Diese Bürokrankheiten brachte die Pandemie und Homeoffice mit sich
Viele Menschen leiden unter Bürokrankheiten wie Tennisellenbogen oder Burnout. So funktioniert effektive Vorsorge in der Firma und im Homeoffice.
Maus auf einem Magazin, das zwischenzeitlich als provisorisches Mauspad dient. Schnell vergehen zwei Stunden, in denen keine Regung ausser in den Händen passiert, ob Klicks oder das Fliegen der Finger über die Tastatur. Unbewusst lehnte man sich zu nah an den Bildschirm, den Rücken steif und krumm. Ergonomisches Arbeiten – fehl am Platz.
Viele Büromitarbeitende verbringen mittlerweile seit gut zwei Jahren einen grösseren oder kleineren Teil ihrer Arbeitszeit im Homeoffice. Dennoch haben sich die ergonomischen Voraussetzungen nicht unbedingt verbessert. Das hat Folgen: Typische Büroleiden wie Rücken- und Muskelprobleme häufen sich.
«Wir erhalten vermehrt Anfragen von Mitarbeitenden, die im Homeoffice arbeiten», meint Quintin de Groot, Physiotherapeut im Kantonsspital Winterthur (KSW). Als Ergonomieverantwortlicher ist er dafür zuständig, Mitarbeitende direkt zu schulen oder am Arbeitsplatz zu instruieren.
Eine korrekte Arbeitsplatzeinstellung beugt nicht nur Rückenschmerzen vor, sondern auch versteckten Leiden, bei denen man zuerst andere Ursachen vermutet. So auch bei der Diagnose Tennisellenbogen, einem geschwollenen, geröteten und schmerzenden Ellenbogen. «Hier achten die Patienten und Patientinnen bei der Ursachenforschung häufig nicht auf ihre Arbeitshaltung», weiss de Groot. Ein schmerzender Ellenbogen entsteht nämlich gerne, wenn der Schreibtisch zu niedrig oder der Bürostuhl zu hoch eingestellt ist.
Bei einem Burnout zur Physio
Grundsätzlich rät der Experte zu viel Bewegung, nicht nur bei physischen, sondern auch psychischen Problemen. Generell werden diese beiden im KSW holistisch behandelt und nicht voneinander unterschieden. Doch wie kann ein Physioteam, spezialisiert auf den Bewegungsapparat, in psychischen Belangen helfen?
«Bei vielen Patientinnen und Patienten mit psychiatrischer Komorbidität reduzieren körperliche Aktivitäten, Trainings und Entspannungsstrategien den Leidensdruck stark.» Sprich: Wenn zusätzlich zu einer Grunderkrankung ein weiteres, diagnostisch abgrenzbares Krankheitsbild oder Syndrom vorliegt, können der Physiotherapeut und die Ergotherapeutin durch Bewegungen und Training helfen, wieder mentale Gesundheit zu erreichen.
De Groot empfiehlt, nach dem Leitsatz «Die nächste Position ist stets die beste Position» zu arbeiten. Ein zu langes Verharren in derselben Haltung führt schneller zu Beschwerden als regelmässiges Aufstehen, Gewichtverlagern und Laufen zum Telefonieren. Auch die Bildschirmplatzierung hat Einfluss: Der Monitor sollte so eingestellt sein, dass der Kopf leicht nach unten geneigt ist. Die oberste Bildschirmzeile sollte also nicht höher als die Augenhöhe liegen, so wird eine rückenschonende Haltung eingenommen.
Büroalltag – nicht nur gefährlich für den Bewegungsapparat
Den krummen Rücken am Küchentisch mit einer geraden Haltung ersetzt, den Monitor korrekt positioniert – trotzdem machen sich unterschwellig Kopfschmerzen bemerkbar, die Augen brennen, jucken oder sind gerötet. Es entsteht das Gefühl, einen Fremdkörper drin zu haben, man versucht ihn wegzublinzeln und merkt, wie lange man nicht mehr geblinzelt hat. Handelt es sich um Rückenschmerzen und Burnout, findet man online Ratgeber en masse, doch eine weitere typische Bürokrankheit geht dabei gerne unter: trockene Augen und das sogenannte Office-Eye-Syndrom.
