Dr. Alexandra Hildebrandt

Die Zukunft des kulturellen Erbes war früher auch besser

Diese Anbauten an das historische Isartor, in dem sich das „Valentin Karlstadt-Musäum“ befindet, sind einfach scheußlich, aber zwingend erforderlich und zwar aus Feuerschutzgründen und um Barrierefreiheit zu ermöglichen. Der Denkmalschutz wird damit aber erhebliche Probleme haben, diesen hässlichen Anbauten zuzustimmen. Es geht im „Valentin Karlstadt-Musäum“ nur eine enge, spiralenförmige Treppe nach oben. Bei einem Brand gibt es bislang kein Entrinnen. Außerdem können Behinderte mit ihren Rollstühlen die Ausstellung nicht besuchen, es sei denn jemand trägt sie die enge Treppe nach oben.

Das ist nicht ganz auszuschließen. Vielleicht muss nun auch das „Valentin-Karlstadt-Musäum“ zur Gewährleistung von Barrierefreiheit und aus Feuerschutzvorgaben nach Bernried an den Starnberger See umziehen, wo schon das seltsame „Haus des Humors“ platziert werden soll, weil man in München dafür keinen Platz findet.

Als ich 2007 die „Valentin-Karlstadt-Gesellschaft n.e.V.“ gegründet habe, setzten sich die Mitglieder für die Errichtung eines stattlichen „Karl Valentin-Zentrums“ in München ein und dies aus folgender Überlegung. Wenn es stimmt – und es stimmt ohne Zweifel –, dass Valentins künstlerische Bedeutung für Europa ähnlich groß ist wie die Charly Chaplins für Amerika und die beider Künstler für die Welt, dann muss ihre Bedeutung auch entsprechend präsentiert und transparent gemacht werden.

Ja, 2012 erhielt der 1988 verstorbene Charlie Chaplin für 60 Millionen Schweizer Franken am Genfersee ein stattliches Museum, das jährlich 300 000 Besucher an die Schweizer Riviera lockt. Ein 14 Hektar großes Anwesen wurde zu einer interaktiven Erinnerungsstätte für den berühmten Schauspieler umfunktioniert. Auf 3000 Quadratmetern entstanden Ausstellungsräume voller Memorabilien, die dem Werk und dem Leben von Chaplin huldigen. Es gibt Kinosäle, eine Freilichtbühne und einen herrlichen Park. Der Einsatz neuer Technologien spielt eine große Rolle: Mit Szenografie, mit animierten Kulissen, Multimedia, 3D- und HD-Bildern, Surround-Akustik, verschiedenen Spezialeffekten und Kino werden die Inhalte der Schau präsentiert. Der

Gemeinderat von Corsier stimmte dem Großprojekt zu. Finanziert wurde das Museum mit privaten Geldern und einer symbolischen Unterstützung des Kantons. Und das alles, obwohl Chaplin kein gebürtiger Schweizer ist. Davon kann München nur träumen.

Ja, das kann man so sagen. Auch in Frankfurt am Main wird in einem „Charly Chaplin Museum“ Leben und Werk des amerikanischen Komikers vorgestellt. Das Archiv umfasst über 6000 Einzelstücke, darunter Bücher, Zeitschriften, Plakate, Schallplatten, Fotos, Noten, Werbematerial, Kitsch und Kunst. Kernstück sind an die 450 verschiedene Kopien der rund 80 Chaplin-Filme, einschließlich der Dokumentar- und Werbefilme. In regelmäßigen Filmvorführungen werden Chaplin-Filme präsentiert. Weitere Chaplin-Museen in anderen Teilen der Welt sind angedacht.

Die Vorstellung der Mitglieder der „Valentin-Karlstadt-Gesellschaft“, von der Stadt München ergänzend zum „Valentin-Karlstadt-Musäum“ ein eigenes großes Haus, also ein sogenanntes „Valentin-Zentrum“ zur Verfügung gestellt zu bekommen, rückte vor allem aus finanziellen Gründen nur allzu bald in weite Ferne.

In diesem stattlichen Zentrum sollen alle auf Valentin-Karlstadt bezogenen Aktivitäten unter einem Dach gebündelt und alle Aktivitäten für Valentin und die Karlstadt konzentriert werden. Das Ziel ist, dass schließlich ganz München – so wie etwa Salzburg längst die „Mozart-Stadt“ ist – sich zu dem Titel „Valentin-Karlstadt-Stadt“ bekennt, waren die beiden München doch mit Leib und Seele verfallen. In diesem Zentrum können, ergänzend zu den Ausstellungen und Veranstaltungen des „Valentin-Karlstadt-Musäums“, Künstlerinnen und Künstler aller Richtungen endlich zeigen, was ihnen und der Stadt das weltberühmte Komikerpaar bedeutet und wie die beiden die Welt der Kunst in allen Bereichen beeinflusst haben und immer noch beeinflussen.

Valentin war ja nicht nur ein einfacher Komiker, er war ein Schauspieler und Clown, ein Volkssänger und Moritatensänger, ein Liedparodist und Instrumentalmusiker, ein Sammler und Museumsdirektor, ein Handwerker, Bildender Künstler und Avantgardist, ein bedeutender Filmemacher, Stückeschreiber und Verleger. In welcher Kunstsparte auch immer, jede Künstlerin und jeder Künstler kann in diesem Zentrum auf seine ganz persönliche Art und Weise daran mitwirken, Valentin und die Karlstadt zum Leben zu erwecken. Mit den unterschiedlichsten Aktivitäten – Ausstellungen, Film- und Theateraufführungen, Lesungen und anderen Aktionen – soll Valentin und der Karlstadt jene Aufmerksamkeit zuteilwerden, die dieses bedeutende Multimediakünstler-Paar von Weltrang längst verdient hat und dafür setzen sich auch die Mitglieder der „Valentin-Karlstadt-Gesellschaft“ auf die eine oder andere Weise ein. Denn längst ist es an der Zeit, dass München endlich zur „Valentin-Karlstadt-Stadt“ erhoben wird.

Weil München dafür kein Geld übrig hat, wie das in der Schweiz und in Frankfurt für Charly Chaplin der Fall war. Und deshalb „wird das wohl so sein müssen“, um mit Valentin resigniert zu seufzen. Schon nach Valentins Tod hatte München kein Geld, um für lumpige 10 Tausend Mark seinen gesamten Nachlass zu kaufen. Es war Köln, das 1949 den Valentin-Nachlass aus Planegg wegtransportierte, weil ihn die Münchner nicht haben wollten, aber auch andere Städte, z.B. Berlin, denken längst ernsthaft darüber nach, dem genialen Tragikomiker-Paar ein würdiges Zentrum zu errichten. Wenn das einmal geschieht, dann können die Münchner mit Reisebussen dorthin pilgern, wo künftige Valentin-Zentren stehen werden, über deren Eingängen dann womöglich Valentins Klage zu lesen sein wird.

Kurz vor seinem Tod schrieb Valentin an den von ihm verehrten Kiem-Pauli die bedenkenswerten Worte, eigentlich sein Testament:

„Ich habe meine lieben Bayern und speziell meine lieben Münchner genau kennen gelernt. Alle anderen mit Ausnahme der Eskimos und Indianer haben mehr Interesse an mir als meine Landsleute und deshalb will ich meine Kultursammlungen lieber Sachsen, Württemberg oder Norddeutschland testamentarisch zum Geschenk machen, unter keinen Umständen aber meinem geliebten Heimatland Bayern, am allerwenigsten meiner Vaterstadt München.“

Wie es aussieht, geht Valentins Wunsch auch in Erfüllung.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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