Wem gekündigt wird, der kann wenigstens versuchen, möglichst viel Abfindung herauszuholen. - Dmitri Broido
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Drohen, krankfeiern, lästig sein: Die besten Tricks für eine höhere Abfindung

Unternehmen müssen Stellen streichen – und greifen dabei auch zu Abfindungen. Das können sich Angestellte zunutze machen. Zehn Regeln.

Warum seine Firma ihn loswerden wollte, hat Martin Mestermann nie erfahren. „Ich vermute mal, dass ich durch einen jüngeren Manager ausgetauscht werden sollte“, sagt er. Die Geschichte seiner Trennung beginnt im September 2022. Mestermann ist damals um die 60 und zwölf Jahre im Unternehmen, einem weltweit operierenden IT-Konzern. Er ist Vertriebsdirektor, verdient zwischen 400.000 und 500.000 Euro im Jahr und hat Spaß an seinem Job. Doch dann erfasst die Postcoronapanik die Branche: Facebook, Google, Microsoft trennen sich von Tausenden Mitarbeitern. Schließlich ein Anruf aus der Geschäftsleitung: „Du musst dir einen neuen Job suchen. Wir müssen restrukturieren.“

So beginnt für Mestermann, der anders heißt, aber anonym bleiben möchte, ein Krimi, der weit über ein Jahr dauert. Ein Krimi mit Finten und Psychotricks, von beiden Seiten. Stets habe er 100 Prozent Bonus bekommen – plötzlich nur noch einen niedrigen Satz. „Das haben sie gemacht, um mich mürbe zu machen, das Muster ist in der Firma bekannt“, sagt Mestermann. Sie hatten Erfolg damit: „Ich habe mich gefragt: Warum ich?“

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Warum ich? Diese Frage stellen sich derzeit viele. Volkswagen, Schaeffler und Thyssenkrupp wollen sich von Tausenden Mitarbeitern trennen. Bei DB Cargo sind 5000 im Gespräch, 700 von ihnen sollen mit Abfindungen geködert werden. Bei SAP haben sich 5300 Mitarbeiter für ein Abfindungsprogramm gemeldet. Während Entlassungen in anderen Ländern wie etwa den USA oder in Skandinavien normal sind, gelten sie hier als Tabu. Umso wichtiger sind Tipps für das richtige Vorgehen. Von Arbeitsrechtlern. Und von Menschen wie Mestermann, die erfolgreich eine Abfindung erkämpft haben.

1. Ab zum Anwalt

Unternehmen setzen auf den Überrumpelungsmoment. Darauf, dass Mitarbeiter im Schock eine für den Arbeitgeber günstige Regelung unterschreiben. „Ich habe mir überlegt, dass ich mein Kopfzerbrechen einfach an jemand anderen abgebe“, sagt Mestermann, der sofort einen Anwalt eingeschaltet hat. Kosten von Anwälten variieren – eine Alternative kann eine Rechtsberatung der Gewerkschaft sein. Wichtig ist Ehrlichkeit: Wer verschweigt, dass er oder sie wegen sexueller Belästigung oder Straftaten entlassen wurde, bekommt spätestens vor Gericht Probleme.

2. Chancen ausloten

„Es gibt im deutschen Arbeitsrecht keinen allgemeinen Anspruch auf eine Abfindung“, stellt der Hamburger Rechtsanwalt Klaus-Stefan Hohenstatt von der Kanzlei Freshfields klar. Unternehmen können betriebsbedingte Kündigungen oft einwandfrei herleiten – etwa wenn vergleichbare Positionen oder sogar ganze Teams gestrichen werden. „Dann wird ein Gericht die Kündigung anerkennen – und man geht mit Null raus.“ Bei Massenentlassungen, die in mittelständischen Unternehmen schon bei 25 betroffenen Mitarbeitern losgehen, kommt der Betriebsrat ins Spiel und verhandelt einen Sozialplan, der Abfindungen vorsieht. Je höher man in der Hierarchie angesiedelt ist, desto einfacher ist eine Kündigung. Denn häufig ist es die komplizierte Sozialauswahl, an der Kündigungen scheitern.

