Digitaler Spülbetrieb: Toilettenkultur 21.0
Die Toilette gehört wie so viele Dinge heute zu den Reservaten auf der Landkarte unseres Lebens, die vom „smarten“ Eingriff in Beschlag genommen wird: Für einige ist das stille Örtchen ein bedrohtes Schutzgebiet, andere empfinden Klobürste mit Handbetrieb heute als mittelalterlich. Weltweit gibt es mehr als 5000 verschiedene Modelle. Die Japaner sind uns Europäern auch im Bereich der Restkultur weit voraus: Die Mehrzahl der japanischen Haushalte verfügt seit Jahrzehnten über sogenannte Washlets, WCs, die mit Bidet-Düsen ausgestattet sind und die von einem Schweizer in den 1950-er Jahren erfunden wurden. Durchgesetzt hat sich das Dusch-WC dann vor allem in Asien. Eine Modellreihe des japanischen Marktführers Toto heißt „Closomat“, dessen Deckel sich mit Hilfe eines Infrarotsensors automatisch öffnet. Die Toilettensitze sind beheizt. Zur Reinigung stehen Stabdüse, Ladydusche, verschiedene Intervalle und Intensitäten zur Wahl. In High-End-Modellen wird die „dicke Luft“ direkt abgesaugt und parfümiert ausgeströmt. Auch eine Trockenfunktion ist vorhanden. Moderne Hightech-WCs bieten außerdem Wasserrauschen, Vogelgezwitscher oder verschiedene Melodien an, die Körpergeräusche übertönen. Viele Washlets spülen automatisch, damit sich niemand die Hände schmutzig macht. Die beheizten Toilettenbrillen sind häufig selbstreinigend. Einige Modelle nutzen sogar elektrolytisch aufbereitetes Wasser und UV-Bestrahlung, um letzte Keime zu beseitigen.
In vielen Praxen und Laboren werden noch auf altbewährte Weise Urinproben mit Röhrchen und Teststreifen genommen. Die Ergebnisse müssen später in den PC getippt werden. Eine Messung mit dem „Biotracer“ (so nennt Duravit das Daten-WC) sei hygienischer und präziser. Beim Projekt „Quantified Toilets“ werden in öffentlichen und privaten WCs Sensoren installiert, die die Menge und Zusammensetzung der Ausscheidungen analysieren. Die Dateien sollen Erkenntnisse über den menschlichen Gesundheitszustand liefern. In den USA gibt es inzwischen auch Toilettenstühle für Kleinkinder, die mit einem iPad ausgestattet sind, weil die Eltern davon überzeugt sind, dass die Kinder dann noch nebenbei etwas lernen könnten. Ob solche Ideen die Welt oder ein Leben ohne Toilettenpapier die Welt wirklich besser machen, sei dahingestellt.
Die Toilettenkultur 21.0 lässt zwei Trends erkennen: die Digitalisierung des Sanitärbereichs (automatisches WC) und zurück zu den Wurzeln: zur Biotoilette. Denn die Welt steckt vielerorts im eigenen Dreck. Täglich scheidet ein Erwachsener durchschnittlich 1,5 bis 2 Liter Urin sowie zwischen 200 und 500 Gramm Kot aus. Etwa 2,5 Milliarden Menschen steht keine Toilette zur Verfügung. Fäkalien verunreinigen in den Slums das Trinkwasser, tödliche Krankheiten wie Typhus und Cholera sind die Folge.
In einer Kreislaufwirtschaft werden die Nährstoffe, die in der Nahrung in die Stadt gelangen, in wasserlosen Toiletten gesammelt. Diese nutzen Holzspäne, Holzkohle und effektive Mikroorganismen, um in Fermentations- und Kompostierungsprozessen Urin und Fäzes wieder in fruchtbaren Humusboden zu verwandeln. In Nürnberg gibt es ein nachhaltiges Toilettenhaus im Stadtgarten: Es ist aus Lärchenholz gefertigt, mit abgeflachtem und begrüntem Dach, einer Rampe für Rollstuhlfahrer-innen und einem bepflanzbaren seitlichen Wandbeet. In der Toilette befinden sich Streugutbehälter. Der Urin fließt (sofern er nicht von den Spänen gebunden wird) als Sickerflüssigkeit in den durch eine Lochplatte abgetrennten unteren Teil des Trockenklos. Die festen Bestandteile vermischen sich mit dem Streugut und muten in dieser Form bereits fast wie Erde an.
