Diesen ZF-Werken droht die Schließung
Jeder dritte deutsche Standort des Autozulieferers ZF könnte geschlossen werden. Eine exklusive WirtschaftsWoche-Analyse zeigt, welche Standorte gefährdet sind.
Das Wetter passt zur Stimmung, als Achim Dietrich am Morgen des 17. Januar eine Bühne vor dem Hauptsitz von ZF betritt. Es schüttet in Friedrichshafen, und es ist kalt. Dietrich ist Gesamtbetriebsratschef des zweitgrößten deutschen Autozulieferers. Und was der 55-Jährige in der roten Jacke ins Mikrofon ruft, lässt das Blut in den Adern der 3000 protestierenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefrieren: 12.000 Stellen wolle der Konzern bis Ende des Jahrzehnts in Deutschland streichen. 12.000 von 54.000.
Jede Stelle, die in Deutschland, Resteuropa oder Nordamerika frei werde, solle in „Best-Cost-Countries“, also an Standorten mit niedrigen Kosten, aufgebaut werden, schimpft Dietrich. Die Strategie des Vorstands: Sparen, Streichen, Schließen und Verlagern. Die Menge tobt. Immer wieder ertönt ein ohrenbetäubendes „Pfuiiiii“ über dem Gedröhn der Ratschen und Trillerpfeifen. Eine blonde Frau reckt ein Plakat in die Höhe, das sich wie ein Nachruf auf den Industriestandort liest: „Goodbye Deutschland.“
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Mit dem Szenario, das die Konzernleitung zu Jahresbeginn noch als Schwarzmalerei abgetan hatte, scheint Dietrich nicht falsch gelegen zu haben. In dieser Woche sagte er in einem Interview mit dem „Handelsblatt“, der ZF-Vorstand befinde sich „im Panikmodus“. Dem Unternehmen könne „am Ende finanziell Luft ausgehen“: Nach neuesten Zahlen fehlten ZF „Ende des Jahres drei Milliarden Euro Umsatz“. Den Zulieferer belaste „zusätzlich zu der schwierigen Branchensituation der Berg von mehr als zehn Milliarden Euro Schulden“ aus vergangenen Unternehmensübernahmen: „Wir laufen nach schwierigen Jahren jetzt in eine Rezession hinein, in der man Rücklagen bräuchte, die wir nicht haben.“ Die Folge: „Es gibt eine Liste von Werken, die möglichst schnell dichtgemacht werden sollen. Im Fokus steht insgesamt über ein Drittel der Inlandswerke.“
Kleine Werke in Gefahr
Nach einer exklusiven WirtschaftsWoche-Analyse von Sanierungsplänen, internen Unternehmensdaten und Standortfaktoren ist bei 13 deutschen ZF-Standorten die Gefahr einer Schließung besonders groß (siehe Grafik). Es handelt sich dabei vorwiegend um kleinere Werke mit 300 oder weniger Mitarbeitern, weil sie von Sanierungsexperten als weniger effizient betrachtet werden und weil eine Schließung dort tendenziell weniger Protest von Politik und Gewerkschaften auslösen dürfte.
Stellenstreichungen sind auch bei größeren Standorten wahrscheinlich, etwa am Hauptsitz Friedrichshafen, in Saarbrücken, Hannover, Brandenburg an der Havel oder Nürnberg. Schließungen sind hier aber unwahrscheinlich.
Wie Betriebsratschef Dietrich bereits zu Jahresbeginn sagte, gehe es nicht mehr bloß um die Frage, ob Produktion ins Ausland verlagert werde: „Es trifft jetzt auch die Controller, die Einkäufer, die Entwickler. Die Verwaltung, die Buchhaltung. Selbst im Personalbereich haben sie überlegt, ob man ein neues Zentrum im Ausland gründen kann.“
ZF folgt dem Treck der Zulieferer nach Ost- und Südosteuropa, baut hierzulande Produktion, Entwicklung ab und dort moderner wieder auf. Und das sogar intensiver als andere Zulieferer, wie Insider aus dem Unternehmen erzählen, weil ZF sich bislang bei der Verlagerung zurückgehalten und nun etwas nachzuholen habe.
Der Druck ist riesig. Ein Insider schätzt, dass „die großen deutschen Zulieferer 20 oder 30 Prozent teurer sind als die Kostenführer, aber nicht besser und zudem oft recht langsam und unbeweglich. Warum sollten sich die schnell wachsenden Autohersteller Chinas für sie entscheiden?“
Auch das Fazit der Unternehmensberatung PwC Strategy&, die die Lage der Branche in einer Studie analysiert hat, ist bitter. Für die „erfolgsverwöhnten deutschen Zulieferer“ zeichneten sich „kritische Entwicklungen“ ab: „Sie wachsen im Vergleich zu anderen Geografien langsamer, geraten bei den Kostenstrukturen ins Hintertreffen und haben seit 2019 bereits circa drei Prozentpunkte Weltmarktanteil verloren.“
Asiatische Konkurrenten investierten stark in Zukunftstechnologien, „deutsche Zulieferer hingegen bauen Produktivvermögen ab“.
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