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„Die Vielfalt fehlt schon lange“: Tanja Walther-Ahrens zur Neuausrichtung des DFB

Tanja Walther-Ahrens wurde 1970 in Hessen geboren. Nach mehrmaligem Gewinn der Meisterschaft der Landesverbände mit dem hessischen Auswahlteam in den 80er-Jahren erfolgte nach dem Abitur der Umzug nach Berlin. Beginn des Studiums der Sonderpädagogik und Sportwissenschaften und der erfolgreichen Karriere in der Bundesliga von 1992 bis 1994 bei Tennis Borussia Berlin. In den USA erhielt sie ein Sport-Stipendium am William Carey College, Mississippi (1994 bis 1995). Bei Turbine Potsdam in der Bundesliga war sie von 1995 bis 1999. Noch heute ist sie eine immer noch leidenschaftliche Fußballerin in der Berliner Landesliga beim SV Seitenwechsel. Von 2006 bis 2016 Delegierte der European Gay and Lesbian Sport Federation (EGLSF). Von 2011 bis 2013 leitete sie die Arbeitsgruppe „Bildung“ als Teil der Kommission Nachhaltigkeit des Deutschen Fußball Bundes (DFB). Von 2013 bis 2015 saß sie im Präsidium des Berliner Fußball-Verbandes. Hauptberuflich ist sie Sonderpädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin. 2008 erhielt Tanja Walther-Ahrens zusammen mit Philipp Lahm und Dr. Theo Zwanziger den TOLERANTIA-Preis. 2011 den Augsburg-Heymann-Preis und den Zivilcouragepreis des Berliner CSD.

Die DFB-Kommission Nachhaltigkeit war für mich eine logische Konsequenz all meiner Bemühungen in den Jahren davor, über den Fußball in der Gesellschaft etwas zum Positiven zu verändern, wenn es um gegenseitigen Umgang geht. Mein Schwerpunktthema war und ist ein fairer und diskriminierungsfreier Umgang miteinander. Ich war davon überzeugt, dass diese Kommission ein gutes Werkzeug ist, um neue Ideen und Denkweisen im Fußball und seinen Strukturen zu verankern. Neue Sichtweisen entwickeln, die nicht nur das „Kerngeschäft“ (Fußball zu organisieren und Spiele durchzuführen) betreffen, sondern eben Miteinbeziehen, dass Fußball über das Spielfeld und die Spielzeit hinauswirkt.

Mein Aufgabenbereich war die Bildung. Diesen Begriff haben wir sehr weit gefasst und Ideen entwickelt, die zum einen innerhalb des Systems Fußball wirken sollten (z.B. durch die Weiterbildung von Trainer*innen), aber auch durch die Außenwahrnehmung des Fußballs (z.B. durch eine Sendung im TV mit dem DFB Maskottchen Paule, der die unterschiedlichsten Themen von „Wie werde ich Nationalspieler*in?“ bis hin zu „Was ist ein schwuler Pass?“ thematisierte) oder auch eine spezielle Website für Jugendliche, auf der sie interaktiv rundum über alle Themen informiert werden, die den Fußball betreffen. Beispielsweise: „Warum gibt es nicht mehr Frauenfußball im Fernsehen?“ oder „Können die Gehälter der Profis unendlich steigen?“ und „Gibt es homosexuelle Fußballer*innen?“ usw.

Das Einzige, was wir tatsächlich relativ weit entwickelt haben und was im Grunde noch in irgendeiner Schublade stecken muss, ist eine Fortbildung für Trainer*innen zur Lizenzverlängerung: „Spielend echt stark – Persönlichkeitsentwicklung bei Kindern und Jugendlichen“. Die Pilot-Fortbildung dazu hat in Barsinghausen stattgefunden und wurde von allen Teilnehmenden sehr positiv bewertet. Alle anderen Ideen wurden nicht aufgegriffen. Warum das so war, kann ich nicht wirklich sagen. Der Fußball und seine Organisationen sowie die handelnden Personen haben da Strukturen entwickelt, die es Menschen fast unmöglich machen, etwas in den Fußball hineinzutragen, was „nicht schon immer so gemacht wurde“. Vieles geht einfach nicht, kann gerade nicht ausprobiert werden oder, die beste Taktik: Wir reagieren nicht auf Anfragen, und irgendwann hat sich das Thema von selbst erledigt. Nachdem Theo Zwanziger kein DFB-Präsident mehr war, wurde die Kommission Nachhaltigkeit langsam eingeschläfert. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass sie sowieso nicht im DFB gewollt war.