Die Industriedesignerin Mona Mijthab hat im Studium ein nachhaltiges Sanitärsystem erfunden: eine Toilette aus Polyethylen, deren Prototyp sie 2011 im Rahmen ihrer Bachelor-Arbeit entworfen hat. Bis 2030 sollen ihre Trockenklos („Mosan“ für Mobile Sanitation), die Urin und Feststoff in getrennten Sammelbehältern separieren, Entwicklungsländern und Krisengebieten zugutekommen. Das Besondere an ihren Ansatz ist das ökologische, kreislauforientierte Sanitärsystem. In Kombination mit der sicheren Entsorgung und Wiederverwertung der Fäkalien bietet das Modell einen enormen nachhaltigen Nutzen.
Toiletten sind auch heute für buchstäblich „Gold“ wert. Geld stinkt nicht. Die lateinische Redewendung Pecunia non olet gilt noch heute. Der Ausspruch geht auf den römischen Kaiser Vespasian zurück, der damit seine Steuer auf menschlichen Urin verteidigte, den römische Bürger kauften, um damit Leder zu gerben und Kleider zu waschen. Vespasians Sohn empfand darüber Ekel - doch der Kaiser hielt ihm eine Münze unter die Nase und fragte, ob sie schlecht rieche. Der Sohn verneinte und Vespasian erklärte ihm, dass sie mit Urin verdient worden sei. Das zeichnet auch manches „Geschäft" der Gegenwart aus.
Ums reine Verdienen geht es dem Kieler Geografie-Professor Christoph Korves, Initiator des Lernprogramms „Yooweedoo", allerdings nicht. Er entwickelte einen „Changemaker-Kurs", der an 15 deutschen Universitäten angeboten wird, aber auch als Onlinekurs absolviert werden kann. Ein Ideenwettbewerb schließt daran an. Entwickelt und erfolgreich umgesetzt wurde beispielsweise der Goldeimer: Die mobile Komposttoilette kann auf Festivals und Großveranstaltungen eine Alternative zu den Dixie-Klos sein. Der Eimer kommt ohne unangenehme Gerüche, Chemie und Wasserverschwendung aus. Nach jedem Toilettengang werden sie ehrenamtlich von einem der Mitarbeiter gereinigt, der dafür einen kostenlosen Festivalbesuch erhält. Das erwirtschaftete Geld geht an die Hamburger Wasserinitiative „Viva con aqua".
In Nürnberg gibt es ein nachhaltiges Toilettenhaus im Stadtgarten: Es ist aus Lärchenholz gefertigt, mit abgeflachtem und begrüntem Dach, einer Rampe für Rollstuhlfahrer-innen und einem bepflanzbaren seitlichen Wandbeet. In der Toilette befinden sich Streugutbehälter. Der Urin fließt (sofern er nicht von den Spänen gebunden wird) als Sickerflüssigkeit in den durch eine Lochplatte abgetrennten unteren Teil des Trockenklos. Die festen Bestandteile vermischen sich mit dem Streugut und muten in dieser Form bereits fast wie Erde an. Die 2013 gebaute Komposttoilette wurde von Bluepingu e.V. initiiert.
An einem Objekt wie der Toilette zeigt sich, wie es heute um uns steht und dass wir zuweilen sogar den letzten Rest von Selbstbestimmung und Eigenzeit aufgeben, um mit der Welt vernetzt zu sein. Ein schönes Beispiel für die Verbindung der alten Toilettenkultur mit den unerschöpflichen Geburten des Geistes findet sich im Herausgeberband von Insa Wilke über den Intellektuellen Roger Willemsen. Sein „Territorium“ war zwar nicht die Toilette, sondern von Anfang an das geschriebene Wort – aber auch hier gibt es buchstäblich eine fließende Verbindung zum WC: Da er schon von früh an redselig war, nannten ihn seine Eltern „Klokasten“ (der Wasserkasten unter der Decke, der wieder volllief, wenn man an der Strippe zog). Alle großen Geister haben die „Niederungen“ des Alltags nicht vernachlässigt: So sann Luther vor über 500 Jahren „in cloaca“ über Gottes Gnade nach. Sein Plumpsklo in Wittenberg gilt heute als ein heiliger Ort des Protestantismus.
Im Zentrum der Ausstellung „Hundertwasser … schön & gut“, die bis März 2017 im Bernrieder Buchheim-Museum zu sehen war, stand eine Humustoilette, die der Maler, Politaktivist und Ökologe Friedensreich Hundertwasser entwickelt hat und dort zitiert wurde: „Scheiße wird Erde, die man aufs Dach legt, wird zu Wiese, Wald und Gärten, Scheiße wird zu Gold.“ Diese Aussage hat einen erkenntnisfördernden Wert, auf den der Philosoph Peter Sloterdijk bereits 1983 in seiner „Kritik der zynischen Vernunft“ verwiesen hat: „Man muß der Scheiße anders begegnen.“
Weiterführende Informationen:
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin 2017.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Circular Thinking 21.0: Wie wir die Welt wieder rund machen (mit Claudia Silber) Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben von Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2016.