Diese sechs Dinge werden in einer Post-Corona-Arbeitswelt zum Auslaufmodell
Chefs und Mitarbeiter müssen sich auf neue Realitäten einstellen. Was „Asynchronität“ bedeutet und warum es sich lohnt, die Arbeitswoche strategisch zu planen.
Düsseldorf. Die Zeichen stehen weiter auf Besserung in der Pandemie. Anfang des Monats gab das Robert-Koch-Institut bekannt, dass deutlich mehr Erwachsene in Deutschland geimpft sein könnten, als die offiziellen Zahlen vermuten lassen.
Vieles könnte damit in den kommenden Monaten wieder in Richtung eines Normalzustands gedreht werden. Und trotzdem dürfte in der Arbeitswelt einiges anders bleiben.
Gerade hochqualifizierte Wissensarbeiter werden die Veränderungen am deutlichsten spüren. Von dem Ort, an dem sie arbeiten werden, über die Technologien, die sie dabei nutzen, bis hin zu den Kriterien, mit denen sich künftig Karriere machen lässt. Hier sind sechs Punkte, die nach Corona in der Arbeitswelt zum Auslaufmodell werden dürften:
1. Das Büro als einziger Arbeitsplatz
Weniger pendeln, dafür mehr Flexibilität: Sowohl Angestellte als auch Führungskräfte haben in Lockdown-Zeiten festgestellt, dass die Heimarbeit in der Krise gut funktioniert hat. Das zeigt zum Beispiel eine Befragung des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation unter 500 Personalverantwortlichen. Danach gaben 90 Prozent an, dass die Heimarbeit keine Nachteile für das Unternehmen gehabt habe.
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„Homeoffice wird ein Teil unserer Arbeitswelt bleiben – aber nicht in Vollzeit und nicht für alle“, sagt Nicholas Bloom. Der britisch-amerikanische Ökonom von der Stanford University schätzt, dass in Ländern wie Amerika, Großbritannien und Deutschland rund die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung etwa zwei Tage die Woche von zu Hause aus arbeiten wird, die meisten von ihnen: Wissensarbeiter.
Das bedeutet aber auch, dass die andere Hälfte des Arbeitsmarkts – Kassiererinnen, Erzieher, Ärzte, aber auch Bandarbeiter – gar nicht in den Genuss des Homeoffice-Privilegs kommt. Das kann vor allem in Betrieben mit viel Produktion zum Kulturproblem werden. So warnte beispielsweise Bosch-Chef Volkmar Denner schon vergangenes Jahr im Handelsblatt vor „Spannungen, die den Zusammenhalt gefährden“, wenn ein Teil zu Hause arbeiten kann, der andere aber nicht.
2. Die Verlässlichkeit eines Nine-To-Five-Jobs
Das Zauberwort der neuen Normalität heißt „Asynchronität“. Das bedeutet: Jeder arbeitet zu den Zeiten, die am besten in das eigene Leben passen. Geregelte Arbeitszeiten werden damit unter den meisten Wissensarbeitern zum Auslaufmodell.
Der Vorteil ist maximale Flexibilität: Junge Eltern können etwa ein paar Stunden tagsüber und dann noch mal ein, zwei Stunden am Abend arbeiten. Wer gerne Sport treibt, startet dagegen womöglich ein paar Stunden später in den Tag.
In einer Befragung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY unter 1000 Arbeitnehmern erklärten 84 Prozent der Befragten, dass sie bis 2030 „vollkommen ortsunabhängig“ arbeiten wollen. 78 Prozent nannten als Zukunftswunsch vollkommene Flexibilität.
Ein zweischneidiges Schwert: So zeigte eine Studie in 15 EU-Ländern bereits 2017, dass Angestellte im Homeoffice zwar mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen, sie unterm Strich aber mehr arbeiten und die Grenzen zwischen persönlichem und beruflichem Leben stark verwischen.
Länder wie Frankreich oder die Slowakei steuern deshalb bereits gegen und haben Gesetze erlassen, die Beschäftigten ein Recht auf Nichterreichbarkeit geben. Im Januar 2021 nahm sich auch das Europäische Parlament des Themas an. In Deutschland haben zum Teil schon vor Corona große Konzerne wie Allianz, Bayer oder Telekom Regelungen eingeführt, die eine permanente Erreichbarkeit von Angestellten verhindern sollen.
3. Erwarten, dass jemand sofort auf eine Anfrage antwortet
Asynchrones Arbeiten und uneinheitliche Feierabend-Definitionen führen auch dazu, dass sich unsere Kommunikation im Arbeitskontext radikal verändert. Angestellte und insbesondere Führungskräfte müssen dabei lernen, nicht immer sofort eine Antwort des Gegenübers zu erwarten. Gleichzeitig befeuern Teammessenger wie Slack oder Teams genau diese Erwartungshaltung, denn die Kommunikation über die Tools ist wesentlich schneller.
Was hilft, sind klare Statusmitteilungen in den Messenger-Apps. Außerdem wurden die Teamchats in den letzten Monaten Stück für Stück optimiert, um die Kommunikation zu entschleunigen. So gibt es zum Beispiel automatische Bitte-nicht-stören-Benachrichtigungen, wenn Angestellte gerade in einem Meeting sind und ihren – hoffentlich gut gepflegten – Kalender für die Tools freigegeben haben.
Slack bietet außerdem direkt im Chat die Möglichkeit, Videokommentare aufzuzeichnen. So können Mitarbeiter auch komplexe Prozesse wie eine neue Produktentwicklung oder Ähnliches vorantreiben, ohne dass sich dazu mehrere Leute in einem Meeting virtuell oder real versammeln müssen. Sowohl Slack (Link hier) als auch Microsoft (Link hier) haben Tipps zum effektiven asynchronen Arbeiten auf ihren Seiten zusammengestellt.
