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SAP-Chef Christian Klein: „Er kann nur verlieren.“ Foto: SAP
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„Diversity ist kein Nice-to-have, sondern eine Notwendigkeit“

Christian Klein will bei SAP die Diversitätsziele zurückfahren. Das Handelsblatt hat nachgefragt: War das eine clevere Managemententscheidung? Nur bedingt, sagt ein Managementprofessor.

Berlin. Es war eines der meistdiskutierten Themen der Woche: SAP-Chef Christian Klein kassierte zentrale Elemente der internen Diversitätspolitik – auch als Reaktion auf den Druck der amerikanischen Regierung unter Präsident Donald Trump. Darüber hatte das Handelsblatt exklusiv berichtet.

Der Softwarekonzern will sein Ziel nicht weiterverfolgen, in der Belegschaft einen Anteil von 40 Prozent Frauen zu erreichen. Auch für die Höhe der Vorstandsboni ist das Kriterium „Geschlechtervielfalt“ nicht mehr relevant.

Wie ist Kleins Entscheidung aus Managementsicht zu bewerten? Ergibt sie betriebswirtschaftlich betrachtet Sinn? Und werden andere Unternehmen bald nachziehen? Das Handelsblatt hat bei dem bekannten Management-Professor und Berater Ralf Lanwehr nachgefragt.

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Herr Lanwehr, haben Sie sich über die Nachricht gewundert, dass SAP seine Diversitätsziele kassiert?
Nein. Es wäre fahrlässig, wenn sich das Management eines Konzerns nicht mit den Wünschen eines Großkunden wie der US-Bundesverwaltung auseinandersetzt. Konsequenzen sind dann nur logisch.

Wie ist Kleins Schritt aus Managementsicht zu bewerten?
Christian Klein befindet sich in einer misslichen Lage. Er hat sich gegen einen kurzfristigen Verlust amerikanischer Regierungsaufträge entschieden. Langfristig aber geht er Risiken ein. Durch die DEI-Kehrtwende (DEI steht für Diversity, Equity und Inclusion, Anm. d. Red.) verspielt er Vertrauen und nimmt alle Nachteile einer gestutzten Diversitätspolitik in Kauf, zum Beispiel, dass SAP weniger attraktiv für Talente wird. Das ist ein klassisches Dilemma. Er kann nur verlieren.

Ralf Lanwehr ist Wirtschaftspsychologe und Management-Professor an der Fachhochschule Südwestfalen. Foto: PR

Welches Signal sendet das SAP-Management mit der Entscheidung an Aktionäre, Belegschaft und Talente?
Die Entscheidung zerstört Vertrauen, intern wie extern. Denn das Tempo des Kurswechsels bei SAP ist problematisch. Noch vor Kurzem wurden DEI-Initiativen dort offensiv unterstützt. Die Wissenschaft nennt das: Signalisieren von Werten. Je größer die Kosten für das Unternehmen, desto stärker fällt das Signal aus. Früher war DEI günstig und wurde gerne mitgenommen. Jetzt, beim ersten Gegenwind, erfolgt bei SAP die Kehrtwende. Das sagt viel darüber aus, wie tief das Thema in Wirklichkeit verankert ist und wie ehrlich die vollmundigen Ansagen bisher waren.

Welche Auswirkungen könnte das auf die Mitarbeitenden haben?
Unehrlichkeit macht Vertrauen kaputt. Das ist schlecht. Vertrauen ist das Zulassen von Verletzlichkeit. Wenn Vertrauen bröckelt, teilen Menschen Informationen nicht, sichern sich ab oder halten lieber den Mund, wenn sie gewagte, kreative Ideen haben. Das schadet sowohl der Produktivität als auch der Innovationskraft eines Unternehmens – und damit der Wettbewerbsfähigkeit insgesamt.