Dieses Problem hat auch Michée Vonlanthen erkannt. Er selbst leidet bereits seit Jahren an trockenen Augen und damit einhergehenden chronischen Schmerzen. Bis die richtige Diagnose gefunden wurde, verstrich eine Menge Zeit. «Viele Ärzte kannten das Phänomen noch gar nicht, das hat sich heute schon um einiges verbessert», meint der 43-Jährige. Er führt das vor allem auf die Komplexität des Krankheitsbildes zurück: «Trockene Augen haben unterschiedliche, individuelle Ursachen.»
Fast 20 Prozent der Menschen, die bei Augenärzten ein und aus gehen, beschreiben Symptome, die bei trockenen Augen auftreten. Sie entstehen, wenn der Augapfel mit zu wenig Tränenflüssigkeit versorgt wird. Das Phänomen wird auch Office-Eye-Syndrom (zu Deutsch: Büroaugen-Syndrom) genannt, weil man durch das lange Starren in einen Bildschirm automatisch weniger blinzelt.
Ein statischer Screen statt flimmerndes LED
Am schlimmsten empfinde Vonlanthen das Sitzen an einem Bildschirm: «Länger als 10 Minuten ist es mir nicht möglich, an einem LED-Schirm zu arbeiten.» Nach Recherchen ist er dann auf die E-Ink-Bildschirme gestossen – zu Deutsch «Online-Tinte». «Es ist, als würde man auf Papier schauen», so Vonlanthen.
Die Technologie ist dieselbe, die man bereits von E-Readern wie Kindle und Tolino kennt, nur verhält sich die Anpassungszeit um einiges schneller. Vonlanthen attestiert: «Ich habe keine Verzögerung im Bild.» Die Anzeige von E-Ink-Bildschirmen ist statisch und flimmert nicht wie bei herkömmlichen LED-Anzeigen, das entspannt nicht nur die Augen, sondern auch Nacken- und Stirnmuskeln.
Jeder Vorteil birgt auch Nachteile
«Natürlich geht man einen Kompromiss ein», ergänzt Vonlanthen, «die Bildschirme können nur Schwarz-Weiss- und Grautöne anzeigen.» Deshalb empfehle er sie vor allem Leuten, die schreiben, programmieren oder recherchieren müssen.
Auf die Frage, ob er es sich vorstellen kann, dass die Bildschirme eines Tages auch Farben zeigen können, stimmt er einen optimistischen Ton an: «Es gibt bereits E-Reader, die gewisse Farben produzieren können, daher kann ich es mir vorstellen, dass Hersteller von E-Ink-Monitoren diese Technologie in Zukunft auch implementieren werden.» Dass es so hochauflösend wie bei einem LED-Bildschirm angezeigt wird, bezweifelt er aber.
Im Moment streckt der Unternehmer seine Fühler aus und kontaktiert Augenkliniken und Ophthalmologen. Er möchte mehr Aufmerksamkeit für das Problem schaffen. Sein Ziel? «Ich würde es mir wünschen, dass die Bildschirme sich als Alternative und Zweitbildschirme durchsetzen.»
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Mit einfachen Mitteln zum Erfolg
Ob die individuelle Beratung direkt am Arbeitsplatz oder das Auswechseln eines LED-Bildschirms mit einem Dasung: Das mittlerweile fest im Berufsalltag implementierte Homeoffice hat die Thematik zur Vorbeugung der typischen Bürokrankheiten nochmals aufgerollt.
Gut zu wissen also, dass den grössten Übeln mit kleinen Massnahmen vorgebeugt werden kann und auch der Küchentisch zu einem ergonomisch gut eingerichteten Arbeitsplatz umfunktioniert werden kann.
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