Drunter und drüber: Warum Nachhaltigkeit auch an die Wäsche gehen sollte
Nichts ist unserer Haut näher als Unterwäsche
Die verarbeiteten Rohstoffe der Unterwäsche sollten unbelastet von Schadstoffen sein, aber auch verantwortungsvolle Produktionsbedingungen wie ein fairer Umgang der Mitarbeiter in den Zulieferbetrieben und Maßnahmen zum Klimaschutz sind wichtige Aspekte für eine nachhaltige Herstellung von Unterwäsche und Lingerie. Sexy, funktional und eine hochwertige Qualität genügen heute nicht mehr. Selbst die großen Player auf dem Lingerie-Markt haben in den vergangenen Jahren in Richtung Nachhaltigkeit umgedacht. Zu wichtigen Komponenten in der Produktentwicklung von Unterwäsche gehören Bügel, Polster, BH-Schalen, Träger, Haken, Ösen, Elastikbänder und (nicht) dehnbare Materialien. Ökologische und soziale Aspekte in ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis zu setzen, ist für alle Hersteller eine Herausforderung.
„Das ist alles Bio. Du stehst doch auch auf natürliche Dinge, oder?“ So begrüßte in einem TV-Werbespot vor einigen Jahren eine Frau am Frühstückstisch ihren Mann. Während sie sprach, schwenkte die Kamera auf ihre Brust und ihre Unterwäsche: „Rein ins gute Gefühl“. Doch um dorthin zu kommen, braucht es mehr als nur einen gedeckten Tisch. Die Implementierung des bluesign® Standards ist für viele Markenhersteller ein erster Schritt, einen umweltschonenden, gesundheitsfreundlichen und schadstofffreien Herstellungsprozess zu gewährleisten. Wie Mey und VAUDE ist auch der Strumpf-, Lingerie- und Bodywear-Hersteller Wolford Partner dieses Systems.
Die bluesign technologies ag wurde im Jahr 2000 in der Schweiz gegründet. bluesign technologies prüft den Energie-, Wasser- und Chemikalieneinsatz ihrer Mitglieder und unterstützt sie dabei, ihre Umweltmaßnahmen langfristig zu verbessern. bluesign-Mitglieder verpflichten sich zur Verbesserung ihrer Umweltmaßnahmen in fünf wesentlichen Produktionsbereichen:
• Ressourceneffizienz
• Verbrauchersicherheit
• Abwasser
• Emissionen
• Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz.
Die Mitglieder müssen regelmäßig über ihre Fortschritte berichten und bestimmte Ziele erreichen, um ihren Status nicht zu verlieren. Die Überprüfung erfolgt regelmäßig von bluesign technologies. Unterstützt werden die Betriebe zudem bei der Einführung eines Input Stream Managements für ihre Rohstoffe (z.B. Kontrolle der Chemikalien, die in drei Kategorien eingestuft werden). Der bluesign-Standard schafft Transparenz für die gesamte textile Zulieferkette, ohne dabei Kompromisse bei Funktionalität, Qualität oder Design einzugehen.
Aikyou setzt bei handgefertigter Unterwäsche ausschließlich auf GOTS-zertifizierte Biobaumwolle aus nachhaltigem Anbau, ebenso der Ökoversender memo AG. Der Global Organic Textile Standard (GOTS) ist als weltweit führender Standard für die Verarbeitung von Textilien aus biologisch erzeugten Naturfasern anerkannt. Auf hohem Niveau definiert er umwelttechnische Anforderungen entlang der gesamten textilen Produktionskette und gleichzeitig die einzuhaltenden Sozialkriterien. Die Qualitätssicherung erfolgt durch unabhängige Zertifizierung der gesamten Textillieferkette. GOTS wurde vom Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN) (Deutschland) zusammen mit der Soil Association (SA) (Großbritannien), der Organic Trade Association (OTA) (USA) und der Japan Organic Cotton Association (JOCA) (Japan) entwickelt. GOTS findet sich inzwischen nicht nur in den Regalen des Naturmodehandels, sondern auch im Sortiment großer Händler und Marken.
