Machtfülle nicht – und betont vielmehr ihre Ansprüche.
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Frau Ministerin, US-Präsident Trump attackiert Universitäten wie Harvard, streicht Mittel für Alzheimer- und Quantenforschung, treibt Wissenschaftler ins Ausland. China und Singapur empfangen die Forscher mit offenen Armen. Geht Deutschland zu zögerlich vor und verpasst eine historische Chance?
Ihr Eindruck täuscht. Wir hinken nicht hinterher. Schon im Koalitionsvertrag haben wir uns auf das „Tausend Köpfe Plus Programm“ verständigt, mit dem wir Wissenschaftler aus aller Welt anlocken wollen. Ich habe auch mit unseren EU-Partnern schon gesprochen. Europa ist der weltweit letzte Hort der Wissenschaftsfreiheit.
Amerika als Land der Freiheit – damit ist es vorbei?
Ich bin Transatlantikerin durch und durch, habe unter anderem meinen Highschool-Abschluss in den USA gemacht. Ich glaube, dass sich das Land wieder erholen wird. Derzeit sehen wir aber, wie schnell Demokratien kippen können. Wir fangen auf, was wir können. Deutschland ist jetzt schon das zweitattraktivste Land der Welt für Wissenschaftler. Jetzt haben uns die USA zusätzlich diese Steilvorlage geliefert.
So schädlich Trumps wissenschaftsfeindliche Politik für die USA ist, für uns kann sie also ein Nutzen sein. Ist ein „Thank you, Mr. President“ fällig, wenn Kanzler Friedrich Merz am Donnerstag Donald Trump im Weißen Haus trifft?
Mir wäre es lieber, wir könnten in einem gesunden Wettbewerb mit den USA konkurrieren. Aber gleichzeitig gilt: Die Krise ist eine Chance.
Was genau ist Ihre Strategie?
Wir wollen vor allem, dass Deutsche in den USA weiter studieren und forschen können. Das ist das Wichtigste. Wer aber dort keine guten Bedingungen mehr vorfindet, den wollen wir bei der Rückkehr unterstützen. Eine meiner Mitarbeiterinnen hat in Kalifornien im Bereich Molekularbiologie geforscht und sich schon in der ersten Amtszeit von Donald Trump nicht wohlgefühlt – und ist zurückgekommen. Zum anderen wollen wir ausländischen Professoren, aber auch Studenten eine neue Heimat bieten.
Man sieht daran, dass wir uns mit 1000 Köpfen nicht begnügen sollten.
Wollen Sie Spitzenkräfte gezielt ansprechen?
Wir betonen, was wir zu bieten haben. Und wir arbeiten daran, als Land noch attraktiver zu werden. Das bedeutet etwa auch, dass wir den Ehe- oder Lebenspartnern der Forscherinnen und Forscher ebenfalls eine berufliche Perspektive bieten müssen.
Bayern wirbt seit 2021 mit einem 1000-Köpfe-Programm und hat inzwischen 920 angelockt. Ist Ihre Heimat ihr Vorbild?
Es ist ein herausragendes Beispiel, und übrigens: Man sieht daran, dass wir uns mit 1000 Köpfen nicht begnügen sollten. Deshalb spreche ich von 1000 Köpfen plus.
Was konkret sieht das Konzept vor?
Wir werden die Mittel für die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und die Deutsche Forschungsgemeinschaft erhöhen und mit guten Stipendien werben. Wir werden nicht alles ausgleichen können, was Trump kürzt.
Stocken Sie auch die Anwerbeprogramme einzelner Bundesländer auf?
Bund und Länder können komplementär wirken. Wichtiger als Geld ist meines Erachtens aber auch weniger Bürokratie.
Woran denken Sie hier?
Wir müssen kreativer denken, um Forschern und deren Familien nicht nur einen Job, sondern eine Heimat bieten zu können. Dazu gehört ein Job für den Partner, dazu gehören Kitaplätze und mehr. Im Idealfall ein Rundum-sorglos-Paket. Klar ist: Wir werden sicher nicht mit amerikanischen Spitzengehältern konkurrieren können. Aber das ist auch nicht immer der entscheidende Punkt. Wir bieten – und das ist unser USP – garantierte Wissenschaftsfreiheit.