Ich habe den DFB damals als ein sehr geschlossenes und vor allem verschlossenes System wahrgenommen. Zum einen gab es Theo Zwanziger, der sehr engagiert und offen unterschiedliche Themen angepackt hat: Treffen mit Fans; verantwortungsvoller Umgang mit Umweltthemen; gesellschaftliche Verantwortung gegenüber Menschen, die im und durch den Fußball diskriminiert werden etc. Zum anderen gab es immer wieder Menschen, die mir erklärt haben, dass das meiste nicht Aufgabe des DFB ist, oder dass es keine Möglichkeiten gibt, etwas zu verändern. Problematisch damals wie heute sind für mich die Strukturen, die es im Fußball gibt. Es trifft beispielsweise immer Ehrenamt auf Hauptamt. Da fängt dann das Machtgerangel schon an. Weiter geht es damit, dass Ämter über (mehrere) Jahrzehnte immer von denselben Männern besetzt sind. Egal welches Gremium ich mir anschaue - vom Präsidium über die Besetzung der Stiftungen - es gibt immer ein sehr ähnliches Bild. Die Vielfalt fehlt schon lange.

Ich finde, das macht sich auch im Fußball bemerkbar. Also da, wo es doch dem DFB so wichtig ist: auf dem Platz. Kinder und Jugendliche finden Fußball nicht mehr so attraktiv wie früher. Es wird ein Sport von gestern, wenn sich nicht Grundlegendes ändert.

Beim DFB (und auch seinen Mitgliedsverbänden) muss sich einiges ändern. Sie sind mindestens mittelständische Unternehmen, der DFB eher ein großes Unternehmen. So sollten sie sich auch verhalten und langsam in der Jetztzeit ankommen. Ich habe immer geglaubt, dass Frauen irgendwann ihren Weg in die höheren Positionen des DFB finden. Inzwischen bin ich davon überzeugt, dass wir eine Quote brauchen - sonst bewegt sich in den nächsten Jahren nichts.

Was braucht der DFB also? Mut! Endlich neue Wege zu gehen. Alte Strukturen einreißen, sich auf Neues einlassen. Dinge ausprobieren. Nichts muss sofort gelingen. Einzugestehen, dass ein Weg vielleicht doch nicht der richtige ist, ist ja keine Niederlage. Für mich fängt die Niederlage eher da an, wo ich erst gar nicht ausprobiere, ob etwas funktionieren könnte.

Der DFB ist ja keine Maschine, sondern ein Konstrukt aus Menschen. Menschen können lernen, sich verändern. Ich merke an mir immer wieder, wie viel ich in den letzten 10 bis 15Jahren gelernt habe. Das war nicht immer einfach, und manchmal muss ich dann auch aus meiner Komfortzone heraus, aber es ist eine große Bereicherung. Prinzipiell könnte ich mir vorstellen zu schauen, wo und wie sich queere oder Gender-Themen im Verband unterbringen lassen. Und natürlich ist mir auch ein diskriminierungsfreier Umgang ein großes Anliegen. Da gibt es im Verband und im Fußball jede Menge Ansatzpunkte.

Mein Engagement hat begonnen mit dem Einsatz gegen die Diskriminierung von queeren Menschen im Fußball. Als Frau, als Lesbe, als Mutter von Kindern, die nicht mit irgendwelchen Rollenzuschreibungen groß werden sollen, liegen mir diese Themen immer noch sehr am Herzen. Ich finde, es ist höchste Zeit, sich um Inhalte zu kümmern und nicht mehr nur ein Logo bunt anzumalen. Eine Regenbogenfahne vor der DFB-Zentrale ist ein schönes Symbol, aber leider inhaltsleer, wenn diese Farben nicht gelebt werden. Ich bin nicht nur am 8. März eine Frau und ich bin auch nicht nur im Pride-Monat Juni eine queere Person! Fußball ist mir eine Herzensangelegenheit, deswegen wäre es mir auch so wichtig, dass dieser Sport und seine Organisationen endlich verstehen, welche Wirkung sie in der Gesellschaft haben.

  • Ist der DFB bereit für einen Neuanfang?

  • Tanja Walther-Ahrens: Sportlich vielfältig oder Sport ohne blöde Lesben und olle Schwuchteln. In: CSR und Sportmanagement. Jenseits von Sieg und Niederlage: Sport als gesellschaftliche Aufgabe verstehen und umsetzen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. 2. Auflage, SpringerGabler Verlag. Heidelberg, Berlin 2019, S. 25-38.

  • Tanja Walther-Ahrens: Seitenwechsel. Coming-out im Fußball. Gütersloher Verlagshaus 2011.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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