Die Firma Speidel bietet diverse natürliche Materialien an, die mit strenger Qualitätssicherung ausgewählt werden. Zum Sortiment gehörten Produkte aus zertifizierter Bio- und Supima-Baumwolle, Bambus- oder Algenfaser. Onlineshops wie memolife und Erlich bieten auch Wäschebasics wie Bio-Bustiers an. Seit 2008 gehören auch Dessous zum Portfolio von Eco-Designerin Stella McCartney, die in besonderer Weise auf Nachhaltigkeit achtet. Bei der Produktion wird auf die neusten Technologien geachtet, was zu einer Senkung des Energieverbrauchs wesentlich beigetragen hat. Das Ergebnis sind leichte, dünne und fast unsichtbare Dessous. Dafür werden recycelte Metall-Accessoires- und Komponenten, recycelte Polyester, Seiden und Bio-Baumwollmaterialien gewählt.
Eingeschnürt und befreit
Die Kulturgeschichte der Unterwäsche gibt im Gegensatz zu diesen positiven Entwicklungen allerdings keinen Anlass zur Freude: Im 18. Jahrhundert trugen Frauen keine Unterhosen – in die Schnürleiber waren Walknochen eingearbeitet, um die Hüften wurden Drahtseile geschnallt, was ihre Bewegung stark einschränkte. In den nächsten Jahrzehnten trugen Frauen Krinolinen, mit denen es nicht möglich war, sich hinzusetzen. Mieder und Korsetts waren so eng gearbeitet, dass Organe geschädigt wurden und Frauen regelmäßig in Ohnmacht fielen. Anfang des 20. Jahrhunderts schneiderte die Amerikanerin Mary Phelps Jacob ein BH-ähnliches Produkt, das sie 1914 patentieren ließ. Fast zeitgleich begann der Erfolg von Coco Chanel, die den Frauen ihre Freiheit und Weiblichkeit zurückgab, die sich in ihrer Kleidung wieder natürlich bewegen konnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Mieder vom BH endgültig verdrängt, wenngleich die Brüste noch in eistütenförmige Modelle gesteckt wurden.
1968 störten ca. 400 Feministinnen einen Schönheitswettbewerb in den USA mit einer Protestaktion: BHs, Stöckelschuhe und Lockenwickler („Instrumente weiblicher Folter“) wurden von ihnen in die Mülltonne geworfen. Der BH wurde zum Symbol weiblicher Unterdrückung, weshalb sie ihn von sich abwarfen. 1990 fertigte Jean-Paul Gaultier für Madonna den berühmten BH, den sie auf ihrer „Blond Ambition“-Tour trug. Madonna „predigte“ damit sexuelle Selbstverwirklichung und Spiritualität. Ab ihrem fünften Lebensjahr wollte sie ihren eigenen Weg gehen: agierend, selbstbestimmend und zielgerichtet. Das drückt sie nicht nur musikalisch, sondern auch über ihre Dessous aus.
1994 eröffnete Joseph Corre, Sohn der britischen Designerin Vivienne Westwood, die in den 1970-er Jahren die Kostüme für die Punk-Band "Sex Pistols" schneiderte, den ersten Shop mit „Luxus-Luder-Lingerie“: „Agent Provokateur“. In ihrer frühen Punk-Zeit setzte sie Unterwäsche mit der Absicht ein, ihr das „Anrüchige und Domestizierende“ zu nehmen. 2012 bemerkte sie, dass sie „nicht viel Unterwäsche“ besitzt, weil sie selten welche trägt – „im Sommer schon gar nicht.“ Auch Marilyn Monroe hauchte einst, dass sie im Bett nur Chanel 5 trage. Für die Männer darf es allerdings etwas mehr sein: Berühmte Persönlichkeiten wie Prinz Charles, Bill Clinton, Robert de Niro, und Denzel Washington tragen Unterwäsche der Firma „Zimmerli of Switzerland“. Auch der im Februar 2019 verstorbene Modedesigner Karl Lagerfeld bevorzugte die Unterwäsche von Zimmerli, wo hochwertige, langstaplige ägyptische Malo-Baumwolle perfekt verarbeitet werden. Verarbeitung und Qualität sind hier das Maß aller Dinge. Produziert wird im Kanton Tessin (Schweiz). Der Sohn von Vivienne Westwood setzt wiederum auf schöne Verpackungen, in denen sich überraschende Dessous finden. An einem Thema wie Unterwäsche zeigt sich in besonderer Weise, dass Nachhaltigkeit immer auch mit dem Unerwarteten verbunden ist.
Weitere Informationen:
Claudia Voigt: Aufatmen. In: DER SPIEGEL 30/2016, S. 120-122.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut in Mode: Wissenswertes über nachhaltige Bekleidung und Textilien. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.