Die USA waren bisher unschlagbar darin, dass Forscher ihre Ideen auf den Markt bringen und Geld für Start-ups von Investoren einsammeln. Europa hat da noch immer gravierende Defizite. Wie wollen Sie die angehen?
Ich setze stark auf den Transfer aus der Wissenschaft in die Wirtschaft. Grundlagenforschung ist wichtig. Aber ich finde es nicht verwerflich, mit guten Ideen Geld zu verdienen. Wenn aus Ideen made in Germany auch Produkte made in Germany werden, ist das genau das Richtige.
Aber: Wie?
Wir brauchen eine Mischung aus staatlichem Geld und privatem Kapital. Es ist ein starkes Signal, dass SAP-Gründer Hasso Plattner jetzt noch mehr Geld für den Campus in Potsdam in die Hand nimmt. Dafür braucht es in Deutschland auch mehr Akzeptanz.
Statt private Investoren zu begeistern, haben die Länder über Jahre ihre Hochschulinfrastruktur vernachlässigt. Wie viel Geld werden die Hochschulen nun aus dem Sondervermögen erhalten, damit sie sich sanieren können?
Die Länder bekommen aus dem Sondervermögen 100 Milliarden Euro. Mein Wunsch ist es, dass sie nicht nur die Schulen und Kitas in den Blick nehmen, sondern auch einen Schwerpunkt auf ihre Hochschulen legen.
Werden Sie dazu Anreize setzen – mit weiterem Geld?
Ich bin der Überzeugung, dass wir einen Einstieg leisten müssen – auch wenn der Bund für den Hochschulbau gar nicht zuständig ist. Ich habe aus dem Bundesanteil des Sondervermögens Geld für die Hochschulsanierungen angemeldet. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Bund nur einen Anreiz setzen kann, als Kofinanzierung für die inhaltlich zuständigen Länder.
Das klingt nach einem neuen Bund-Länder-Programm.
Auch hier gilt: Rasch und unbürokratisch sind die Zauberworte. Es geht um eine Schnellbauinitiative – und in der Tat suche ich mit den Ländern einen Weg, ob und wie wir aus den 400 Milliarden Euro des Bundes einen begrenzten Beitrag leisten können.
Unser Haus gibt fast nichts für Konsum, sondern so gut wie alles für Investitionen aus.
Um wie viel Geld geht es?
Die Forderung der Hochschulrektorenkonferenz, mindestens 38 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen und dann dauerhaft 2,6 Milliarden von Bund und Ländern jährlich, wird es sicher nicht werden. Wir sollten mit einem kleinen Programm starten, bei dem der Bund die Sanierungsbemühungen der Länder kofinanziert. Wir brauchen den Einstieg. Skalieren können wir später noch.
Der Finanzminister fordert von allen Ministerien Sparbeiträge. Sind Sie ausgenommen?
Wir können bei konsumtiven Ausgaben sparen. Bei Investitionen ist es schwierig. Und man muss einfach festhalten, unser Haus gibt fast nichts für Konsum, sondern so gut wie alles für Investitionen aus. Wir sind das Investitionsministerium.
Also sparen Sie nicht?
Ich bin noch in den Verhandlungen.
Sehen Sie da kein Effizienzpotenzial?
Wir müssen aufpassen, nicht am falschen Ende zu sparen. Die Methode Rasenmäher ist sicher nicht sinnvoll.
Wenn wir uns Ihre Aufgaben ansehen, kommt der Gedanke, Sie seien die wahre Wirtschaftsministerin im Kabinett. Teilen Sie den Befund?