Klaus-Stefan Hohenstatt ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei Freshfields in Hamburg. - PR
Klaus-Stefan Hohenstatt ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei Freshfields in Hamburg. - PR

Auf Top-Ebene fehlt es oft an vergleichbaren Mitarbeitern, sodass keine Sozialauswahl erforderlich ist. Klar ist: Hat sich der Arbeitnehmer etwas zuschulden kommen lassen – Straftaten etwa oder sexuelle Belästigung –, ist gegen eine Kündigung kaum etwas zu machen. Wenn allerdings „keine Entlassung im Rahmen einer klar geregelten Restrukturierungsmaßnahme vorliegt, ist eine Kündigung oft angreifbar“, sagt der Anwalt Stephan Pötters von der Kanzlei Seitz. „Vor allem dann, wenn man als Arbeitnehmer das Gespür hat, eine unternehmerische Entscheidung ist nur vorgeschoben – und in Wahrheit spielen persönliche Gründe eine Rolle.“

3. Realistisch kalkulieren

Als Ausgangsbasis für Abfindungen gilt ein halbes Monatsgehalt je Beschäftigungsjahr. „Die Großzügigkeit, die es noch vor 20 Jahren flächendeckend gab, ist vorbei“, sagt die Arbeitsrechtlerin Frauke Biester von der Kanzlei Littler. Anwaltskollege Hohenstatt sagt: „Das Höchste, was ich bei langjährig beschäftigten Managern gesehen habe, waren zwei Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr. Das bedeutet, dass ein Angestellter mit einem Jahreseinkommen von 200.000 Euro eine Abfindung von 800.000 Euro einsteckt.“

Je höher man in der Hierarchie steht, desto höher sind die Summen, um die es geht. Doch auf der anderen Seite gebe es für die obersten Führungsriegen auch einen gewissen Deckel: Der Corporate Governance Codex sieht vor, dass Vorständen von Aktiengesellschaften höchstens zwei Jahresgehälter als Abfindung gezahlt werden dürfen. Diesen Rahmen wollen Arbeitgeber auch bei Managern unterhalb des Vorstands nicht überschreiten.

Frauke Biester ist Arbeitsrechtlerin in der Kanzler Littler. - PR
Frauke Biester ist Arbeitsrechtlerin in der Kanzler Littler. - PR

4. Druckpunkte finden

„Ich höre erst einmal zu und schaue, was die- oder derjenige braucht, dem eine Kündigung droht“, erzählt Anwältin Biester. Der eine wolle nur schnell weg, mit einer möglichst hohen Abfindung. Andere wollen eine Auszeit nehmen und brauchen Zeit. Zeit, in der man weiter angestellt ist – aber freigestellt. Anwaltskollege Pötters empfiehlt, sich einen Überblick über die Dinge zu verschaffen, die zu klären sind, von Bonus, Urlaub, Weihnachtsgeld, Dienstwagen, Zeiten auf dem Arbeitskonto bis hin zum Zeugnis. „Es gibt immer offene Fragen oder Druckpunkte, über die man eine Verhandlungsposition aufbauen kann.“ In einem Fall, den Frauke Biester betreute, entfaltete eine kleine Klausel im Aufhebungsvertrag eines Top-Managers große Wirkung. Die Firma sollte ihm Umzugskosten erstatten. Als er die Kosten einreichte, war die Aufregung groß: Der Mann war nicht nur mit Familie samt Hausstand interkontinental umgezogen. Auch seine Autosammlung und sein Privatflugzeug gehörten seiner Meinung nach dazu. Der frühere Arbeitgeber protestierte – vergeblich.

5. Lästig sein

„Arbeitgeber wollen Trennungen schnell und rechtssicher umsetzen“, betont Anwalt Pötters. „Es gibt meist eine Abwägung zwischen Geschwindigkeit und dem wirtschaftlichen Paket.“ Wenn man sich also querstellt, kann man Arbeitgeber dazu bringen, tiefer in die Tasche zu greifen. Die komplette Beweislast für die Wirksamkeit einer Kündigung hat immer der Arbeitgeber. Und ein bisschen Sabotage kann nicht schaden.

Wie wäre es zum Beispiel mit Krankfeiern – wenn ein besonders entscheidendes Meeting ansteht? Mag moralisch fragwürdig sein, kann sich aber als lukrativ erweisen. „Es ist in der Tat nicht ganz falsch, dass der Lästigkeitsfaktor eine große Rolle spielt. Wenn der Leidensdruck sehr hoch ist, sich von einem Mitarbeiter zu trennen, wird es teuer für den Arbeitgeber“, sagt Rechtsanwalt Hohenstatt.