Wie bewerten Sie die Entscheidung aus betriebswirtschaftlicher Sicht: Wird SAP dadurch Probleme bekommen?
Ja. Es gibt definitiv viele gute Gründe für Diversity. Sie sind langfristiger Natur: der demografische Wandel, der Fachkräftemangel, die ethisch-moralische Verpflichtung. Diversity ist kein Nice-to-have, sondern eine Notwendigkeit. Wer heute daran spart, wird übermorgen die Zeche zahlen. Aber: Diversity ist nur indirekt ein Business-Case.

Ralf Lanwehr

  • Der Wissenschaftler

    Ralf Lanwehr ist Professor für Management mit Fokus auf Führung
    und Transformation. Schwerpunkte seiner Arbeit sind evidenzbasierte Ansätze für die Themen Führung, Kultur und Change. Am Promotionskolleg Nordrhein-Westfalen ist er Gründungsdirektor der Abteilung Unternehmen und Märkte.

  • Der Berater

    Lanwehr ist seit mehr als 20 Jahren als Berater, Trainer und Coach tätig, er hat bereits auf Vorstandsebene mit Unternehmen wie BMW, Lufthansa
    und RWE kooperiert. Zudem arbeitet er mit Bundesligavereinen, coacht Cheftrainer und berät den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und die Deutsche Fußball-Liga (DFL).

Was meinen Sie damit?
Es gibt keinen Nachweis, dass Diversity die Produktivität erhöht. Das behaupten ja zum Beispiel Beratungen gern mit dem Hinweis auf eigene Dienstleistungen. Wissenschaftlich ist das aber kaum haltbar. Zwar erhöht Diversity nachweislich die produktive Reibung – zugleich aber auch den unproduktiven Ärger.

Das müssen Sie erklären.
Je unterschiedlicher Menschen sind, desto stärker unterscheiden sich ihre Perspektiven. Das führt zu Reibung in der Sache – was gut sein kann –, aber auch zu mehr Konflikten. Außerdem verstärkt Diversity das Denken in Kategorien: „Aha, eine Frau“ oder „Aha, ein alter, weißer Mann.“ Das ist selten böse gemeint, passiert aber dennoch und schafft Spannungen. Und dann ist da noch die Vielfalt an Denkstilen. Die kann bereichern, aber auch nerven. Die eine Kollegin probiert sich gern aus, der andere will erst einen detaillierten Masterplan – das kann schon beim Kick-off eskalieren.

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Klingt fast so, als sei Diversität in Unternehmen aus Ihrer Sicht überbewertet?
Nein, im Gegenteil. Im Moment heben sich positive und negative Effekte unterm Strich auf. Führungskräfte müssen lernen, die durch Diversity entstehenden Beziehungskonflikte besser zu managen. Erst dann bleiben die positiven Effekte übrig. Genau das passiert aber noch nicht. Deshalb zeigen sich quasi durchgängig Nulleffekte von Diversity. Darin ist sich die Forschung einig wie selten.

Wie ist Ihre Prognose: Werden weitere Unternehmen in Deutschland nachziehen und ihre Diversitätsziele ebenfalls einkassieren oder zumindest zurückfahren?
Deutschland ist mit seiner Exportorientierung besonders verletzlich. Entsprechend hoch wird hierzulande der Anteil an Firmen sein, die einknicken. Aktuell beobachte ich drei Strategien. Erstens: Unternehmen, die dem US-Druck nachgeben, wie SAP. Zweitens: Unternehmen, die sich ducken und hoffen, nicht aufzufallen. Und drittens: Firmen, die sich offen dagegenstellen. Mit zunehmendem Druck wird sich die Mitte aufspalten – in Annäherung an die USA oder Widerstand. Das ist ein bekanntes Muster unter Stress.

Welche Lektion können andere Managerinnen und Manager aus Kleins Entscheidung ableiten?
Wenn sie Werte vertreten, dann sollten sie das mit Überzeugung tun. Ein Anbiedern – egal, an welche Seite des Meinungsspektrums – halte ich für gefährlich.

Herr Lanwehr, vielen Dank für das Interview.

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