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Die Zukunft der deutschen Industrie

Eine nachhaltig erfolgreiche Transformation der deutschen Industrie in Richtung klimaneutraler Produktionsprozesse ist dringlich und von enormer Bedeutung für das Erreichen des Ziels der Klimaneutralität bis 2045. Um es zu erreichen, müssen die Emissionen im Industriesektor drastisch gesenkt und die Transformationsprozesse deutlich beschleunigt werden.

Der Anteil der Industrie an den gesamten deutschen Treibhausgasemissionen liegt derzeit bei etwa 20 Prozent. Besonders energieintensive Industrien sind für einen überproportionalen Anteil des CO₂-Ausstoßes in Deutschland verantwortlich. Zu den drei besonders emissionsintensiven Branchen gehören die Eisen- und Stahlindustrie, die chemische Industrie und die Zementindustrie.  Die Treibhausgase müssen in den nächsten Jahren drastisch reduziert werden, um internationale Klimaverpflichtungen einzuhalten und steigenden CO₂-Preisen langfristig standzuhalten. Die Studie "Klimaneutrales Deutschland – Von der Zielsetzung zur Umsetzung" des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie zeigt, welche Technologien  ausgebaut und welche politischen Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die nachhaltige Transformation zu ermöglichen. Mit dem Szenario "Klimaneutrales Deutschland 2045" wurde im Jahr 2021 erstmals aufgezeigt, wie Deutschland bis 2045 klimaneutral werden und bis 2030 seine Treibhausgasemissionen um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 senken kann. Ca. drei Jahre später war absehbar, dass die für 2030 festgelegten sektorspezifischen Treibhausgasminderungsziele des Bundes-Klimaschutzgesetzes (zumindest hinsichtlich der Sektoren Verkehr und Gebäude) wahrscheinlich nicht eingehalten werden können. Zu den weiteren Herausforderungen und Entwicklungen gehören die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine, Ankündigungen aus den USA zur Einführung von Zöllen beziehungsweise zu deutlichen Erhöhungen, geopolitische Spannungen, die neue Erstattungspflicht für Unternehmensberichte der EU (CSRD), Verschärfung des EU-Emissionshandels (nach der bereits etwa ab dem Jahr 2040 keine neuen CO2-Zertifikate für die Industrie und die Energiewirtschaft mehr verfügbar sein werden).

Die zentrale Ergebnisse der aktuellen Studie:

  • Biomasse sollte vorrangig stofflich genutzt werden oder zur Sicherung von Negativemissionen, in Kombination mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS).

  • Carbon Capture and Storage (CCS) leistet einen notwendigen Beitrag zur Klimaneutralität und sollte primär im Verbund mit technisch unvermeidbaren CO2-Strömen in der Zement- und Kalkindustrie sowie der Abfallwirtschaft zur Anwendung kommen. Auch bei einzelnen Punktquellen der Stahl- und chemischen Industrie kann CCS mittelfristig zur schnellen CO2-Minderung beitragen (langfristig in Kombination mit Biomasse zur Sicherung von Negativemissionen). Ein zu starker Fokus auf fossiles CCS in diesen Branchen birgt jedoch Risiken für Lock-In-Effekte und Wettbewerbsfähigkeit.

  • Der Ausstieg aus der traditionellen Hochofen-Technologie in der Stahlindustrie könnte durch eine Umstellung auf Direktreduktionsanlagen bereits bis 2035 erreicht werden.

  • Klimaneutralität wird ohne den Einsatz von Abscheide- bzw. Negativemissionstechnologien, welche den verbliebenen Ausstoß in den Produktionsprozessen abfangen und verwerten, nicht zu erreichen sein (zu diesen Technologien gehören Carbon Capture and Usage/CCU und Carbon Capture and Storage/CCS).

  • Kunststoffabfälle und Nebenprodukte aus Chemieparks können verstärkt recycelt werden und so fossile Rohstoffe der Chemieindustrie ersetzen.

  • Die Prozesswärme-Bereitstellung kann und sollte weitgehend elektrifiziert werden. Der Stromverbrauch der Industrie würde sich so zwar verdoppeln, aber gleichzeitig ließe sich der Erdgasverbrauch bis 2040 auf nahezu Null senken.

  • Die Verwendung von CO2-intensivem Zementklinker kann langfristig um mehr als 40 Prozent reduziert werden.

Die Transformation zur klimaneutralen Industrie stellt zwar enorme Herausforderungen dar, bietet aber auch zahlreiche Chancen für eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft (z.B. Entstehung neuer Geschäftsmodelle und Zukunftstechnologien) und Vorteile. Dazu gehören die Sicherung von Arbeitsplätzen, der Schutz von Natur und Umwelt, Stärkung der Resilienz der deutschen Wirtschaft gegenüber externen Schocks, Erhalt des Wohlstands sowie Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Um diese Vorteile nachhaltig nutzen zu können, bedarf es entsprechender Strategien und Voraussetzungen. Dazu gehören:

  • Biodiversitätsförderung: Maßnahmen zur Förderung der biologischen Vielfalt sollten soweit wie möglich in Industrieprojekte integriert werden, wie beispielsweise die Schaffung von Biotopverbünden

  • Kompensationsmaßnahmen: Für unvermeidbare Eingriffe in die Natur im Zuge der Industrie-Transformation sollten ökologische Ausgleichsmaßnahmen durchgeführt werden

  • konsequentere Förderung und Stärkung der Kreislaufwirtschaft (Minderungen des Primärmaterialbedarfs durch mehr Materialeffizienz, längere und intensivere Produktnutzungen, konsequentes Recycling von Altmaterialien, Minimierung der Klimabelastungen und des Ressourcenverbrauchs)

  • Planungssicherheit

  • Umstellung großer Teile des Prozesswärmebedarfs von fossilen (überwiegend importierten) Energieträgern auf inländisch (und europäisch) erzeugten erneuerbaren Strom (Senkung der Abhängigkeit Deutschlands vom außereuropäischen Ausland)

  • Suffizienz: Politische Rahmenbedingungen sollten so angepasst werden, dass sie suffiziente Lebensstile befördern, um nicht nur Energie, sondern auch Ressourcen einzusparen

  • Wassermanagement: Wassersparende Technologien in der Industrie sollten entwickelt und implementiert werden. 

  • entschlossene politische Weichenstellungen: dynamischer weiterer Ausbau der erneuerbaren Energien, ein Aus- und Umbau verschiedener Infrastrukturen, veränderte politische Rahmenbedingungen für die Anreizung von Investitionen in klimaneutrale Anlagen sowie eine ausreichende gesellschaftliche Akzeptanz für den Transformationsprozess.

Weiterführende Informationen:

  • Ulrike Böhm: Die Macht der kleinen Schritte. Wie man als mittelständisches Unternehmen zum Klimaretter wird. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.

  • Ulrike Böhm, Stefanie Kästle, Julia Sulzberger: Ein Mittelständler auf dem Weg zur Klimaneutralität. In: Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.

  • CSR und Energiewirtschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. Springer-Verlag Berlin Heidelberg. 2. Auflage 2020.

  • Helen Landhäußer: Klimaneutralität durch Digitalisierung – von der Transformation analoger Technologien und GreenTech Unicorns. In: Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.

  • Stefanie Kästle und Werner Landhäußer: Druckluft 4.0 goes green: Herausforderungen, Chancen und innovative Lösungen am Beispiel der Mader GmbH & Co. KG. In: CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage, SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin 2021.

 

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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