Es ist in der Tat nicht ganz falsch, dass der Lästigkeitsfaktor eine große Rolle spielt.
Klaus-Stefan Hohenstatt, Hamburger Rechtsanwalt in Kanzlei Freshfields

IT-Vertriebsdirektor Martin Mestermann beschreibt seine Strategie so: „Mein Anwalt und ich haben ein psychologisches Spiel mit meinem Arbeitgeber gespielt.“ Er habe stets betont, dass er gerne in der Firma bleiben wollte. Abfindungsangebote, die ihm nicht passten, lehnte er ab. Er machte sich rar, vereinbarte mit seinem Arbeitgeber eine bezahlte Auszeit, um sich nach einem neuen Job umzusehen. Kurz vor Ende der Auszeit habe er seine Rückkehr angekündigt – da habe sein Arbeitgeber die Hoffnung aufgegeben, dass er von selbst geht. „Und dann hat es schön geklingelt“, sagt Mestermann.

6. Whistleblower werden

Moralisch ebenfalls fragwürdig ist eine Methode, die Anwalt Hohenstatt aufgefallen ist: Kündigungskandidaten machen zuweilen Gebrauch von internen Whistleblowing-Systemen. Und melden Missstände. Durch das noch relativ neue Hinweisgeberschutzgesetz sind sie nach Meldung vor Kündigung geschützt. „Für Arbeitgeber ist es schwer zu beweisen, dass die Kündigung nicht mit dem Whistleblowing zu tun hat.“ So erfolgten etwa bei Banken gerne Geldwäscheverdachtsmeldungen oder Meldungen über Fehler bei der Kreditvergabe. „Es kann sein, dass die Meldungen einen wahren Kern haben – aber häufig eben auch nicht. In jedem Fall werden Untersuchungen ausgelöst, die sehr aufwendig sind.“ Und der Preis für eine Trennung steigt.

7. Datenschutz ausnutzen

Die Datenschutzgrundverordnung ist der Horror für viele Unternehmen. Auch von Kündigung Bedrohte können diese Regelung nutzen, um den Arbeitgeber zu piesacken: Laut der Verordnung müssen Arbeitgeber auf Verlangen jegliche Daten einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter aushändigen. Das bezieht sich auf sämtliche Daten mit Personenbezug – zum Beispiel auch auf Tausende E-Mails und Chatverläufe. Binnen maximal drei Monaten muss geliefert werden. „Das ist eine ziemlich scharfe Waffe“, sagt Hohenstatt. „Viele Firmen haben keine Lust auf diesen wahnsinnigen Aufwand – und erhöhen den Einsatz.“

8. Schmerzgrenze finden

„Man muss aufpassen: Es gibt den Moment, in dem die Arbeitgeber umschalten und sagen: ,So, jetzt reicht’s‘“, warnt Hohenstatt. Wer überreizt, kann das Unternehmen dazu bringen, die Kündigung zurückzunehmen. „Dann hat man einen Prozess gewonnen, den man gar nicht gewinnen wollte – denn viele Arbeitnehmer wollen wegen der Vorgänge um die Trennung gar nicht zurück an ihren Arbeitsplatz.“ Arbeitgeberanwalt Pötters kennt Arbeitnehmeranwälte, die ein gutes Gespür dafür haben, wo die Grenzen sind. „Man sollte immer gut überlegen, wen man anpiekst. Neben der rechtlichen Dimension gibt es immer auch eine kommunikative, politische – und menschliche.“ Wer den Arbeitgeber zur Weißglut treibt, riskiert, dass dieser ohne Rücksicht auf Verluste vor Gericht zieht.

9. Drohen - aber richtig

Sehr riskant ist es, wenn Arbeitnehmer ihren Chefs damit drohen, mit ihrem Wissen zur Polizei oder zur Presse zu gehen. „Das ist viel zu plump und rechtfertigt sofort eine fristlose Kündigung“, sagt Anwalt Hohenstatt. Er berichtet von einem Fall aus seinen jungen Anwaltsjahren; er war damals für einen Arbeitgeber aktiv, der sich von einem Manager trennen wollte. In der Lobby eines Berliner Hotels kam es zum Treffen mit dem Mann und dessen Anwalt. Der Manager drohte damit, angeblich illegale Vorgänge öffentlich zu machen, erzählt Hohenstatt.