Mir ist es wichtig, dass wir uns innerhalb der Bundesregierung als Einheit sehen. In Fragen der Gesundheitsforschung habe ich mit der Gesundheitsministerin geredet, bei „Jugend forscht“ die Preise zusammen mit der Jugendministerin vergeben und zu den Hochschulen mit der Bauministerin geredet. Ich halte nichts davon, sich gegenseitig als Konkurrenten zu sehen. Diese Regierung gewinnt entweder gemeinsam oder sie scheitert gemeinsam. Dazwischen gibt es nichts.
Aber warum machen Sie der Wirtschaftsministerin dann die Innovationsförderprogramme für Mittelstand, Industrie und strukturschwache Regionen streitig oder die Start-up-Förderung?
Wir haben einen deutlichen Organisationserlass. Wichtig ist, dass am Ende alle hinter dem Ergebnis stehen. Bis zum 1. August werden wir Klarheit haben.
Nach Ihrer Philosophie hätten Sie doch alles beim Alten belassen und zusammenarbeiten können – sogar bei der Raumfahrt.
Das Ministerium trägt die Raumfahrt im Namen, das ist gesetzt. Aber im Ernst: Auch ich musste Zuständigkeiten abgeben.
Netto haben sie Aufgaben hinzugewonnen.
Ja, aber daran werden wir doch nicht gemessen. Die Frage wird sein: Ist Deutschland in drei Jahren innovativer? Ist Deutschland forschungsfreundlicher? Haben wir die Wissenschaftsfreiheit als höchstes Gut geschützt? Läuft die Wirtschaft wieder und: Ist die Stimmung im Land endlich wieder eine bessere?
Bei alldem dürfte die Raumfahrt eine große Rolle spielen. Die Branche rechnet mit Wachstumsraten von bis zu zehn Prozent im Jahr und will vom Nischen- zum Volumenmarkt wachsen. Wie sieht Ihre Unterstützung aus?
Allein den Namen im Titel zu tragen, zeigt: Diese Regierung sieht Raumfahrt als wichtigen Zukunftsmarkt. Wir wollen deutlich mehr investieren und dazu unseren deutschen Anteil an der Europäischen Raumfahrtagentur Esa erhöhen.
Trump kürzt auch kräftig bei der Nasa. Ist diese Krise auch eine Chance?
Auch das zeigt: Die USA sind einerseits unsere wichtigsten Verbündeten. Aber andererseits dürfen wir uns nicht einfach blind auf die Amerikaner verlassen. Wir müssen zusammen mit den europäischen Partnern versuchen, unabhängiger und souveräner zu werden.
Deutschland und Frankreich planen einen Reset ihrer Zusammenarbeit, wozu auch eine Behörde zur Rüstungsforschung gehören soll – analog zur amerikanischen Darpa. Wie weit sind die Überlegungen fortgeschritten?
Wir haben bereits als Koalition verabredet, die Sicherheits- und Verteidigungsforschung auszubauen und Hemmnisse etwa bei der zivilen wie auch militärischen Nutzung von Forschungsergebnissen zu beseitigen. Dabei müssen wir die Naivität der Vergangenheit ablegen. Dazu konnte ich mich bereits mit meinem französischen Kollegen austauschen.
Wir haben gute, eigene Unternehmen, bei denen der Staat einkaufen sollte.
Heißt?
Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, wenn wir die Synergieeffekte aus der zivilen Forschung auch für militärische Zwecke nutzen und Potenziale gemeinsam heben.
Sollen Hochschulen da auch mehr mit der Rüstungsindustrie forschen?
Diese Kooperationen finden schon statt, etwa bei den Bundeswehrhochschulen. Aber in der Tat müssen die Beteiligten mehr aufeinander zugehen und Berührungsängste abbauen. Es gibt hier unterschiedliche Positionen, die gilt es in den kommenden Monaten im engen Austausch mit den Forschungscommunitys zu diskutieren.
Sprich: Die Bedeutung des Staates als Kunde in der Forschung wird wachsen?
Der Staat muss in allen Bereichen ein guter Kunde sein. Wir haben gute, eigene Unternehmen, bei denen der Staat einkaufen sollte. Auch das gehört zur Souveränität.
Frau Bär, vielen Dank für das Gespräch.
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