4. Jahrzehntelange Treue zum Arbeitgeber
In der Coronakrise haben sich viele Hochqualifizierte von ihren Arbeitgebern abgewendet. In Amerika, wo für solche Phänomene schnell ein Name gefunden wird, sprechen Personalexperten von „Great Resignation“ oder „Big Quit“ – dem großen Aus am Arbeitsmarkt per Kündigung.
In Deutschland deutet die Faktenlage in eine ähnliche Richtung: Laut dem jüngsten Gallup-Engagement-Index, einer der größten Arbeitnehmerbefragungen der Welt, überlegte mehr als ein Drittel der Deutschen in diesem Jahr, den Job hinzuschmeißen. So viele wie nie. Gleichzeitig sind nicht nur Lkw-Fahrer, sondern auch qualifizierte Fachkräfte extrem schwer zu finden. Viele ausgeschriebene Stellen bleiben unbesetzt.
„Wir sehen seit einigen Monaten eine steigende Tendenz, dass Menschen eher bereit sind zu kündigen“, sagt Andreas Knodel von der Personalberatung Kienbaum. Dahinter stecken aus Knodels Sicht drei Gründe:
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Erstens seien Branchenwechsel einfacher geworden.
Zweitens sei die Nachfrage nach guten Fachkräften aktuell sehr hoch.
Und drittens „erlauben immer mehr Arbeitgeber eine flexible Wahl des Arbeitsortes“, sagt Knodel.
Heißt: Privilegien wie Homeoffice sind nichts Besonderes mehr, sondern Normalität. Das führt bei der ein oder anderen Angestellten zu Wechselgedanken.
Um den Trend umzukehren, bedarf es Führungskräfte, die „die zentralen Bedürfnisse am Arbeitsplatz erfüllen“, sagt Marco Nink von Gallup in Deutschland. „Eine Führungskraft, die dies tut, klärt Erwartungen, definiert gemeinsam mit den Mitarbeitenden klare und erreichbare Ziele, setzt Prioritäten, steckt Verantwortlichkeiten ab und sorgt dafür, dass alles vorhanden ist, was effektives und effizientes Arbeiten ermöglicht. Der Schlüssel für Loyalität sind die Führungskräfte.“
5. Die Angst vor Robotern als Jobkiller
In der Pandemie halfen Roboter manchem Industrieunternehmen, Abstand zu wahren und die Produktion aufrechtzuerhalten. Experten gehen davon aus, dass der Trend auf Dauer anhält. 450 Millionen US-Dollar ist der Markt für kollaborierende Roboter, sogenannte Cobots, weltweit schon heute wert. Bis 2030 dürften die Umsätze mit den Robotern im Arbeitskontext auf acht Milliarden Euro klettern, schätzen die Analysten von ABI Research.
Auch in Deutschland ziehen die Aufträge für kollaborative Industrieroboter an. „Die Impulse aus der Cobotik schwappen auch stark auf die großen Roboter über“, sagt Wilfried Eberhardt, Vorsitzender des Fachverbands Robotik + Automation beim Maschinenbauverband VDMA. So sei einfache Bedienung und Programmierung inzwischen auch bei schweren Industrierobotern ein Thema.
Auch in reinen Wissensbetrieben setzen Unternehmen immer stärker auf Automatisierung. Das beginnt oft schon im Bewerbungsprozess. So schätzen Experten, dass Arbeitgeber in der Post-Pandemie-Ära vermehrt auf Technologien wie Künstliche Intelligenz, Chatbots oder Virtual Reality im Recruiting setzen.
Angst um den Job müssen sich angesichts der zunehmenden Automatisierung nur die wenigsten machen. So sind laut einer Analyse der Beratung Deloitte zu Technologien in der Arbeitswelt bis 2035 im Schnitt immer noch zwei Drittel der Tätigkeiten, die ein berufstätiger Mensch im Joballtag verrichtet, nicht durch technische Lösungen zu ersetzen. Außerdem werden mehr neue Jobs geschaffen, als technologiebedingt wegfallen.
6. Spontane Unterhaltungen mit dem Chef
Sichtbarkeit ist schon immer wichtig, um im Berufsleben voranzukommen. Wer im „New Normal“ Karriere machen will, muss seine Arbeitswoche jedoch deutlich strategischer planen als bisher – und die eigenen Präsenztage am besten am Chef ausrichten.
Das Forschungsteam um Stanford-Ökonom Bloom hat in seinen Umfragen herausgefunden, dass die beliebtesten Homeoffice-Tage Montag und Freitag sind. Die logische Erklärung: Gerade zum Wochenstart und -ende haben die wenigsten Leute Lust, Zeit im Stau oder der U-Bahn zu verbringen. Der unbeliebteste Homeofficetag ist der Mittwoch – heißt: An diesem Tag wird es besonders voll im Büro. Das kann für Smalltalk mit dem Chef nachteilig sein. Denn: Die Konkurrenz ist groß.
Wer beispielsweise weiß, dass die eigene Führungskraft in der Regel auch an den Randtagen Montag und Freitag ins Büro kommt, kann seine eigenen Themen in einem deutlich ruhigeren Umfeld an diesen Tagen platzieren. Wer wiederum mit dem Team auf Tuchfühlung gehen will, sollte schauen, dass er einen beliebten Office-Tag für ein Treffen in der Kantine oder anderswo heraussucht, also Mittwoch oder Donnerstag.
Im „New Normal“ muss man Spontanität hin und wieder erzeugen. Gewöhnen Sie sich schon mal daran.
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