Der Mann habe ihm einen Zettel gezeigt, auf dem die belastenden Dinge fein säuberlich aufgelistet waren. Das perfekte Beweismittel, um die Drohung zu dokumentieren. „Ich habe das Blatt genommen, in mein Sakko gesteckt. Als mir der Anwalt zu Leibe rückte, bin ich aus der Lobby gerannt und in ein Taxi gesprungen.“ Der gegnerische Anwalt wollte ihn zwingen, das Papier zurückzugeben – ohne Erfolg. „Ich war der Meinung, das war Notwehr, weil wir erpresst wurden – und das Papier war unser einziges Beweismittel.“ Eine außerordentliche Kündigung folgte – und sei nicht angefochten worden.

Es geht aber auch weniger plump: Es gebe Anwälte, die nur Andeutungen machen, erzählt Hohenstatt. „Sie sagen: ,Mein Mandant würde natürlich nie darüber reden. Aber ich finde es trotzdem fahrlässig, wenn Sie sich mit jemandem streiten, der so viel weiß.‘“ Anwaltskollege Pötters zufolge werden saubere Abgänge in Zeiten von Arbeitgeberbewertungen auf Portalen wie Kununu immer wichtiger. „Mit einer schlechten Internetbewertung kann man das Employer Branding herunterziehen.“

Wie man sich das zunutze machen kann? Vielleicht mit einer Ansage wie dieser: „Wir haben doch beide ein Interesse an einem sauberen Abgang und wollten uns jetzt nicht über die Trennung streiten. Ich fand’s hier immer super – und würde auch ein super Kununu-Bewertung hinterlassen.“

10. Nicht zu lange warten

Claus Fehling hat aus der Zeitung erfahren, dass sein Arbeitgeber ihn nicht mehr wollte. Bei der morgendlichen Lektüre stieß er auf eine Stellenanzeige. „Es war meine Stelle“, sagt er. Das ist schon einige Jahre her, Fehling war Personalchef der amerikanischen Öl- und Gasfirma Cameron in Deutschland. Heute ist er Outplacement-Berater in Hamburg, unterstützt Führungskräfte und Firmen bei der Trennung. Sein Rat: „Wenn das Unternehmen sich gegen dich entscheidet, hast du keine Chance mehr.“ Deshalb empfiehlt Fehling, mit dem Abschied nicht zu lange zu warten. „Je länger es dauert und du mit dem Druck weiterlebst, desto mehr nagt es an dir – und kann dich krank machen.“

Eine solche Geschichte kennt auch Rechtsanwältin Frauke Biester. Sie erzählt von einem Geschäftsführer, der gehen sollte. Er hatte einen Fünfjahresvertrag, der noch vier Jahre lief. Und ging davon aus, dass man ihm das gesamte Gehalt für die restlichen Jahre in einer Summe auszahlte. Daraus wurde aber nichts. Stattdessen wurde der Geschäftsführer freigestellt, bekam jeden Monat sein Gehalt. Klingt toll, war es aber nicht. Denn der Mann hatte nichts zu tun, und in eine vergleichbare Position in einem anderen Unternehmen wechseln durfte er laut Arbeitsvertrag nicht. „Es hat zwei Jahre gedauert, bis er mich um Hilfe gebeten hat. Das Unternehmen hat ihn richtig vor die Wand laufen lassen.“

Dass es auch anders laufen kann, zeigt der Fall Martin Mestermann. Er behielt die Nerven, verhandelte über ein Jahr über seinen Weggang: „Man darf das nicht an sich herankommen lassen“, sagt er. Ergebnis: zwei Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr plus vollen Bonus und Aktien. Macht insgesamt eine Summe von einer dreiviertel Million Euro. Seit dem Frühjahr ist er freigestellt, bezieht noch gut zwölf Monate sein volles Gehalt. Im Januar fängt er einen neuen Job in einem anderen Unternehmen an. Sein noch aktueller Arbeitgeber habe seinen sportlichen Ehrgeiz geweckt, sagt er: „Ich wollte da rausgehen und sagen: ,Yes, das hat sich gelohnt.‘“

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